Vorschlag-Hammer:Zauberkünste

Die Münchner Autorin Sandra Hoffmann kreist in ihrem neuen Buch "Paula" unverhüllt um die eigene Kindheit, um die schwierige Großmutter. Bei aller Innenschau erfährt man dabei auch als unbeteiligter Leser aber auch einiges über unsere Gesellschaft, über Krieg und Traumata, die über Generationen weitergegeben werden

Kolumne von Antje Weber

November über dem Land, herabsinkende Dunkelheit über Giesing. "Laterne - Sonne, Mond und Sterne", singt es aus einem Kinderwagen. Und schon kommt das nächste Kind vorbei, den Vater neben sich. "Was ist denn los mit dir?", fragt der Vater. Und das Mädchen antwortet: "Ich bin verzaubert." Sagt das in schönster Beiläufigkeit, während es die Hände an den regennassen Autos entlanggleiten lässt. Scheint zu sagen: Ist halt so, passiert manchmal. Als ich mich umdrehe, sehe ich im Dämmerlicht nur noch einen rosa blinkenden Schulranzen weghüpfen. Verzaubert, keine Frage.

Wäre eigentlich ganz schön, jetzt ein Kind zu sein, von einer Fee mit Sternenstaub beworfen zu werden und - Pling! - mal kurz eine andere zu werden. Klappt aber nicht mehr so reibungslos. Ist halt so. Irgendwann haben die meisten von uns das leidlich akzeptiert und wundern sich nur noch ein bisschen. Darüber, dass sie sich auch ohne Fee schon so oft verändert haben in ihrem Leben - oder aber viel weniger, als sie sich das einst erträumten. Dann fangen sie an zu grübeln. Und dann schreiben sie vielleicht Bücher. Die helfen den Bücherschreibern, besser zu verstehen, wie sie die geworden sind, die sie gerade zu sein glauben. Und denen, die das lesen, hoffentlich auch.

Die Münchner Autorin Sandra Hoffmann zum Beispiel kreist in ihrem neuen Buch "Paula" unverhüllt um die eigene Kindheit, um die schwierige Großmutter. Bei aller Innenschau erfährt man dabei auch einiges über unsere Gesellschaft, über Krieg und Traumata. Am 25. November liest Hoffmann einmal mehr aus ihrem Buch (Bücher Krugg). Zuvor werden sich viele andere Autorinnen und Autoren beim Literaturfest zum eigenen Leben äußern; zum Beispiel Ariel Levy, an diesem Donnerstag mit Deborah Feldman und Elena Lappin in der Alten Bayerischen Staatsbank (Kardinal-Faulhaber-Straße 1, 18.30 Uhr). Levys Bekenntnisbuch "Gegen alle Regeln" ließ mich allerdings etwas ratlos zurück. Was genau sagt es über die (amerikanische) Gesellschaft aus, wenn diese New Yorkerin ihr Leben als zugleich erfolgsverwöhnte Journalistin und ziemlich blauäugige werdende Mutter präsentiert? Und was sagt mein Unbehagen wiederum über mich als Leserin aus? Sehr gerne habe ich dagegen Ijoma Mangolds fein gedrechseltes autobiografisches Buch "Das deutsche Krokodil" gelesen; der Literaturkritiker ist am 23. November in der ulkigen Kombination mit Catherine Millet im Literaturhaus zu Gast. Mangold jedenfalls schreibt unter anderem über Momente, in denen plötzlich eine Erkenntnis aufblitzt; Momente, in denen sich der Blick aufs eigene Leben für immer verändert. Das muss nicht immer schön sein. Nur mit sehr viel Glück handelt es sich in solchen Fällen ausnahmsweise um späte, spontane Verzauberungen.

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