Fotoprojekt "Streets of the World":"Wir sollten nicht so viel Angst haben"

"Streets of the World" Projekt von Jeroen Swolfs

Hoppelt ein Riesen-Häschen durch Ramallah.

(Foto: Jeroen Swolfs)

Der Fotograf Jeroen Swolfs hat die Straßen der Welt bereist. Allein, jahrelang, in 195 Ländern. Zurückgebracht hat er Wimmelbilder für Erwachsene - und einen kaum lädierten Optimismus.

Von Irene Helmes

Was haben Menschen im Westjordanland, in der Ukraine und in Irland eigentlich gemeinsam? Zum Beispiel den Hang zum Verkleiden. In Ramallah spazieren ein knallpinker Plüschhase und ein Tiger an Männern mit Sonnenbrillen und Frauen mit Kopftüchern vorbei, womöglich ein Marketing-Gag. In Kiew posiert ein rosa Hase vor der Kamera eines Riesenpandas. Und zehn feixende Pinguine feuern auf dem Kopfsteinpflaster von Dublin ihren Freund bei einer Runde Liegestützen an, bevor sie das nächste Pub stürmen. Wie Junggesellenabschiede in Westeuropa eben so sind.

Für solche Bilder ist der Fotograf Jeroen Swolfs sieben Jahre lang durch 195 Länder gereist. In jeder Hauptstadt wählte er eine Straße aus, die ihm besonders erschien. Ob sie als Sehenswürdigkeit gilt, war ihm egal. Dort verbrachte er Stunden und Tage, um sich mit Passanten zu unterhalten, die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen - und schließlich sein Motiv zu finden. Manchmal spielte er am Gehsteig Mundharmonika, um seinen Platz in der Menge zu finden. Das Ziel waren dokumentarische Aufnahmen, ohne Anweisungen, ohne Nachbearbeitung.

Sein Projekt sei Ausdruck einer positiven Weltsicht, "aber nicht naiv", darauf legt Swolfs im Gespräch Wert. Er verweist auf Reisen in Länder wie Somalia, Nordkorea oder die Zentralafrikanische Republik. Als Betrachter kann man noch weiter gehen und sagen: "Streets of the World" ist eigentlich radikal. Denn Swolfs stellt die Orte ohne Gewichtung nebeneinander und durcheinander, lediglich geografisch geordnet - friedliche Länder neben Diktaturen und Orten, an denen Verbrechen gegen Mensch und Umwelt an der Tagesordnung sind. Und das, ohne sich in Landschaften oder Architektur zu flüchten, nach dem Motto "Schönheit gibt es überall". Er zeigt die Menschen. Dort, wo sie eben sind. So, wie sie eben sind. Die Straßen sind die Bühnen ihres Alltags, auch unter schlimmsten Bedingungen.

In Kuwait schießen Erwachsene auf Kinder und umgekehrt - aber mit Wasserpistolen

Das erste Bild für das Projekt entstand 2006 in der Republik Moldau. Seitdem reiste der heute 43-Jährige mehr als sieben Jahre lang kreuz und quer um die Erde. Das Ergebnis sind Wimmelbilder für Erwachsene, die Swolfs inzwischen in einem Bildband zusammengefasst hat und in einer Wanderausstellung präsentiert. Kleine Geschichten sind darin versteckt und wiederkehrende Motive, wie etwa Fußballtrikots.

Mal zeigen seine Bilder schreiende Armut, mal die Kontraste zwischen Tradition und Moderne. In La Paz überquert eine Frau in bolivianischer Tracht vor einer Skyline aus Hochhäusern und Bergen eine Brücke. In Kuwait schießen Erwachsene aus SUVs im Vorbeifahren auf Kinder und diese feuern zurück - alle mit riesigen Wasserpistolen. Es ist Nationalfeiertag.

Ein Langzeitprojekt bedeutet auch, dass manche Aufnahmen am Ende schon wieder überholt sind, oder positiv ausgedrückt: historischen Wert haben. Straßenzüge haben sich verändert, Regierungen wurden in der Zwischenzeit gestürzt. Eines der ersten Bilder der Sammlung zeigt einen Jungen beim Suchen nach Essensresten in einer Mülltonne in Kairo - ein Jahr vor Beginn des Arabischen Frühlings. Schon damals habe er gespürt, dass in Ägypten enorme Spannung in der Luft lag, sagt Swolfs.

"Streets of the World" zeigt überraschend heitere Momente an konfliktreichen Orten. Aber auch bittere, je länger man sie auf sich wirken lässt. Für Syrien steht eine Familie in einem Flüchtlingslager im Libanon. "Ich habe diese Szene als repräsentativer für die Situation empfunden als eine Straße in Damaskus", erklärt Swolfs.

Sein Optimismus habe durchaus Dämpfer bekommen während seiner Reisen, gibt der Fotograf im Begleittext seines Buchs zu. Etwa durch die Erkenntnis, dass die Millionen Fahrräder aus dem Hanoi der 1990er-Jahre mittlerweile offenbar alle durch luftverpestende Scooter ersetzt worden sind. Rückblickend erzählt Swolfs, die Weltreise sei das Abenteuer seines Lebens gewesen. "Aber ich werde das nie wieder tun!" Er lacht, als er das sagt. So lange allein unterwegs zu sein, das sei etwas zu extrem gewesen für eine Wiederholung. Es seien zu viele Tage und Nächte allein mit einem Projekt gewesen, das sich zwischendurch endlos und manchmal auch zu ehrgeizig anfühlte.

Globale Projekte wie "Streets of the World" scheinen zurzeit einen Nerv zu treffen. So macht die Rumänin Mihaela Noroc mit ihrem "Atlas of Beauty" von sich reden, für den sie jahrelang in Dutzenden Ländern Frauen porträtiert hat. Der deutsche Globetrotter Michael Runkel hat sich zum Ziel gesetzt, auf seinen Trips um die Welt nach und nach alle Unesco-Welterbestätten abzulichten. Swolfs selbst nennt auf die Frage nach Vorbildern den Franzosen Yann Arthus-Bertrand, der seit Jahrzehnten durch seine Luftaufnahmen beeindruckt, die die Welt als Ganzes in den Blick rücken, etwa im von der Unesco geförderten Projekt "Die Erde von oben".

Derzeit versucht Swolfs, seine Ausstellung auf das Berliner Tempelhof-Gelände zu bringen, mit einer riesigen Open-Air-Weltkarte auf dem ehemaligen Rollfeld. Das wäre eine perfekte Location für den nächsten Sommer, findet der Niederländer. "Wo früher die Berliner in die Welt aufbrachen, könnten wir nun die Welt nach Berlin bringen." Bei den Besuchern seiner jetzigen Schau in der Nähe von Amsterdam spüre er eine Sehnsucht danach, in Zeiten von Hasspropaganda und Fake News etwas "Echtes" zu sehen, "einfach eine Sache, die ein einzelner Typ gemacht hat". Aber er weiß auch: "Meine Botschaft wird nicht allen gefallen."

Dabei sei das Ganze letztlich simpel, findet Swolfs, "weder superphilosophisch noch höhere Physik". Auf der Welt sei es "nicht so schlimm, wie wir denken", sagt Swolfs: "Wir sollten nicht so viel Angst haben." Das Negative sei ohnehin schon von morgens bis abends überall, deshalb zeige er lieber Gemeinsamkeiten. Die Betrachter können dabei durchaus überraschende finden: pinke Häschen und betrunkene Pinguine zum Beispiel.

Die Ausstellung "Streets of the World" macht bis 1. April 2018 im Hembrugterrein, Zaandam, am Rand Amsterdams Station. Der gleichnamige Bildband ist auf Englisch bei Lannoo Publishers erschienen.

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