Bernd Lange, Landrat im Landkreis Görlitz:Siemens-Management soll "selbst den Hintern heben und nach Görlitz kommen"

Geplante Siemens-Werksschließung - Görlitz

Siemens-Mitarbeiter protestieren am Donnerstagabend in Görlitz vor dem Werk gegen die geplante Schließung

(Foto: dpa)

Im Landkreis Görlitz in Sachsen könnten die Siemens-Pläne bis zu 2000 Arbeitsplätze kosten - in einer ohnehin strukturschwachen Gegend. Landrat Bernd Lange rätselt, warum Siemens das Werk in Görlitz schließen will.

Interview von Hans von der Hagen

SZ: Was bedeutet die Schließung des Siemens-Werkes in Görlitz für Ihre Region?

Bernd Lange: Es ist ein weiterer Tiefschlag. Die Region Görlitz hat neben Siemens nur noch zwei Industriebereiche: die Braunkohle und das Bahntechnikwerk von Bombardier. Alles steht zur Debatte. Darum ist das für uns eine extrem schwierige Situation. An der Braunkohle hängen hier mehr als 2000 Arbeitsplätze. Die schauen auch alle nach Berlin und wollen wissen, was zum Thema Ausstieg aus der Braunkohle kommt. Bombardier will die Standorte in Sachsen vorerst bis 2021 halten. Aber eben nur vorerst. Und jetzt haben wir Siemens mit einer klaren Aussage der Geschäftsführung, dass die Werke in Görlitz und Leipzig geschlossen werden sollen.

Laufen die Werke von Siemens hier so schlecht?

Ich kann nicht nachvollziehen, was da getan wird. Hier werden maßgeschneiderte Dampfturbinen gefertigt. Es geht hier nicht um Serienproduktion, sondern das, was hier gebaut wird, erfordert ein hohes Maß an Engineering-Kompetenz. Und die Bücher sind voll.

Bernd Lange, Landrat im Landkreis Görlitz: Bernd Lange, Landrat im Landkreis Görlitz in Sachsen

Bernd Lange, Landrat im Landkreis Görlitz in Sachsen

(Foto: oh)

Wie viele Zulieferbetriebe hängen an der Produktion?

Ich gehe davon aus, dass für jeden Arbeitsplatz bei Siemens zwei weitere bei Zulieferern wegfallen. Betroffen bei Siemens sind 900 Beschäftigte plus etwa 60 Leiharbeiter. Das bedeutet: Zusätzlich dürften 1500 bis 2000 weitere Stellen allein im Umfeld von Görlitz betroffen sein. Hinzu kommt, dass in der Region Kaufkraft fehlen wird. Das Unternehmen hat seine Mitarbeiter sauber nach Tarif bezahlt - die haben gut verdient. Das ist hier nicht immer üblich.

Hat Siemens für die Ansiedlung Fördermittel bekommen?

Im Detail kann ich das nicht sagen. Görlitz ist ja ein Traditionsstandort, für die Ansiedlung hat das Unternehmen also kein Geld bekommen - höchstens für den laufenden Betrieb.

Seit wann werden denn in Görlitz Turbinen gebaut?

Seit mehr als hundert Jahren. Dampfturbinen wurden gerade in Zeiten der Industrialisierung gebraucht - so lange schon gibt es den Standort hier. Darum hat Siemens die Anlagen nach der Wende dankend übernommen - es gab viele Fachkräfte und die kannten die Kraftwerkstandorte in Osteuropa gut.

Lange hofft darauf, dass Bund und Land eingreifen

Sehen Sie Chancen, das Werk doch noch zu retten?

Man sagt, dass Siemens ein innovativer Technologiekonzern sei. Ich verstehe nicht, dass das hier vorhandene Engineering-Wissen einfach weggeworfen wird. Hier könnten neue Technologien entwickelt werden, die man sicher auch bei Siemens gebrauchen kann. Wir werden darum kämpfen, dass das Werk hier eine Chance bekommt.

Haben Sie selbst schon mit Siemens gesprochen?

Gestern mit dem Betriebsleiter und dem Betriebsrat. Es hatte sich ja angedeutet, dass eine Entscheidung kommen würde. Es gab hier vor anderthalb Wochen schon Proteste mit 2000 Teilnehmern. In den nächsten Tagen werden wir uns auch noch bei Siemens in Berlin und München zu Wort melden.

War die Entscheidung jetzt nochmal ein Schock für Sie oder hatten sie mit den Schließungen in dieser Form gerechnet?

Dass man die Entscheidung nicht nochmal überdacht hat, war für alle hier ein Schock. Und dann lässt die Konzernleitung den Betriebsleiter die Entscheidung verkünden. Ich fordere das Management auf, selbst den Hintern zu heben und nach Görlitz zu kommen. Die sollen sich mal das Engagement der Leute ansehen.

Wie geht es nun weiter?

Wir haben Briefe an die Politik versandt und Appelle losgelassen. Nun werden wir den Kontakt zum sächsischen Wirtschaftsministerium intensiver suchen. Wir müssen auch mit dem Bund reden, wie man mit strukturschwierigen Räumen wie Görlitz umgeht. Wir haben Ideen, zum Beispiel vereinfachte Ansiedlungsmöglichkeiten für Unternehmen. Die Politik kann schon etwas machen, um den Strukturbruch, der sich hier andeutet, zu verhindern. Aber das muss bald passieren, sonst ziehen die Menschen hier weg, weil sie sich anderswo Arbeit suchen. Das wäre die nächste Katastrophe.

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