Wasserversorgung in den USA:Wie Millionen Amerikaner ohne Wasser leben

Häuser in Detroit

In vielen Vierteln von Detroit ist die Wasservorsorgung schlecht.

(Foto: REUTERS)
  • In mehreren US-Städten können die Bürger die Wasserpreise kaum bezahlen. Die Infrastruktur ist marode.
  • Auch Detroit ist betroffen. Trotz Bemühungen ist keine Lösung in Sicht.
  • Doch es gibt Bürger, die den Kampf ums Wasser noch nicht aufgegeben haben.

Von Milena Hassenkamp, Detroit

Scham. Dieses Gefühl verbindet Valerie Blakely mit Wasser. Denn Wasser ist etwas, das sich die Frau aus Detroit nicht leisten kann. Sie steht neben der sogenannten "blue line of shame". Die blaue Linie über dem Wasseranschluss in ihrem Vorgarten in Detroits Northend zeigt an, dass in ihrem Haus das Wasser abgestellt werden soll. Die 42-Jährige hat ihre Rechnungen nicht bezahlt. Sie will nicht akzeptieren, dass so etwas möglich ist, in einer der 50 größten Städte der USA.

Es ist früh am Morgen. In Blakelys Straße ist es still. Aus ihrem Haus hört man nur die Rufe der erwachenden vier Kinder, die Blakely gleich zur Schule fahren wird. Die Mutter lebt in einer Gegend, in der etwa jedes zweite Haus leer steht und die Gärten verwildern. Blakely ist 2008 hierher gezogen, nachdem sie und ihr Mann ihre Hypothek in dem Haus am Stadtrand nicht mehr bezahlen konnten. Die Fabrik, in der ihr Mann arbeitete, wurde geschlossen, er verlor seinen Job, dann wurden sie von der Bank vor die Tür gesetzt. Eine typische Geschichte in Detroit.

Vier Jahre ist es her, dass Valerie Blakelys Kampf um das Wasser begann. Alles fing damit an, dass Detroit 2013 bankrott ging und von einem Insolvenzverwalter übernommen wurde. Die gewählten Politiker der Stadt hatten kein Mitspracherecht, als der Notfallmanager die Wasserwerke auslagerte. Der Betrieb gehört nun nicht mehr der Kommune, sondern dem Regionalversorger Great Lakes Water Authority - und der geht härter gegen Menschen vor, die ihre Rechnungen nicht zahlen: Wer mit den Zahlungen zwei Monate im Rückstand ist oder mehr als 150 Dollar schuldet, dem werde das Wasser abgestellt.

Das trifft auch die Blakelys. Im Winter 2013 brechen in ihrem Haus die Wasserrohre. Mit den unerwarteten Reparaturkosten schaffen sie es nicht mehr, die Rechnungen zu bezahlen. Zu Beginn des Jahres 2014 haben sie 1200 Dollar Wasserschulden - viel Geld für ein Paar mit fünf Kindern, dass sich nicht einmal eine Krankenversicherung leisten kann. Valerie ist arbeitslos, ihr Mann arbeitet stundenweise als Mechaniker. Aber sie sind nicht die Einzigen, die Probleme haben. Im Jahr 2014 liegen die Kosten für unbezahlte Wasserrechnungen in Detroit bei 89 Millionen Dollar. Über den Wasseranschlüssen in Blakelys Straße leuchten blaue Linien.

An einem Morgen im Februar trinkt Valerie Blakely ihren Kaffee und schaut dabei aus dem Fenster, als sie einen Mann sieht, der im Garten an ihrem Wasseranschluss hantiert. Blakely rennt aus dem Haus und stellt sich auf die blaue Linie. "Sie werden mir das Wasser heute nicht abstellen!", sagt sie bestimmt. Der Mann dreht sich um und geht über die Straße. Er stellt das Wasser bei Valeries Nachbarin ab. Dann geht er weiter von Haus zu Haus. Blakely schreibt einen Post auf Facebook und bittet um Hilfe für das Viertel. Innerhalb von einer Stunde bringen Menschen Hunderte Liter Wasser in Kanistern.

Wasserversorgung in den USA: Valerie Blakely leidet unter der schlechten Wasservorsorgung.

Valerie Blakely leidet unter der schlechten Wasservorsorgung.

(Foto: oh)

In den nächsten zwei Wochen ist Blakely die Einzige mit Wasseranschluss. Ihre Nachbarn kommen zu ihr, wenn sie kochen, sich waschen oder das Haus putzen möchten. Sie müssen sich entscheiden, wofür sie das wenige Wasser verwenden. Die 86-jährige Frau Smith von nebenan schafft es kaum, die schweren Kanister in ihr Haus zu tragen. Wenn Blakely davon spricht, sind die Tränen wieder da. Das Jahr 2014, die vielen Demonstrationen und Versammlungen haben sie zur Aktivistin gemacht. Heute ist sie Mitglied der Bürgerorganisation "We the people of Detroit".

3000 Häuser werden innerhalb einer Woche vom Wasser abgeschnitten, ganze Viertel verlieren ihr Wasser. Zwischen Anfang 2014 und Ende 2017 werden insgesamt mehr als 100 000 Haushalte davon betroffen sein. Sogar die UN schalteten sich ein und stellten fest: Den Wasserzugang zu verweigern, verstieße gegen geltende Menschenrechtskonventionen.

Detroit ist in den USA nicht die einzige Stadt, in denen Menschen ihre Wasserrechnung nicht bezahlen können. Seit 2010 sind die Preise für Wasser kontinuierlich gestiegen. 14 Millionen Haushalte in den USA können sich laut einem Bericht der Michigan State University Wasser nicht mehr leisten. Es gibt kein Gesetz, das ihnen eine Wasserversorgung zusichert. Und die Krise dürfte sich weiter verschärfen: Die Forscher rechnen damit, dass die Wasserpreise in den nächsten vier Jahren um 41 Prozent steigen müssten, um die Reparaturkosten für marode Infrastruktur zu decken. Nach diesen Berechnungen wären im Jahr 2020 etwa ein Drittel aller US-Haushalte nicht mehr imstande, ihren Wasseranschluss zu bezahlen. Die NGO Circle of Blue hat die Veränderungen der Wasserpreise in 30 Städten der USA innerhalb der letzten sieben Jahre untersucht und dramatische Unterschiede gefunden. Ein Vier-Personen-Haushalt zahlte 2015 im kalifornischen Fresno 40 Dollar, in Atlanta im Bundesstaat Georgia dagegen 326 Dollar im Monat für den Wasseranschluss.

Keine dauerhafte Lösung

In manchen Städten gibt es Überlegungen, die Wasserkosten an das Einkommen anzupassen. Detroits Water and Sewage Department hat erstmals einen Finanzierungsplan entwickelt, mit dem Haushalte mit der Unterstützung eines Fonds ihre Schulden begleichen können. Sobald sie eine blaue Markierung erhalten, haben sie etwa zehn Tage Zeit, sich um eine Finanzierung zu kümmern. Dann wird das Wasser abgestellt.

Eine dauerhafte Lösung für das Problem ist der Finanzierungsplan nicht, findet Peter Hammer, Jura-Professor an der Wayne State Universität in Detroit. Er berät die Bürgerorganisation "We the people of Detroit" und leitet das Zentrum für Bürgerrechte an seiner Universität. "Die Wasserkosten sind für viele Detroiter einfach zu hoch", erklärt Hammer. Denn viele zahlten nicht nur für sich selbst, sondern auch für die leer stehenden Häuser nebenan, wenn das Wasser dort nicht abgestellt wurde, dort Leitungen brechen und Wasser ausläuft. "Wer eigentlich nur etwa 75 Dollar zahlen sollte, kann so mitunter auf 200 Dollar im Monat kommen."

"Die Stadt hat zu ihrem eigenen Niedergang beigetragen."

Hammer setzt sich deshalb mit seinen Mitstreitern dafür ein, dass für die arme Bevölkerung ein Zahlungsplan aufgesetzt wird, wonach keiner mehr als zwei oder drei Prozent seines Einkommens für Wasser ausgeben soll. Bei einem Einkommen von 26 325 Dollar wie es in Detroit dem Jahresdurchschnitt entspricht, wären das etwa 526 Dollar. Zum Vergleich: Derzeit zahlt ein Haushalt in Detroit im Schnitt 848 Dollar im Jahr. Für Hammer ist die Rechnung einfach: "Wenn Kritiker sagen: 'Die wollen einfach ihre Rechnung nicht zahlen', dann antworte ich: 'Es ist Armut, Dummkopf! Das ist etwas, das viele nicht verstehen."

Eine Armut, an der die Stadt laut Hammer nicht unschuldig ist, denn die Regionalisierung helfe vor allem den Vororten, während sich die Stadt Reparaturkosten für marode Infrastruktur immer noch nicht leisten könne. "Die Stadt hat mit ihrem Wassersystem zu ihrem eigenen Niedergang beigetragen", sagt Peter Hammer. "Das Detroiter Wasser hat die ,White flight' erst ermöglicht", erklärt Hammer den historischen Niedergang Detroits: die Flucht der Weißen in die Vororte. Weil Detroit auch die Vororte mit Wasser versorgte, war es der weißen Bevölkerung möglich, dort neu zu bauen. Das Ergebnis: 80 Prozent der Stadtbevölkerung ist schwarz, die Weißen leben in den Vororten. 40 Prozent der Menschen in Detroit leben unterhalb der Armutsgrenze. Steuern werden vor allem jenseits der "8 Mile", der Trennung zwischen Stadt und Vororten, bezahlt - und fehlen der verarmenden Stadt. "Wasser und Rasse", sagt Hammer deshalb, "hängen in Detroit zusammen."

Valerie Blakely kehrt der blauen Linie in ihrem Garten den Rücken und geht zu ihrem Haus zurück. Sie muss dafür sorgen, dass die Kinder rechtzeitig fertig werden. Duschen, Zähneputzen. Noch geht das problemlos. Seit der Detroiter Wasserkrise 2014 wird nicht mehr ganzen Vierteln auf einmal das Wasser abgestellt. 2017 waren dennoch etwa 17 000 Haushalte betroffen. Blakely weiß, wenn "die Wasserleute" kommen, dann meinen sie es ernst: "Heute kommen sie mit bewaffneter Security, wenn sie dir das Wasser abdrehen." Diesmal wird sie sich nicht einfach auf ihren Zugang stellen können.

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