Bürgerentscheid:So geht es in München ohne Kohlekraftwerk weiter

Starkstrommasten

Neue Stromtrassen werden erst in einigen Jahren gebaut - das könnte Auswirkungen für München haben.

(Foto: dpa)
  • Nach dem Bürgerentscheid für das schnelle Abschalten des Steinkohlekraftwerks in Unterföhring muss nun die Bundesnetzagentur über weitere Schritte entscheiden.
  • Von der Prüfung hängt ab, ob der Meiler im Heizkraftwerk Nord tatsächlich stillgelegt werden darf.
  • Die Grünen fordern, dass die SWM in Unterföhring ein Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk anstelle des Kohlemeilers errichten.

Von Thomas Anlauf und Heiner Effern

Nach dem erfolgreichen Bürgerentscheid für das schnelle Abschalten des Steinkohlekraftwerks in Unterföhring blicken nun Befürworter und Gegner gespannt Richtung Bonn. Dort prüft die Bundesnetzagentur, ob ein Kraftwerk für die Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland entscheidend ist. Vom Ergebnis hängt ab, ob der Meiler im Heizkraftwerk Nord tatsächlich stillgelegt werden darf.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte schon am Sonntagabend erklärt, dass die Stadt einen entsprechenden Antrag einreichen werde. Sollte dieser abgelehnt werden, wäre der Bürgerentscheid ausgebremst. Allerdings zeichnet sich ab, dass die Antwort nicht so eindeutig ausfallen wird. Eine erste Stellungnahme der Bundesbehörde liegt nämlich schon vor.

"Nach bisheriger Erfahrung waren alle zur Stilllegung angezeigten süddeutschen Kraftwerke systemrelevant", schreibt Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, an den Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer (Grüne). Dieser hatte schon im September die Münchner Thematik dort vorgelegt. Dieser Teil der Antwort wird die Rathausmehrheit aus SPD und CSU sowie die Stadtwerke München (SWM) als Betreiber des Kohleblocks beruhigen. Sie halten den im Bürgerentscheid festgelegten Ausstieg zum 31. Dezember 2022 für technisch und finanziell nicht darstellbar. Andererseits erklärt Netzagentur-Chef Homann in seinem Brief vom 17. Oktober auch, dass ein Kraftwerk mit gleicher Leistung den Steinkohleblock wohl ersetzen könnte. "Diese Lösung scheint mir nach kursorischer Prüfung zumindest vertretbar", schreibt er.

Deshalb fordern die Grünen, dass die SWM in Unterföhring ein Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk anstelle des Kohlemeilers errichten. "Dazu gibt es bereits vorbereitete Ergebnisse eines Prüfauftrags, die der Öffentlichkeit bisher vorenthalten werden", erklärte Dominik Krause, Fraktions-Vize der Grünen im Stadtrat. Ein solches Kraftwerk müsse auch bei der Bundesnetzagentur als ein Szenario angeboten werden. Es könnte die nötige Fernwärme liefern und Engpässe im deutschen Energienetz abfangen.

Die ÖDP als führende Kraft im Anti-Kohle-Bündnis hält nicht einmal ein Ersatzkraftwerk für nötig. Bei einem negativen Bescheid der Bundesnetzagentur könnten die SWM den Kohleblock einfach herunterfahren und betriebsbereit halten. Dafür würde es reichen, die Anlage einmal im Jahr hochzufahren, sagt Stadtchef Thomas Prudlo. "Damit hätten wir kein Problem." Die wegfallende Fernwärme könnten dezentrale Gas-Thermen liefern, die für einen überschaubaren Millionenbetrag im Stadtgebiet neu gebaut werden müssten.

Beide Szenarien halten die Stadtwerke für nicht realitätstauglich. Planung, Genehmigung und Bau eines Gas- und Dampfkraftwerks, wie es die Grünen wollen, hält das 100-prozentige Tochterunternehmen der Stadt in nur fünf Jahren für nahezu unmöglich. Denn aller Erfahrung nach landet ein solches Großprojekt vor einem Gericht, das über die Rechtmäßigkeit der Genehmigung entscheiden müsste.

Zudem rechnen die Stadtwerke damit, dass sich das Thema Netzsicherheit um das Jahr 2025 von alleine regeln könnte. Dann sollen nämlich neue Stromtrassen von Nord nach Süd in Betrieb gehen. Kurz darauf könnte die ausfallende Fernwärme von der Geothermie übernommen werden, deren Ausbau die Stadt in großem Stil plant. Deshalb halten sie den Bau der von der ÖDP favorisierten dezentralen Gasheizkessel für einen Fehler. Das Rathausbündnis und die SWM wollen deshalb das Steinkohlekraftwerk im Zeitraum von 2027 bis 2029 stilllegen, erst dann halten sie einen reibungslosen und sinnvollen Übergang für möglich.

Die SWM hatten einen möglichen Ausstieg durch ein Gutachten des Öko-Instituts in Freiburg untersuchen lassen. Der nun im Bürgerentscheid festgehaltene Zeitpunkt sei sehr sportlich, aber möglich, sagt Christof Timpe, Leiter des Institutsbereichs Energie & Klimaschutz. Voraussetzung seien ein Ersatzkraftwerk oder dezentrale Gasheizwerke. Sollten die Stadtwerke den Kohlemeiler herunterfahren und betriebsbereit halten wollen, sei das Verhandlungssache mit der Netzagentur. Die Stadt könnte die Kosten dafür wohl sogar hereinholen.

Diese müssten die Netzbetreiber für die Garantie der stabilen Stromversorgung erstatten. Diese wird zwar vom 1. Oktober 2018 an durch ein Abkommen mit Österreich verbessert. Laut Netzagenturchef Homann dürften dann erstmals nicht mehr alle deutschen Reservekraftwerke benötigt werden. Doch diese Phase dürfte wegen des Atomausstiegs Anfang der 2020er Jahre "nur von kurzer Dauer sein", schreibt er an die Grünen. Insbesondere weil dann die Strom-Autobahn von Nord nach Süd noch nicht fertig wäre.

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