Abrissgerüchte:Viel mehr als ein Haus

Wer früher ins Arabellahaus ziehen wollte, musste einen Bürgen vorweisen. Auch einen Concierge gab es. Tempi passati. Das Gebäude ist in die Jahre gekommen. Nun ist sogar von Abriss die Rede

Von Anna Hoben

Es ist halt nicht mehr das, was es mal war. Vor 30 Jahren musste man noch einen Bürgen vorweisen können, wenn man ins Arabellahaus ziehen wollen. Auch einen richtigen Concierge habe es damals gegeben, erzählt Ulla Ambos. Die 76-Jährige ist am Nachmittag ins Bistro Harmony geschneit, um die Lage zu besprechen. Denn wenn jemand im Arabellahaus etwas weiß oder etwas zu wissen glaubt, dann landet es mit ziemlicher Sicherheit irgendwann hier am Tresen. Am Kühlschrank, aus dem die Wirtin die Bierflaschen entnimmt, hängt eine Postkarte: "Der liebe Gott weiß alles, die Nachbarschaft noch mehr."

Klar habe sie das schon gehört, sagt also die Wirtin und Inhaberin des Bistros, Andrea Lippmann. Von 2018 sei mal die Rede gewesen, dann von 2024, nun von 2026. Das passe, weil da auch ihr Mietvertrag auslaufe, also der für den Laden. Es gibt noch den anderen Mietvertrag, sie wohnt auch im Arabellahaus, seit 15 Jahren. "Also, ich hör' das zum ersten Mal", sagt Ulla Ambos und nimmt einen Schluck Weißwein. Das Haus am Bodensee war ihrem Mann und ihr zu groß geworden, deshalb sind sie nach München gezogen, ins Arabellahaus, wo sie früher schon einmal gewohnt hatten. Damals, zu Zeiten von Bürgschaft und Concierge. Auch wenn es das alles nicht mehr gibt, mag sie das Haus. "Es hätte unser Altersruhesitz sein sollen. Noch mal umziehen, das muss nicht sein." Und jetzt das. Abgerissen werden könnte das markante Gebäude, war diese Woche im Bezirksausschuss Bogenhausen zu hören. Es ist halt nicht mehr das, was es mal war. Fast ein halbes Jahrhundert alt ist das Haus nun. Es muss etwas getan werden. Abriss! Möglicherweise! 2026! Die Boulevardwellen schlugen hochhaushoch.

Eine Stadt in der Stadt, diese Idee hatte der Bauunternehmer Josef Schörghuber im Sinn, als er vor knapp 50 Jahren auf einer ehemaligen Schafweide in Bogenhausen sein Arabellahaus errichtete. Arabella, so wie seine Tochter hieß, oder wie die Oper von Richard Strauss. Auf Letztere verweist eine Tafel bei den Aufzügen, mit denen Gäste des Sheraton-Hotels in ihre Räume gelangen. 446 Zimmer und Suiten gibt es, und einen Pool in der 22. Etage. Den dürfen auch die Bewohner der 550 Wohnungen nutzen, vom 30-Quadratmeter-Apartment bis zur 120-Quadratmeter-Maisonette-Wohnung. Wer will, der kann sich sogar Essen und Getränke an die Wohnungstür bringen lassen. Wie im Hotel eben.

Viele ältere Menschen leben hier, manche haben sogar zwei Wohnungen gemietet, aber auch Alleinerziehende mit Kindern und eine junge Familie. Mittlerweile finden sich einige arabische Namen an den Klingelschildern. Und ein bekannter Politiker werde regelmäßig gesichtet, erzählen die Bewohner, der habe hier wohl eine Arbeitswohnung. Im Erdgeschoss befinden sich allerhand Geschäfte: Matratzen und Schuhe gibt es da, einen Schlüsseldienst, eine Postfiliale, einen Goldschmied, eine Reinigung, einen Friseur, eine Änderungsschneiderei und eine Fahrschule. Nur um zum Supermarkt zu gehen, muss man das Haus verlassen. Wer durch die Hotellobby eine Treppe hochsteigt, landet in einem Flur mit Anwaltsbüros und Arztpraxen. Links befindet sich ein Leistenbruch-Spezialist, aus der Zahnklinik gegenüber dringen Geräusche von einem Absauggerät. "Türe ist offen - bitte eintreten", steht beim Magen-Darm-Experten.

Wann sie das letzte Mal in der Stadt gewesen ist? Andrea Lippmann zieht die Augenbrauen zusammen und denkt scharf nach. "Das müsste vor vier Jahren gewesen sein, zum Christkindlmarkt auf dem Marienplatz." Vier Jahre, echt jetzt? "Na", sagt Ulla Ambos, "zwei, drei Jahre ist das bei mir auch her." Sie bestellt noch ein Glas Weißwein. An den Tresen im Bistro Harmony hat sich nun auch ein Hausmeister gesellt, Andrea Lippmann stellt ihm ein Bier hin. Seit 27 Jahren arbeitet er im Arabellahaus. "Das ist schon einmalig hier", sagt er. Hotel, Wohnungen, Gewerbe, Arztpraxen - alles in einem Haus, so groß, dass man sich verlaufen kann. Aus Spaß kann man drinnen mal messen, wie viele Schritte man in einem der Wohnflure von einem bis ans andere Ende braucht: 225.

Der Hausmeister hat Andrea Lippmann Mini-Croissants mit Vanillefüllung vom Markt auf dem Rosenkavalierplatz mitgebracht. Er ist also auf dem Markt gewesen, wie jeden Donnerstag, und plötzlich ging es los. Am Wurststand, am Obststand, am Käsestand, überall haben sie auf ihn eingeredet: "Was ist da los? Wird das wirklich abgerissen?" Im Bistro Harmony machen sie jetzt Späßchen darüber. "Die tun ja gerade so, als würden morgen die Abrissbagger anrollen!" - "Als müssten sie von heute auf morgen raus." - "Da fragen sich jetzt wahrscheinlich die 94-Jährigen, wo sie 2026 hinziehen sollen!" Kicher, kicher.

Vor Kurzem haben sie den fünften Geburtstag des Bistro Harmony gefeiert. Der Hotelkoch schmiss den Grill an, die Gäste brachten Salate mit, und da zeigte sich wieder, dass das hier schon ein bisschen so ist wie eine große Familie, oder vielleicht eher: eine große WG. "Im Grunde", sagt Andrea Lippmann, "ist das hier so, wie ich's noch vom Osten kenne, einfach zusammensitzen und grillen." Bei ihr treffen sich alle; da sitzt der Banker neben dem Hausmeister, der Krankenpfleger neben der wohlhabenden Rentnerin im Nerzmantel.

Harmony, ihr sei einfach kein anderer Name eingefallen damals, sagt Andrea Lippmann, aber natürlich sei der Name auch Programm. Wenn es mal nicht so harmonisch sei, dann gehe es manchmal um Politik, öfter um Fußball. Der Hausmeister fiebert mit den Sechzgern mit, sie als gebürtige Dresdnerin mit Dynamo, die meisten anderen mit dem FC Bayern, und dann verirre sich manchmal noch ein Anhänger von Beşiktaş Istanbul ins Harmony. Die Tür geht auf, herein spaziert ein junger Mann, "griaß di, mei Gudster", jubelt Andrea Lippmann in schönstem Sachsenbayrisch. Der junge Mann leert schnell einen Energydrink, bevor er sich aufmacht zu seiner Schicht an der Hotel-Bar.

Eigentlich habe sie nur übergangsweise hier wohnen wollen, sagt Andrea Lippmann. Jetzt sind es 15 Jahre. Eigentlich habe er nur übergangsweise hier wohnen wollen, sagt ein Bewohner, den man nachmittags an den Briefkästen antrifft. Jetzt sind es 30 Jahre. Sie wohne seit zwei Jahren in ihrer Eckwohnung im 13. Stock, 2300 Euro für 114 Quadratmeter, erzählt Monika Chambet. Davor habe sie 20 Jahre in Frankreich verbracht, davor aber auch schon mal im Arabellahaus gelebt. Irgendwas scheint es zu geben, das die Leute im Haus hält - oder sie wieder zurückzieht.

Auf jedem Stockwerk hängt nun ein Schreiben von der Bayerischen Hausbau. Von "grundsätzlichen und umfangreichen Maßnahmen" ist die Rede, die "mittelfristig" nötig seien, und davon, dass auch ein Neubau geprüft werde. Die meisten, die man trifft auf den Fluren, sehen die Sache mit dem drohenden Abriss entspannt. "So lange leb' ich nicht mehr", sagt eine Frau. Unten im Bistro überlegen sie schon mal, ob das Haus wohl gesprengt werden kann. Eines ist sicher: Vor einem Abriss werden sie noch mal eine große Party feiern.

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