Portrait:Die Reisen des jungen G.

Franz Xaver Gernstl ist einer der bekanntesten Dokumentarfilmer im deutschen Fernsehen. Jetzt sucht sein Sohn Jonas in "665 Freunde" nach dem Sinn des Lebens - mit ganz ähnlichen Methoden.

Von Christiane Lutz

Die besten Antworten bekommt man oft auf die einfachsten Fragen. Auf ein "Echt jetzt?" ein "Ach so?" oder, wer es elaborierter mag, auf ein "Inwiefern?". Auch mit einem schlichten "Mhmm!" hat manch einer schon die abenteuerlichsten Geschichten zutage befördert. Jonas Gernstl, 33, Dokumentarfilmer, hat sich diese minimalistische Nachfragetechnik ganz offensichtlich von seinem Vater Franz Xaver Gernstl, 66, ebenfalls Dokumentarfilmer, abgeschaut. Der fährt seit Jahrzehnten für Gernstl unterwegs (BR) durch die Lande und führt mit Wildfremden mal lustige, mal tiefsinnige Gespräche. Dabei steht Gernstl immer mit im Bild. Das entspanne die Leute. So ist jetzt auch Jonas Gernstl mhmend und achsoend in etlichen Einstellungen seines Dokumentarfilms 665 Freunde zu sehen. Man hat als Kind berühmter Eltern schließlich meistens zwei Möglichkeiten: Man macht das Gegenteil von dem, was die Eltern tun; oder man macht das Gleiche.

Seit Jahren schon sitzt Jonas Gernstl mit im Schnittraum, wenn sein Vater mit Stunden an Bildmaterial von seinen Touren zurückkommt. "Das war meine Schule. Wie man Gespräche so führt, dass der Mensch sich öffnet", sagt er. Der Trick sei, diese unangenehmen Sprechpausen auszuhalten. Oft komme das, was jemand eigentlich sagen will, erst nachdem er eigentlich schon aufgehört hat zu reden. Von daher: auf keinen Fall zu früh reingrätschen. Auch von Papa gelernt.

Jonas Gernstl sitzt gerade mal nicht im Schnittraum, sondern auf einer Hotelveranda in El Calafate, Patagonien, und ist über Videotelefon in das Esszimmer seines Vaters in München-Schwabing geschaltet. Franz Xaver Gernstl wischt am Handy auf einer Weltkarte herum und versucht herauszufinden, auf welchem Breitengrad sein Sohn gerade Pinguine anschaut. Vergeblich. Jonas Gernstls Videobild zuckt mit den Schultern. Ein, zwei Stunden, dann könne er in der Antarktis sein, wenn er wolle. Ob er will, weiß er noch nicht.

Er setzt sich dem Vergleich mit seinen Facebook-Bekannten aus - und dem mit seinem Vater

Es gibt ein paar Dinge, die Jonas Gernstl, 33, noch nicht weiß. Soll er mit dem netten Spanier Silvester in Bogotá feiern? Aber auch: Was will er eigentlich vom Leben? "Mit 20 habe ich mir den 30-jährigen Jonas irgendwie anders vorgestellt", sagt er. Familienvater vielleicht, "oder reich. Oder erfolgreich. Oder zumindest mit irgendeinem Plan". Den Plan sucht er in Patagonien - und in 665 Freunde. In dem Dokumentarfilm, Gernstls Abschlussarbeit an der HFF, besucht er Menschen, mit denen er auf Facebook befreundet ist. Er will nachschauen, ob deren Leben wirklich so glückserfüllt ist, wie es für ihn online aussieht. Und wenn ja, wie die das hinkriegen. Da ist einer, der mit Jogginghosen viel Geld verdient (sehr glücklich), ein Pärchen, das seine guten Jobs gekündigt hat, um gestressten Städtern Outdoor-Erlebnisse verkaufen (total glücklich), und eine Frau, die nach einer Beziehungskrise jetzt ein Geschäft mit italienischen Möbeln führt (wird immer glücklicher).

Portrait: Gut, an seiner Fitness könnte er arbeiten, findet Jonas Gernstl. Wichtiger ist ihm aber die innere Zufriedenheit. Bloß: Wo findet er die?

Gut, an seiner Fitness könnte er arbeiten, findet Jonas Gernstl. Wichtiger ist ihm aber die innere Zufriedenheit. Bloß: Wo findet er die?

(Foto: Megaherz)

In 90 Minuten arbeitet sich Jonas Gernstl von Freund zu Freund vor und führt leicht grummelnd Lebenssinn-Gespräche mit vielen Denkpausen. Er selbst inszeniert sich dabei als müder Millenial, getrieben von längst klischeehaften Facebook-Fragen: Tue ich das Richtige? Sehe ich gut genug aus? Mache ich vorzeigbare Urlaube? Man könnte meinen, dass der Mensch mit Anfang dreißig etwas klüger ist und sich nicht mehr reflexhaft mit allem vergleicht, was andere in sozialen Netzwerken präsentieren. Stimmt aber offenbar nicht. Vielleicht liegt das auch daran, dass den Menschen über Facebook alternative, ebenso glückversprechende Lebenswege ständig unter die Nase gerieben werden.

Dieses Dilemma ist Franz Xaver Gernstl eher fremd. Er habe sich früher gern mit Frank Zappa verglichen. Wegen des Schnauzbarts. Sonst mit niemanden. Es verwundert ihn, wenn auf seinem auf Wunsch des BR betriebenen Facebook-Profil fremde Menschen begeistert auf ein Foto von ihm beim Pommes-Essen reagieren. "Bei meinen Eltern war das alles einfacher", sagt Jonas Gernstl. "Nach dem Sinn des Lebens zu fragen, war da eher Luxus." In einer Szene des Films filetieren Vater und Sohn gemeinsam Fische in der Küche und sprechen über Tiefsinniges. Früher, ja früher, sagt Franz Xaver Gernstl, da sei die größte Sorge gewesen, genug zu essen zu haben. "Also ist mein Problem, dass mein Leben toll ist?" fragt der Sohn. "Du hast kein Problem", sagt der Vater.

Natürlich ist es nicht nur der Vergleich mit den Facebook-Freunden, dem sich Jonas Gernstl in seinem Film aussetzt, sondern auch der Vergleich mit dem Vater. Franz Xaver Gernstls Arbeit ist mit etlichen Preisen ausgezeichnet worden, sein Doku-Format Gernstls Reisen läuft seit Beginn der Neunzigerjahre im BR, an Weihnachten führt ihn ein Spezial namens Gernstl unterwegs - wo sind die Bayern? nach Rom, wo er Exil-Bayern sucht. Er gründete außerdem die Produktionsfirma Megaherz, deren Geschäfte er noch immer führt. Mit Megaherz hat Gernstl etliche Serien und Filme produziert, auch die Doku Guerilla Köche und die Mitbewohner-Such-Serie Wer zieht ein? - bei beiden führte sein Sohn Jonas Regie. Auch 665 Freunde entstand bei der Firma Megaherz.

Portrait: 1983 gründete sein Vater die Firma, die heute auch seine Filme produziert.

1983 gründete sein Vater die Firma, die heute auch seine Filme produziert.

(Foto: oh)

Man hat als Kind, wenn man das Gleiche macht wie der Vater, wieder zwei Möglichkeiten: Entweder, man sagt sich los und will es alleine schaffen, oder man nutzt bestehende Verbindungen. Die Firma Megaherz seinen Film produzieren zu lassen, war für Jonas Gernstl nur logisch. Den Vater im Film auftauchen zu lassen und sich endgültig als Gernstl zu erkennen zu geben, sei "Flucht nach vorn". Wenn man weiß, dass sowieso alle wissen, wer dein Vater ist, kann man ihn auch gleich zeigen. Klar sei das ein Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Kommilitonen, aber was soll er machen? Jetzt plötzlich aufhören, mit dem Vater zu arbeiten, wo sie einander immer um Rat gefragt und viele Filme gemeinsam geschnitten und besprochen haben?

In 665 Freunde begegnet er auch Damir, der inzwischen Aufzugtüren zusammenschraubt, gern BMW fährt und recht zufrieden wirkt. Vielleicht, so eine schlichte Erkenntnis des Films, braucht das Leben gar nicht so viel Plan. Solang man etwas tut, das einen froh macht. Bis Jonas Gernstl das aber nicht mit Sicherheit sagen kann, bleibt er erst mal bei den Pinguinen.

665 Freunde, BR, 22.45 Uhr.

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