Konzertsaal im Werksviertel:370 Millionen Euro? Wer hat sich diese Zahl eigentlich ausgedacht?

Entscheidung für neues Münchner Konzerthaus

370 Millionen Euro soll der Konzertsaal im Werksviertel kosten.

(Foto: Cukrowicz Nachbaur/dpa)

Was der Münchner Konzertsaal kosten soll, verrät wenig über den geplanten Bau. Dafür aber sehr viel über die Misere der öffentlichen Baukultur.

Von Gerhard Matzig

Einundzwanzig Abgeordnete gehören dem Haushaltsausschuss im Bayerischen Landtag an. Einer davon bestätigt am Telefon, dass das Konzerthaus, das im Namen des Freistaates ab 2018 in München realisiert wird, "knapp unter 400 Millionen" kosten soll. Diese Summe kursiert im Landtag. Und auch im Kultusministerium des Bauherren Ludwig Spaenle weiß man um eine Summe von 370 Millionen Euro. Als Obergrenze.

In der SZ wurde bereits darüber berichtet. Nicht dass man Probleme hätte mit einer Summe, die einem nicht unbescheiden, aber auch nicht gigantomanisch vorkommt - angesichts eines komplex gelagerten Prestigeprojektes. Als Analogie im Autohandel: Für diese Summe bekommt man etwas aus der Oberklasse, auch wenn eine gut ausgestattete Fünfer-BMW-Architektur letztlich realistischer sein dürfte als ein Bau-Bentley. Die Zahl ist nicht grundfalsch, aber zugleich aus Gründen der Logik und der Baukultur blanker Unsinn und das Produkt fiebernder Hirne.

Es ist eine falsche Zahl, die auf unverantwortliche Weise zum falschen Zeitpunkt publik wurde - und die sehr wenig vom geplanten Bau verrät, dafür aber sehr viel über die Misere der öffentlichen Baukultur, die zu einer Unkultur des Quatschens und zu einer Brutstätte des Baukosten-Deliriums geworden ist. Auch deshalb wüsste man gern, wer sich diese Zahl eigentlich ausgedacht hat.

Wer also könnte am ehesten wissen, was ein ambitioniertes Projekt, das am Anfang steht, am Ende kostet? Die Architekten womöglich - als die Verfasser jener überraschend siegreichen Pläne, die nach einem insgesamt eher enttäuschend verlaufenen Wettbewerb nun zu beauftragen wären? Man ruft das junge österreichische Architekturbüro in Bregenz an. Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm haben Top-Büros wie Zaha Hadid Architects oder Jean Nouvel klar abgehängt.

Wenn man sich Nouvels Maikäferschachtel anschaut, die als Entwurfsarbeit im vierten Semester des Architekturstudiums eine 4,3 mit knapper Not erreichen könnte (noch bestanden und doch ein Desaster), kann man glücklich darüber sein. Auch wenn der spröde "Vor"-Entwurf eines "Klangspeichers" noch viele Fragen offenlässt. Zum Beispiel die nach einem Foyer, das von der Aula einer Gesamtschule der Siebzigerjahre kaum zu unterscheiden ist.

Und warum sich Architekten weigern, Eingänge statt Löcher in der Wand zu entwerfen. Weil aber Fragen offen sind nach Konstruktion, Materialität, Akustik oder Haustechnik, naturgemäß zum Zeitpunkt des Projektes, und weil die Planung "noch grob" ist, so Anton Nachbaur-Sturm, weigert er sich zu Recht, die 370 Millionen zu bestätigen. "Ich will und kann jetzt dazu nichts sagen. Das wäre fahrlässig."

Das wiederum bestätigt die Architekten als seriöse Repräsentanten einer Zunft, die erst überlegt, dann plant - und dann rechnet. Und nicht umgekehrt. Kommt die Zahl womöglich aus den Reihen der Jury? Anruf beim Vorsitzenden der Jury, Arno Lederer. "Auf keinen Fall", sagt er. Um so eine Zahl "halbwegs" zu berechnen, müsste man jetzt "zwei Architekten drei Monate lang entwerfen und kalkulieren lassen". Lederer ärgert sich über das Zahlengemurmel. Er hat davor gewarnt.

Hat Deutschland das Bauen verlernt?

Allein die Fassade des Klangspeichers, eine gigantische Glaskonstruktion, ist bis jetzt, da die Architekten noch nicht einmal beauftragt sind, mit intensiveren Planungen, in Haptik, Ästhetik oder Energetik völlig unbestimmt. Ein Quadratmeter Glas kann aber wenige Euro kosten - oder auch mal, siehe Elbphilharmonie, einige Zehntausend Euro. Dazwischen ereignet sich Architektur als Summe unzähliger Entwurfsoptimierungen, die im Idealfall sowie am Ende zu einem ausgewogenen Verhältnis ästhetischer, technischer, funktionaler und - selbstverständlich! - auch ökonomischer Aspekte führt. Mit der Betonung auf "am Ende". Nach der Vor- und Durchplanung und vor dem Bau.

Wer also war zu einem Zeitpunkt, da die Experten wissen, dass sie nichts wissen, so schlau, die 370 Millionen in den öffentlichem Raum des Raunens zu blasen? Man ruft beim zuständigen Bauministerium von Joachim Herrmann an. Dort heißt es, nein, das stamme "garantiert nicht" vom Minister, man findet die Diskussion "fahrlässig". Erstmals in der Öffentlichkeit platziert habe die Zahlen im Übrigen "der Herr Spaenle", der tatsächlich auf der fraglichen Pressekonferenz etwas von "Dreihundertundmehrmillionen" gemurmelt hat. Aber auch Spaenle hat sich das nicht ausgedacht. Wer dann?

Das Finanzministerium etwa? Das hat lange vor dem Jury-Entscheid und ohne Kenntnis der Entwürfe die Zahl als "vorläufige Kostenschätzung" (also nicht als "Kostenrahmen") fixiert. Angeblich aber "nur mit Hilfe" einer Kostenkalkulation der Bauverwaltung im Hause Herrmann, bei der man einfach drei wahllos herausgegriffene Konzerthäuser der Baugeschichte zum arithmetischen Mittel verrechnet haben soll. Als würde man sich "ein Stück Haus" an der Theke bestellen, wo man die Preise für Leberwurst leicht vergleichen kann.

Man kann die Sehnsucht nach einer Zahl als Sucht der Gegenwart beschreiben. Wobei die Öffentlichkeit das Bedürfnis teilt, ein Projekt messbar zu machen, um es einzuhegen. Das ist nicht unverständlich. Es illustriert ein tiefes Misstrauen. Klar, denn wohin man auch schaut: Irgendwo explodieren immer irgendwelche Baukosten mit einem lauten "Bouuumm".

Nach der "Bauherren-Studie 2017" liefen beispielsweise bei mehr als 70 Prozent der in den letzten fünf Jahren privat erbauten Häuser die Kosten aus dem Ruder. Und nur jedes zweite Eigenheim konnte fristgerecht bezogen werden. Man kann sich fragen, ob Deutschland, Hochburg der Gotik, Geburtsstätte des Bauhauses und überdies das Land mit der größten Architektendichte weltweit, das Bauen verlernt hat. Oder das Rechnen. Oder beides.

Eigentlich müsste man ja hoffen, dass abseits des privaten Bauens nach der Sehnsuchtsformel "Einmal im Leben" die öffentlichen Bauherren deutlich vorsichtiger umgehen mit den wirtschaftlichen Risiken am Bau. Denn sie sind die Treuhänder unseres Geldes. Das öffentliche Bauen speist sich schließlich aus Steuermitteln. Wo aber Kommunen und Länder, Ministerien und Ämter als Bauherren auftreten, zeigt sich die Nation als groteske Mischung aus Schilda und Schurkenstaat.

Eine Studie der Hertie School of Governance, die 170 öffentliche Großprojekte der letzten Jahre in Deutschland untersucht hat, kommt zu einer "durchschnittlichen Kostensteigerung" von 73 Prozent. Pro Projekt. Insgesamt wurden die Bauvorhaben um 59 Milliarden Euro teurer als ursprünglich berechnet. Das Bauen ist dabei, vom Versprechen und identitätsstiftenden Moment zur Zumutung degradiert zu werden. Die Skandal-Liste ist bekannt. Sie reicht von Limburg (Bischofssitz) bis Berlin (Flughafen), wobei ganz oben die Elbphilharmonie thront. Sie sollte erst 77 Millionen Euro kosten, eine tendenziell eh ziemlich absurde Idee, und 2010 fertig werden. Doch wurden daraus 2017 und 866 Millionen.

In der bayerischen Staatsregierung könnte man sich auch gedacht haben: Von den 866 Millionen Euro ziehen wir 77 ab und halbieren das Ganze (Elbphilharmonie-für-Arme-Faktor). So erhält man jenen Wert, der als "Kostenschätzung" nun herumvagabundiert und so gescheit ist wie ein Backstein. Eine Bitte an die Politik und andere Möchtegern-Bauherren: Erbarmt euch, lasst die Fachleute vorher ihre Arbeit machen, damit hinterher nicht schon wieder die Kosten explodieren.

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