Ebersberg:Wo die Parallelen sich kreuzen

Ebersberg: Spannendes Projekt: Die 27-jährige Pianistin Luisa Imorde konfrontiert die "Elf Humoresken" von Widmann mit Klavierminiaturen Schumanns.

Spannendes Projekt: Die 27-jährige Pianistin Luisa Imorde konfrontiert die "Elf Humoresken" von Widmann mit Klavierminiaturen Schumanns.

(Foto: Christian Endt)

Luisa Imorde verbindet beim Klavierzyklus im Alten Kino Robert Schumann und Jörg Widmann mit unwiderstehlicher Kraft. Das Ebersberger Publikum ist hingerissen

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Komponisten, die nicht mehr leben, machen es den Interpreten ihrer Werke insofern leicht, als sie sich nicht mehr einmischen können. Bei jenen Schöpfern musikalischer Werke dagegen, die noch gegenwärtig sind, sieht das ganz anders aus. Mit einigen wenigen Sätzen macht die Pianistin Luisa Imorde während ihres Konzerts im Alten Kino am Sonntag das Spannungsfeld verständlich, das sie selbst beim Umgang mit den Kompositionen Jörg Widmanns bewegt hat. Da berichtet sie einerseits davon, wie sie sich bei ihm rückversichert habe, ob ihr Plan einer Wechselfolge seiner "Humoresken" mit korrespondieren Stücken Robert Schumanns bei ihm auf Gegenliebe stoße - immerhin werden die einzelnen Nummern dabei aus dem Kontext eines Zyklus gerissen. Andererseits schwingt in ihrer Stimme Freude und Begeisterung darüber mit, dass sie den Münchner von ihrem Vorhaben überzeugen konnte - und daraus sogar eine kongeniale Weiterentwicklung einzelner Passagen entstanden ist.

Das Publikum im leider nur knapp zur Hälfte besetzten Saal erlebt das Ergebnis dieser Begegnung von Komponist und Interpretin auf einer Ebene, die über den angekündigten "Dialog" weit hinausgeht: Es zeigt sich eine spannende Doppelhelix von Motiven und Ideen, die eine verblüffende Nähe, mitunter sogar Parallelität Schumanns und Widmanns offenbart, der aus seiner Zuneigung zum Werk des Vorgeborenen nie ein Hehl gemacht hat. Hier eine Arabeske, da ein Kinderlied, hier der "Vogel als Prophet", da eine "Waldszene" - die Zahl der Berührungspunkte zwischen beiden Komponisten geht gegen unendlich, genauso wie die Zahl der möglichen Kombinationen.

Zielsicher wählt Imorde jene aus, bei denen die Nähe am größten, manchmal so zum Verwechseln ähnlich ist wie bei der DNA von Zwillingen. Daraus ergibt sich noch eine weiterreichende Botschaft über die Musik: Wie alles Leben ist sie aus einem Ursprung geboren und wird in ferner Zukunft wieder in einen Punkt münden. Man spürt als Zuhörer tief im Innern, einer Vorahnung gleich, wie das Unmögliche wahr wird und sich die Parallelen dieser Musik in der Unendlichkeit doch kreuzen. Kurzum: Jeder Takt, der in diesem zweiten Konzert des aktuellen Ebersberger Klavierzyklus erklingt, bekräftigt die Richtigkeit von Imordes Idee des Wechselspiels von Widmann und Schumann.

Im Nachhinein klug und richtig erweist sich auch die Entscheidung der Pianistin, kurzfristig die zwei Konzertteile zu tauschen. Denn diesem intensiven Erleben nach der Pause ging ein - nicht minder bewegendes - Heranführen an den markant geprägten Stil Widmanns im ersten Set voran. Auf die munter schwebenden "Papillons op. 2" Schumanns ließ die Pianistin die 2012 entstandenen "Zirkustänze" folgen. Inspiriert von den Akrobaten auf dem Seil, in Bewegung zwischen Himmel und Abgrund, bringen die elf Nummern des Zyklus jene Atmosphäre zum Klingen, die uns im Zirkus staunen und seufzen, weinen und lachen lässt. Beim furios und keck von Imorde herausgespielten Durcheinander von Defiliermarsch, Holzhackerbuam und Polka im abschließenden "Bayerisch-babylonischen Marsch" jedenfalls bleibt kein Auge trocken.

Was am Spiel der Pianistin begeistert, ist ihr unverkrampfter Umgang mit Emotionalität. Sie verbindet eine ausgereifte Spieltechnik mit unbändiger Leidenschaft für Stück und Instrument zu einem Klangerlebnis, das den Geist entzündet und das Herz entflammt. Ein Erlebnis für sich dabei das noch unverstellte Minenspiel der jungen Pianistin, das vom fröhlichen Lächeln bis zur tiefgründigen Konzentration alle Schattierungen des Dabeiseins zeigt und manchmal sogar schon drei, vier Takte zuvor die Freude auf das erkennen lässt, womit sie ihr Publikum gleich überrascht.

Wenn Imorde, ein Merkmal Widmanns, die Ausbrüche in die höchste Oktave der Klaviatur wie einen Weckruf an die Fantasie in den Raum schickt, dann reißt sie alle mit - was sich nicht zuletzt in den zahlreichen Bravo-Rufen beim verdient beherzten Applaus des Publikums im Alten Kino Bahn bricht. Hier schwingt auch der Dank mit für den Kulturverein Zorneding-Baldham, der die Künstlerin entdeckt und nach Ebersberg eingeladen hatte. Man wird Luisa Imorde hier sicher gerne wiedersehen. Dann bekommen auch jene ihre Chance, denen nach dem Sonntagskaffee der Schumann zu vertraut und der Widmann zu modern erschienen war, um sich zum Konzertbesuch aufzuraffen.

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