Ostdeutschland:Die Mieten steigen, die Leerstände auch

Hoyerswerda

Altstadt von Hoyerswerda. Die sächsische Stadt gehört zu den ostdeutschen Kommunen, die nicht vom Boom der Großstädte profitieren. Während die Bevölkerungszahlen in Leipzig, Dresden und zuletzt auch in Chemnitz steigen, ziehen die Menschen von ländlichen Regionen weg.

(Foto: Regina Schmeken)

Der Immobilienmarkt ist gespalten. Einerseits gibt es eine wachsende Zahl von Boomstädten, andererseits immer mehr abgehängte Landstriche. Und nun?

Von Steffen Uhlmann

Hört sich toll an: Die Bevölkerungszahlen in den Städten steigen. Die Leerstände gehen zurück. Nicht nur angesagte Groß-, sondern auch Mittelstädte werden immer attraktiver. "Es tut sich was im Osten", sagt Claudia Hoyer, Vorstand der TAG Immobilien AG. "Die Zeiten der Abwanderung sind lange vorbei." Hoyer, deren Unternehmen in ganz Deutschland mehr als 80 000 Wohnungen bewirtschaftet, stützt ihr Urteil auf den "Wohnungsmarktbericht Ostdeutschland 2017", den die TAG gerade veröffentlicht hat.

Das Immobilienberatungsunternehmen Wüest Partner hatte für den Bericht 27 ostdeutsche Groß- und Mittelstädte analysiert und dabei unter anderem herausgefunden, dass die Nachfrage nach Wohnungen nicht nur in den bekannten ostdeutschen Metropolen und Schwarmstädten wie Berlin, Leipzig, Dresden, Potsdam oder Rostock und Jena steigt. Auch in kleineren oder wenig beachteten Kommunen wie etwa Gera, Eisenach, Görlitz, Cottbus oder Merseburg wachse die Bevölkerung wieder und damit verringerten sich auch die Leerstände dort. Alle untersuchten Städte seien Zuzugsgewinner, versichert Hoyer, die mehr und mehr im Osten gute Rendite-Chancen für Anleger sieht. "Die Trendwende ist geschafft, nur leider noch nicht in allen Köpfen angekommen."

Das mag aus Sicht Hoyers stimmen. Doch Kritiker der ostdeutschen Zustände wie Iris Gleicke (SPD) haben ganz andere Daten und Aussichten für Ostdeutschland im Kopf. Die noch amtierende Ostbeauftragte der Bundesregierung warnt vor einer gewaltigen neuen Leerstandswelle, die den Osten in den nächsten 15 Jahren zu überrollen droht. Und auch Gleicke stützt sich dabei auf aktuelle Analysen, die zum Beispiel das Ifo-Institut Dresden angestellt hat. Ob Hoyerswerda, Stadtilm, Waren, Aschersleben oder Zeitz - der Boom ostdeutscher Großstädte geht an diesen Kommunen meilenweit vorbei, heißt es. Schon jetzt stehen nach Ifo-Berechnungen in Ostdeutschland 600 000 Wohnungen leer. Diese Zahl werde sich bis 2030 auf 1,1 bis 1,2 Millionen verdoppeln, schätzt der stellvertretende Ifo-Chef Joachim Ragnitz. Damit werde die Leerstandsquote von derzeit neun auf 14 Prozent steigen. Und dafür müsse es, schwant Rangnitz, "irgendeine Lösung" geben.

Immobilienkäufer weichen in die Umgebung der Metropolen aus und heizen dort die Preise an

Wer aber hat nun recht? Beide, wenn man die erheblichen regionalen Unterschiede berücksichtigt, die den Osten anno 2017 prägen - hier weite abgehängte Landstriche, dort eine gewachsene Zahl von ostdeutschen Boomstädten, von denen die Regionen drumherum mehr und mehr profitieren. Die ostdeutschen Bundesländer müssen zwar in den nächsten beiden Jahrzehnten nach allen seriösen Prognosen weiterhin mit drastisch sinkenden Bevölkerungszahlen fertig werden. Zugleich aber verzeichnen die mit den Jahren herausgebildeten ostdeutschen Metropolkerne ein Bevölkerungswachstum, das die dazugehörigen Regionen deutlich stärken können. So wird zum Beispiel der Freistaat Sachsen (4,1 Millionen) bis 2035 nach den günstigsten Prognosen noch einmal 150 000 bis 200 000 Einwohner verlieren. Leipzig, Dresden und zuletzt auch Chemnitz gewinnen dagegen an Bevölkerung dazu - mit allen positiven wie negativen Folgen für den Wohnungsmarkt.

Die Mietpreise sind laut TAG-Bericht in 24 der 27 untersuchten Groß- und Mittelstädte seit dem Jahr 2012 deutlich gestiegen: In Leipzig allein um 25 Prozent. Das ist hinter Berlin (33,4 Prozent) der zweitgrößte Anstieg in diesem Zeitraum. Aber auch zehn weitere ostdeutsche Städte verzeichnen in den letzten fünf Jahren zweistellige Zuwachsraten, was immer mehr Menschen zwingt, ihre angestammten Wohnkieze zu verlassen.

In dem zum zweiten Male veröffentlichten Wohnungsmarktbericht werden diesmal auch die Wohnkostenbelastungen in den einzelnen Städten untersucht. Wenig überraschend dabei ist, dass das Wohnen in Berlin und im angrenzenden Potsdam nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch in Relation zum verfügbaren Nettoeinkommen weit teurer als in allen anderen ostdeutschen Regionen ist. In Berlin müssen Haushalte mittlerweile fast ein Drittel ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben, in manchen Teilen sogar schon mehr als die Hälfte. In Potsdam wiederum liegt man fast bei 30 Prozent, in angesagten Städten wie Jena und Weimar auch schon bei über einen Viertel des verfügbaren Einkommens.

Die wachsende Zahl von Einzelhaushalten verschlimmert die Lage noch

Schließlich sind auch die Preise für Wohneigentum in den untersuchten Städten erheblich gestiegen. Dabei zeigt sich gerade hier, dass Käufer mehr und mehr in die Umgebung der Metropolen ausweichen und sie damit auch dort die Preise (Neubau wie Bestand) kräftig anheizen. So verzeichnet das nordwestlich von Berlin gelegene Nauen bei den Neubaupreisen ein Plus von fast 63 Prozent. Strausberg, die Garnisonsstadt im östlichen Berliner Speckgürtel, kommt bei den Bestandsbauten gar auf Preissteigerungen von 75 Prozent. Dennoch seien, so der Bericht, die Kaufpreise jenseits der Berliner Stadtgrenze immer noch günstig, gegenüber Westdeutschland sowieso. So zahle man in Strausberg trotzt enormer Steigerung in den letzten fünf Jahren bei Eigentumswohnungen durchschnittlich nicht mehr als 1600 Euro pro Quadratmeter - etwa die Hälfte des aktuellen Berliner Quadratmeterpreises. Absoluter Spitzenreiter in der Kaufpreisentwicklung für Neubauten ist übrigens Eisenach in Thüringen. Hier hat sich das Wohneigentum im Neubau um fast 110 Prozent verteuert und liegt nun bei rund 2000 Euro pro Quadratmeter.

Es ist nicht nur der Zuzug, der die Preise in den ostdeutschen Metropolen in die Höhe treibt. Auch die wachsende Zahl von Einzelhaushalten verstärkt die Dynamik. Allein in Berlin wuchs die Zahl der Haushalte binnen Jahresfrist erneut um mehr als drei Prozent. Dabei sind dort bereits über die Hälfte aller Haushalte Single-Haushalte. In Schwerin, der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns (MVP), stieg die Zahl der Haushalte sogar um neun Prozent. Doch gerade Schwerin und MVP überhaupt zeigen die ostdeutsche Gemengelage. Während sich Schwerins Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD) darüber freut, dass die Stadt 2016 fast 2200 Rückkehrer, vornehmlich aus dem Westen, verzeichnen konnte, muss das ganze Land nach zwei beinahe ausgeglichenen Jahren wieder mit mehr Fort- als Zuzügen fertig werden. Und eine erneute Trendwende ist nicht in Sicht, trotz wachsender Attraktivität des ostdeutschen Urlaubslandes.

Ostbeauftragte Gleicke sieht angesichts des hohen Leerstandes, des Mangels an altersgerechten Wohnungen und des überaus hohen Altbaubestandes weiterhin erheblichen Handlungsbedarf für die strukturschwachen Ostgebiete. Dabei braucht es in den bislang abgehängten ostdeutschen Regionen neben Abriss und Rückbau auch Neubau, um im anziehenden Standortwettbewerb der Kommunen bestehen zu können. Axel Gedaschko, Präsident des GdW Bundesverbands der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen, jedenfalls ist überzeugt, dass es mit Abriss und Rückbau alter Bestände längst nicht getan ist. Benötigt werde qualitativer Ersatzneubau für Häuser, die nicht mehr als "Durchschnittsware" seien, sagt Gedaschko. Abwanderung lasse sich nun mal am besten mit attraktiven Wohnungen bremsen.

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