Gesundheit:In Behandlung

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Die Stadt Tauberbischofsheim. Bis vor wenigen Jahren arbeitete das Krankenhaus ineffizient. Dann stieg eine Gesundheitsholding ein und strukturierte um.

(Foto: imago/robertharding)

Übung macht den Meister: Experten fordern, dass sich einige deutsche Kliniken auf bestimmte Eingriffe spezialisieren und andere schließen.

Von Kim Björn Becker und Kristiana Ludwig, Tauberbischofsheim/Leipzig

Ein kleiner Schnitt am Bauchnabel, zwei weitere links und rechts, und es kann losgehen. Gerhard Schüder schiebt die Kamera und zwei dünne Metallarme in den Bauch des Patienten und schaut auf den Monitor. Der Mann auf dem Tisch hat einen Leistenbruch, für den Chirurgen ist das Routine. Früher musste dafür der Bauch ganz aufgeschnitten werden, heute nutzt man die sogenannte Schlüssellochtechnik. Eine Stunde wird der Eingriff voraussichtlich dauern, etwas länger als sonst, der Fall ist kompliziert. Eine kleine Herausforderung, Schüder mag das.

Der Leistenbruch ist eine der am häufigsten vorgenommenen Operationen bei Männern. Nicht nur im fränkischen Kreiskrankenhaus in Tauberbischofsheim, wo Chefarzt Gerhard Schüder arbeitet, sondern im ganzen Land - in deutschen Kliniken wurden im vergangenen Jahr 160 000 Männer wegen einer sogenannten Hernie operiert. Er mache eben "die Chirurgie des Häufigen", sagt Schüder. Und es bleibt auch gar nichts anderes übrig, denn für eine Spezialisierung fehlen im Umfeld der Klinik die Patienten.

Überall im Land kämpfen Krankenhäuser ums Überleben. Ihre Zahl ist seit den Neunzigerjahren schon um gut ein Fünftel gesunken, von 2411 auf 1951. Und sie wird wohl noch weiter sinken, denn eine Studie attestierte weiteren 20 Prozent der Häuser, dass sie auf wirtschaftlich wackeligen Beinen stehen. Forscher des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung stellten bei jedem zehnten Krankenhaus eine "erhöhte Insolvenzgefahr" fest. Das zeigte ein Blick in die Bilanzen von 900 Einrichtungen.

Besonders schwer haben es Häuser, die in dünn besiedelten Gebieten stehen und vom jeweiligen Landkreis finanziert werden, so wie das Kreiskrankenhaus in Tauberbischofsheim. Bis vor ein paar Jahren gehörte es noch hauptsächlich der Kommune, die Chirurgen nahmen damals noch aufwendigere Eingriffe vor, etwa bei Krebs. Doch das Haus arbeitete ineffizient, steckte tief in den roten Zahlen.

Aus der Ferne betrachtet wirkt ein Streit um 15 Autominuten recht klein

Dann übernahm die Gesundheitsholding Tauberfranken wesentliche Teile der Klinik. Durch die Umstrukturierung sind nun zwei benachbarte Kliniken im Besitz derselben Gesellschaft, neben dem Haus in Tauberbischofsheim gehört noch eine Klinik im etwa 20 Kilometer entfernten Bad Mergentheim dazu. Die Manager der Holding schafften Doppelstrukturen ab und bündelten, ganz Betriebswirte, die Aufgaben. In Tauberbischofsheim konzentriert man sich seitdem auf einfache Operationen wie Knochen- und Leistenbrüche, die aufwendigen Dinge werden in Bad Mergentheim gemacht. Dort ist man jetzt rund um die Uhr auf Notfälle eingestellt. In Tauberbischofsheim gehen die Chirurgen nun am Abend nach Hause - bei zuletzt nur noch zwölf Eingriffen nach 21 Uhr pro Jahr hatte es für die Manager keinen Sinn, den OP-Betrieb die ganze Nacht hindurch in Bereitschaft zu halten. Kritiker sagen, Notfallpatienten aus dem Raum Tauberbischofsheim müssten nachts jetzt deutlich längere Wege zurücklegen. "Sind doch nur 15 Minuten Fahrzeit nach Bad Mergentheim", hält der Geschäftsführer dagegen.

Aus der Ferne betrachtet wirkt ein Streit um 15 Autominuten recht klein, verglichen mit den großen Problemen im deutschen Gesundheitswesen. Es herrscht ein Pflegenotstand. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Ferdinand Gerlach, sagte kürzlich über Krankenhäuser: "Wenn wir ein Viertel zumachen würden, würde sich die Qualität nicht verschlechtern". Vielmehr könnten die wenigen Pfleger "dort eingesetzt werden, wo sie wirklich gebraucht werden". Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, widerspricht vehement. Wenn ein Viertel aller Kliniken fehle, drohe "ein Behandlungsnotstand allererster Ordnung in Deutschland", sagt er: "In nahezu allen Regionen des Landes haben inzwischen Bürger Probleme beim Zugang zu medizinischer Versorgung."

Hat in der Bundesrepublik längst ein bedrohliches Krankenhaussterben eingesetzt? Oder ist genau dieser Schwund am Ende besser für die Patienten? Das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung ist im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung dieser Frage nachgegangen. Ihr Fazit: Nicht die reine Menge, sondern eine Spezialisierung der Kliniken sei entscheidend für die Qualität der Behandlungen. Den Forschern zufolge würden jährlich rund 140 weniger Menschen bei Hüftoperationen sterben, wenn sie in Kliniken behandelt werden würden, die diese Operationen häufiger als 176-mal im Jahr durchführen. Die Realität sieht jedoch anders aus: Im Jahr 2014 wurden in mehr als 300 Kliniken weniger als 50 Hüften operiert. Auch die Zahl der Prostata-Entfernungen sei in etlichen Häusern gefährlich niedrig. Wenn sich alle Krankenhäuser auf bestimmte Operationen an der Hüfte, der Prostata oder dem Herzen spezialisieren müssten, stiege zwar die Fahrtzeit für viele Patienten, berechneten die Forscher - allerdings nur um zwei bis fünf Minuten.

Im Leipziger Randgebiet, 15 Minuten vom Stadtkern entfernt, steht bereits seit 23 Jahren ein Herzzentrum. Mit mehr als 500 Betten ist es eines der größten Europas. Die Ärzte hier sind Experten für Herzchirurgie bei Kindern und Erwachsenen, eine ihrer Fachambulanzen konzentriert sich nur auf die "Rhythmologie", den Takt des Herzschlags. Der Wartebereich des Herzzentrums gleicht mehr einer Hotellobby als dem eines Krankenhauses: Zwischen Schirmlampen und Zimmerpflanzen sitzen die Patienten in grünem Ledermobiliar und lesen Zeitung.

Der Ärztliche Direktor des Zentrums, Gerhard Hindricks, sagt, etwa 60 Prozent seiner Patienten kämen aus der Nähe, der Rest aus anderen Teilen Deutschlands oder sogar aus dem Ausland. "Wenn ein Patient 200 Kilometer zu einem Fußballspiel fährt, kann er auch mal 400 Kilometer für eine lebenswichtige Operation fahren", sagt Hindricks. Nicht nur die Herzchirurgen, die in seinem Zentrum arbeiten, sondern auch die Pfleger seien hier speziell geschult, um Patienten zu versorgen. Letztere könnten etwa implantierte Defibrillatoren programmieren. Anderswo sei dies ein seltener Eingriff.

Bayern ist mit fast 250 Häusern pro zehn Millionen Einwohnern das bestversorgte Bundesland

Auch die Leipziger Universitätsklinik schickt ihre Patienten für Herz-OPs in die Fachklinik am Stadtrand. Für Wolfgang Fleig, den Medizinischen Vorstand des Uniklinikums, hat das aber nicht nur Vorteile. "Es wäre besser, wenn das Herzzentrum auf unserem Campus stünde", sagt er. Denn Patienten, die anspruchsvolle Operationen am Herzen erhalten, benötigten oft auch die Hilfe von Spezialisten auf anderen medizinischen Gebieten: Plastische Chirurgen oder Neurologen, zum Beispiel. Da helfe es auch nicht, dass das Herzzentrum an ein Allgemeinkrankenhaus angeschlossen ist: Die Herzchirurgen arbeiteten "auf internationalem Spitzenniveau", sagt Fleig: "Diese komplexen Patienten bedürfen Betreuung durch andere, universitäre Fachärzte". Genau deshalb führen die Ärzte häufig selbst die 15 Minuten ins Herzzentrum, um dort ihre Kollegen zu unterstützen. Die Häuser wurden eben nicht gemeinsam geplant.

Leipzig steht damit exemplarisch für ein deutsches Problem: die unorganisierte Kliniklandschaft. In einigen Gegenden gibt es wenige Krankenhäuser auf weiter Flur, andernorts drängt sich Notaufnahme an Notaufnahme. Bayern ist mit hochgerechnet fast 250 Krankenhäusern pro zehn Millionen Einwohner das am besten ausgestattete Bundesland, Sachsen mit 179 Kliniken Schlusslicht. Für die Verteilung spezialisierter Zentren gibt es höchstens innerhalb einzelner Bundesländer Pläne. Der Hamburger Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg fordert deshalb eine "koordinierende bzw. moderierende Rolle des Bundes", um überflüssige Krankenhäuser zu schließen. Dann würde nicht die finanzielle Lage einer Klinik darüber entscheiden, ob sie von der Karte verschwindet, sondern der Bedarf der Bürger in der Region. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat im vergangenen Jahr zwar 500 Millionen Euro bereitgestellt, um die Schließung oder Umwandlung von Kliniken zu fördern. Bloß welche Häuser es treffen soll, schreibt er niemandem vor.

Der Leiter des Leipziger Herzzentrums, Gerhard Hindricks, war vor Kurzem in Bayern, um dort mit Chefärzten zu diskutieren. Er sagte, dass Operationen sicherer würden, je öfter man sie mache - ein Plädoyer für Spezialisierung. Die Ärzte schauten skeptisch, einer widersprach: "Ich habe ein kleines Krankenhaus und bei mir passieren auch keine Komplikationen", sagte er. Denn von Nahem betrachtet sind die Dinge schwieriger: In den Bundesländern entscheiden Bürgermeister und Landräte, welche Kliniken bleiben. Das Krankenhaus ist oft einer der größten Arbeitgeber der Kommune. Wer es schließt, gefährdet seine eigene Wiederwahl.

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