Bundestag:Der Super-Ausschuss

Damit der Bundestag arbeitsfähig ist, solange noch keine Koalition steht, sollen die Abgeordneten einen "Hauptausschuss" einsetzen. Die Linke klagt, damit mache sich das Parlament zum "Anhängsel der Regierung".

Von Robert Roßmann, Berlin

Zwölf Jahre lang stand Norbert Lammert an der Spitze des Parlaments. Kein Bundestagspräsident hat sich stärker für die Rechte der Abgeordneten gegenüber der Regierung eingesetzt als Lammert. Und keiner hat die Abgeordneten so oft dazu aufgerufen, ihre Rechte auch wahrzunehmen. Im September hat sich der CDU-Politiker mit einer beeindruckenden Rede verabschiedet. Der Bundestag sei "nicht immer so gut wie er sein könnte und auch sein sollte", klagte Lammert. "Dass Parlamente Regierungen nicht nur bestellen, sondern auch kontrollieren", sei im Allgemeinen unbestritten; leider sei im parlamentarischen Alltag "der Eifer bei der zweiten Aufgabe nicht immer so ausgeprägt wie bei der ersten". Die zentrale Botschaft Lammerts war: "Hier im Deutschen Bundestag schlägt das Herz der Demokratie - oder es schlägt nicht."

Wenn dieses Credo gilt, muss man sagen: Derzeit schlägt das Herz der Demokratie nicht. Denn der Bundestag hat sich selbst stillgelegt, erst wegen der Sommerpause und des Wahlkampfes - und jetzt wegen der Regierungsbildung. Die letzte reguläre Sitzungswoche des Bundestages war im Juni. Seit der Wahl im September sind die Abgeordneten nur ein einziges Mal zusammengekommen - und auch das nur, um das Parlamentspräsidium zu wählen.

Früher dauerten Koalitionsverhandlungen noch nicht so lange

Bisher ist der neue Bundestag noch nicht einmal theoretisch arbeitsfähig. Denn die Abgeordneten verzichteten darauf, die mehr als 20 Fachausschüsse einzusetzen, die für einen geordneten Ablauf notwendig sind. Ein Antrag der Linksfraktion, wenigstens die im Grundgesetz vorgeschriebenen Ausschüsse - also etwa den Verteidigungs- oder den Auswärtigen Ausschuss - einzusetzen, wurde von den "Jamaika-Fraktionen" ausgebremst. Statt über den Antrag abstimmen zu lassen, überwiesen sie ihn mit ihrer Mehrheit an den Ältestenrat - und beerdigten ihn damit. Ohne die Ausschüsse funktioniert das Parlament aber nicht richtig. In den Ausschüssen werden Gesetzentwürfe und Anträge von den Fachpolitikern beraten, bevor sie im Plenum beschlossen werden.

Konstituierende Sitzung des Bundestages

Warten auf die nächste Bundesregierung: Die Wahl des Parlamentspräsidiums um Wolfgang Schäuble (CDU) war bisher die einzige bedeutende Aktivität des neuen Bundestags. Schäuble soll nun auch Chef des umstrittenen Hauptausschusses werden.

(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Bei Koalitionsverhandlungen könnte der Zuschnitt der Ministerien geändert werden - dies hätte auch Änderungen beim Zuschnitt der Ausschüsse zur Folge, da diese die Ressorts spiegeln. Die Mehrheit der Abgeordneten will deshalb die Regierungsbildung abwarten. Außerdem will sie wissen, wer Minister und Staatssekretär wird, bevor sie die Ausschussvorsitzenden wählt. Das sind nachvollziehbare Argumente, aber damit ordnen sich die Abgeordneten der Regierungsbildung unter. Außerdem könnten Ausschüsse, deren Vorsitzende Minister werden, anschließend problemlos einen anderen Abgeordneten an die Spitze wählen. Wolfgang Kubicki (FDP) hat sich ja auch gerade zum Bundestagsvizepräsidenten wählen lassen, obwohl er demnächst Minister werden könnte.

Weil Koalitionsverhandlungen und Sondierungen früher nicht so lange gedauert haben, war das Problem der Übergangszeit im Bundestag nicht so virulent. Willy Brandt (SPD) und Helmut Kohl (CDU) teilen sich den Rekord für die schnellste Regierungsbildung. 1969 und 1983 vergingen nur 24 Tage zwischen Bundestagswahl und Vereidigung der Minister. Von solch einer Geschwindigkeit sind Union, FDP und Grüne gerade weit entfernt. Selbst wenn bei den Jamaika-Verhandlungen alles gut geht, wird die neue Regierung erst in der zweiten Dezember-Hälfte stehen.

So lange kann das Parlament auch aus Sicht der Jamaika-Parteien nicht ohne Ausschüsse bleiben. Sie haben sich deshalb jetzt darauf verständigt, eine Art Super-Ausschuss einzuführen. Am kommenden Dienstag wollen sie - unterstützt von SPD und AfD - einen "Hauptausschuss" einsetzen. Er soll bis zum Abschluss der Regierungsbildung alle Aufgaben übernehmen, die ansonsten die Fachausschüsse erfüllen. Vorsitzender des Gremiums wird der neue Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der Ausschuss soll 47 Mitglieder haben. Außerdem sollen - auf besonderen Wunsch der Grünen - zwei der regulären Fachausschüsse, der Petitions- und der Geschäftsordnungsausschuss, eingesetzt werden.

Lediglich die Linksfraktion will gegen diese Lösung stimmen. "Die Jamaika-Verhandler können sich so viel Zeit lassen, wie sie brauchen - das ist gar kein Problem, vorausgesetzt wir haben einen arbeitsfähigen Bundestag mit funktionierenden Arbeitsgremien", sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte. Ein zentraler Hauptausschuss könne die Arbeit der vielen Fachpolitiker aber nicht ersetzen. Es wundere ihn schon, dass alle anderen Fraktionen "brav auf die Regierungsbildung warten und so lange auf die fachliche Auseinandersetzung in wichtigen Ausschüssen verzichten". Damit "degradieren sie den Bundestag zum Anhängsel der Bundesregierung, dabei sollte es genau andersherum sein", sagt Korte.

Nach der Bundestagswahl 2013 hatte das Parlament zum ersten Mal einen Hauptausschuss eingesetzt, auch damals dauerte die Regierungsbildung ungewöhnlich lange. Und auch damals gab es heftige Kritik an dieser Lösung, auch weil im Grundgesetz kein Hauptausschuss vorgesehen ist. Die Grünen verurteilten übrigens 2013 - anders als heute - die Einsetzung des Hauptausschusses. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf der damaligen Mehrheit aus Union und SPD "Willkür im Umgang mit dem Parlament" vor. Die künftigen Koalitionäre machten "das Parlament zum Abnickverein, statt ordentliche parlamentarische Beratung zu ermöglichen", sagte Göring-Eckardt. Um das zu ändern, müssten Union und SPD statt des Hauptausschusses "mindestens die im Grundgesetz vorgesehenen Ausschüsse einsetzen". Das war 2013, heute sehen die Grünen das nicht mehr so eng.

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