Berlin:Schwaben raus!

Der "Porno-Hippie-Schwabe" ist der Lieblingsfeind des Berliner: Warum die sympathischen Menschen aus Deutschlands Südwesten bei den Hauptstädtern so verhasst sind.

Charlotte Frank

Hanoi, da hatte man nach dem turbulenten Sommer gerade gehofft, der Streit hätte sich gelegt, und die Schwaben könnten endlich wieder unbehelligt im Prenzlauer Berg durch die Biomärkte und Latte-Macchiato-Bars streifen. Und dann das: Das Stadtmagazin Zitty fragt die Berliner nach ihren Lieblingsfeindbildern. Ungeschlagen auf Platz eins landet dabei: der "Porno-Hippie-Schwabe"!

Albert Einstein

Baden-Würrtembergs Ministerpräsident Günther Öttinger.

(Foto: Foto: dpa)

Abgesehen davon, dass dem Außenstehenden diese Wortschöpfung eher absurd erscheint - hatte man das schwäbische Gemüt doch bislang selten mit Pornos oder Hippietum in Verbindung gebracht -, erschüttert daran vor allem, dass der Südwesten Deutschlands nicht zum ersten Mal Prügel in der Hauptstadt bezieht. Schon im Sommer hatte sich die Wut auf die Neulinge in zahlreichen Graffiti ("Schwaben raus!") im Prenzlauer Berg und in Demonstrationen total großstädtischer Kleingeister entladen. Mit Postern wie "Spießig, überwachungswütig, kein Sinn für Berliner Kultur - Was wollt ihr hier?" blies eine selbsternannte Kiezguerilla zum Endkampf gegen die Invasoren aus Esslingen, Reutlingen, Böblingen.

Es dimpfelt in der Hauptstadt

Nun lässt sich wohl kaum leugnen, dass mit Häuslebauern und Hausbesetzern, mit Sparsamkeit und politisch verordnetem Sparzwang und mit schaffen und schlurfen zwei eher komplementäre Mentalitäten aufeinander treffen. Aber vergessen wir nicht: Albert Einstein war Schwabe, Hermann Hesse auch. Hugo Boss ist einer, Klinsi und Günther Oettinger. Allesamt: Herausragende Sympathieträger.

Der Berliner Hip-Hop-Aktivist Jenz Steiner versucht, den neuen Schwabenhass in seinem Internetblog zu erklären: "Ich bin frustriert, wenn mir Leute ihre Dorf- und Kleinstadtmentalität überhelfen wollen." Überhelfen, das muss Schwäbisch sein. "Ich habe ein Problem mit Leuten, die von meiner Stadt nur nehmen und nicht bereit sind, ihr zurückzugeben, was sie ihr permanent entziehen", schreibt er weiter.

Man muss vielleicht selber Schwabe sein und in Berlin leben, um dem etwas entgegensetzen zu können. So wie Hartmut Häußermann. Häußermann ist Professor für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität, in Waiblingen geboren und vor mehr als 20 Jahren aus Schwaben nach Berlin gezogen. Er lebt im Prenzlauer Berg, und als dort im Sommer demonstriert wurde, konnte er den unerschrockenen Kämpfern gegen die "Schwabenmafia" von seinem Balkon aus auf die Köpfe schauen. "Das lief als Protest gegen Gentrifizierung", sagt er, also gegen die Aufwertung der Häuser - und die damit verbundene Mietpreissteigerung. "Ist doch klar, dass solche Leute ein Feindbild konstruieren müssen", sagt er. Also die Schwaben.

Zugewanderte aus deutschen Städten stellen inzwischen 34 Prozent der Berliner Bevölkerung. Wie viele von ihnen aus Schwaben kommen, weiß kein Mensch. Fest steht nur: Die Neuen sind im Schnitt reicher, besser ausgebildet und jünger als die gebürtigen Berliner. Gerade erst kam in der Berlin-Studie der Hertie-Stiftung heraus: 76 Prozent der deutschen Binnenmigranten geben berufliche Gründe für den Zuzug an - während in Berlin gerade mal 42 Prozent der Menschen einen Job haben, von dem sie ohne Transferleistungen überhaupt leben können.

So kommt mit den Zuwanderern oft Geld und ein gesteigerter Lebensstandard in die Stadt, viele von ihnen sind klassische "Gentrifizierer". Häußermann vermutet: "Womöglich potenzieren sich im klassischen Schwabenbild - sparsam, fleißig, ordentlich - alle Eigenschaften, die diese Prozesse beschleunigen." Dass gerade unter den jungen Menschen, die neu nach Berlin kommen, viele Baden-Württemberger sind, kann auch er sich vorstellen: "Die fliehen vor Kehrwoche und Enge und suchen in Berlin buchstäblich das Weite", sagt er.

Schnösel und Agenturfuzzies

Ein kleiner Trost mag da höchstens sein, dass das nicht allein die Schwaben trifft. Auch andere, ob aus Lübeck, Bonn oder Kassel, werden beschimpft - ebenfalls als "Schwaben". Ein Blick in den Hass-Blog von Jenz Steiner klärt auf: "In Berlin hat sich das Wort ,Schwabe‘ für einen gewissen Schlag Menschen eingebürgert, der für Bohemian Bourgeois, für Schnösel, Yuppies, Agenturfuzzies und hippe Neureiche steht." Auch Zitty erklärt losgelöst von regionalen Verortungen: Der Porno-Hippie-Schwabe sei "die wohlhabende Weiterentwicklung des Latte-Macchiato-Trinkers, der in aller Regel in den Medien oder in der Werbung arbeitet". Das Ganze verhält sich also ähnlich wie mit der Verachtung des Bayern für den Preußen. So schimpft der Bayer alle Menschen, die außerhalb seiner freistaatlichen Stammesgebiete leben. Auch ein Schwabe kann folglich ein Preuße sein. Das sollte man mal den Preußen in Berlin erzählen.

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