Medizin:Die Neudefinition des gesunden Blutdrucks

Hausarzt

Bluthochdruck ist ein Risikofaktor für etliche Krankheiten.

(Foto: dpa)

In den USA gilt jetzt ein Wert von 130 zu 80 als Hochdruck. Damit ist fast die Hälfte aller Amerikaner betroffen. Was ist davon zu halten?

Von Werner Bartens

Gesunde gibt es nicht, nur Menschen, die nicht gründlich genug untersucht wurden. Blutwerte messen, Körperfunktionen testen, Bilder machen - irgendeine Abweichung wird sich schon finden, dazu sind die Diagnosemethoden mittlerweile ausgefeilt genug. Eine weitere bewährte Strategie, immer mehr Menschen zu Patienten zu machen, besteht darin, Grenzwerte zu senken. Gerade hat die American Heart Association, die Vereinigung amerikanischer Herzexperten, davon Gebrauch gemacht und die Schwelle zum Bluthochdruck nach unten korrigiert. Statt 140 zu 90 sollen fortan 130 zu 80 Millimeter auf der Quecksilbersäule (mmHg) als Grenze für den Druck gelten, mit dem das Blut durch die Adern pulsiert.

Sicherlich, ein hoher Blutdruck gilt als "stiller Killer" und gewichtiger Risikofaktor. Man spürt ihn nicht, man sieht ihn nicht, sofern nicht gerade der Kopf rot anläuft und fast zu platzen droht. Dabei können Schlaganfall, Herzinfarkt und Nierenversagen die Folge sein, wenn Menschen jahrelang an chronischem Hypertonus leiden. "Klar, wir werden mehr Leute zu Hochdruckpatienten machen und mehr Medikamente verordnen", sagt Kenneth Jamerson von der University of Michigan, der an der neuen Leitlinie beteiligt war. "Aber wir werden Leben retten und Geld sparen, indem wir Folgekrankheiten vermeiden. Es ist nur von Vorteil, so früh wie möglich mit der Prävention zu beginnen."

In der Praxis bedeutet dies, dass in den USA künftig 46 Prozent aller Erwachsenen die Diagnose Bluthochdruck verpasst bekommen - den alten Grenzwerten zufolge waren es 32 Prozent. Beträgt der obere Wert dezente 120 bis 129 mmHg, soll das bereits als "erhöhter" Druck gelten. Kritische Ärzte hatten schon anlässlich der Senkung des Grenzwerts für Cholesterin davor gewarnt, durch immer strengere Kriterien "Gesunde zu Kranken zu stempeln" und als Folge der "Krankmacherei" zu wenig Zeit und Geld für jene zu haben, die tatsächlich krank seien. Zudem würden Patienten durch immer strengere Grenzwerte demotiviert, weil sie befürchten, die strengen Vorgaben nie erreichen zu können.

Zwar betonen auch die Autoren der US-Leitlinie, die wohl bald europaweit übernommen wird, dass zunächst das individuelle Risiko berücksichtigt werden muss und Änderungen des Lebensstils angeregt werden sollten, bevor Medikamente gegeben werden. Doch da die meisten Menschen nun mal nicht mehr Sport treiben, gesünder essen, weniger Alkohol trinken und ihren Stress reduzieren, werden eben doch mehr Pillen verordnet. Zudem leiden bis zu 15 Prozent der Blutdruckpatienten unter "Weißkittelhochdruck", haben also nur vor Aufregung beim Arzt erhöhte Werte.

"Ich bin gegen die starke Senkung auf 130 zu 80, weil sie mit Nebenwirkungen einhergeht, der Nutzen für Herz und Kreislauf gegenüber 140 zu 90 aber zweifelhaft ist", sagt Michael Kochen, langjähriger Präsident der deutschen Allgemeinmediziner. "Bei einer so rasanten Verringerung des Blutdrucks ist das Risiko für Stürze erhöht, was gerade im Alter ein Problem ist." Zudem warnt Michael Kochen vor einer weiteren Senkung der Grenzwerte: "In zehn Jahren ist womöglich 120 zu 80 das Ziel, dann sind irgendwann alle erfasst."

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