Theaterkritik:Ein Loch zu viel in der Gießkanne

Geltinger Kulturtage 2017 - PiPaPo

Grandiose Schauspielerin, leicht missglücktes Stück: Doris Gruner als Herr Metitsch.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Ein Messie-Stück eröffnet das Festival Pipapo.

Von Thekla Krausseneck

Warum sollte eine Gießkanne nicht das Recht haben, ein weiteres Loch zu entwickeln, auch wenn sich dieses ausgerechnet an ihrem Boden befindet? Löcher sind ein wesentliches Element einer Gießkanne. Und außerdem, sagt Herr Metitsch, "ist es ja allen Dingen eigen, sich zu verändern". Auch Menschen haben Löcher. "Und Leute wie Sie brauchen Leute mit Löchern. Womit sonst würden Sie Ihr Geld verdienen?" Die angesprochene Person ist eine Betreuerin, respektive das Publikum, das da sitzt, wo Herr Metitsch jene fiktive Betreuerin sieht, wenn er an den Bühnenrand tritt, sich leicht nach vorn beugt und die Augen zu Schlitzen verengt.

Herr Metitsch, das ist eigentlich Doris Gruner, eine Schauspielerin, die ihresgleichen sucht. Mit ihren zu einem losen Zopf gebundenen Haaren, der Wollmütze auf dem Kopf und diesem glasigen, leicht irren Blick wird Gruner für 80 Minuten zweifelsfrei zur Titelfigur des Monodramas "Herr Metitsch". Mit diesem Stück, inszeniert vom freien Ensemble Lichtbühne München, begeht das Pipapo-Festival am Samstagabend seinen Auftakt in der Kulturbühne Hinterhalt. Die 50 Zuschauer feiern Gruner für ihre schauspielerische Leistung. Das Stück selbst kann wenig überzeugen.

"Herr Metitsch" handelt von einem Messie, der seine Wohnung voller Dinge hat, von denen er sich nicht trennen will. Chaos herrscht bei ihm jedoch nicht: 592 Ordnungssysteme existieren in seiner Wohnung, erklärt Herr Metitsch dem Publikum. Türen gibt es in seiner Höhle nicht: "Fast nichts braucht so viel Platz wie Türen." Deshalb hat er sie alle ausgehängt. Und im Wohnzimmer zu einer eigenen Sammlung zusammengefasst. Während Herr Metitsch sein Ordnungssystem erklärt, lässt er Sätze fallen, die verdeutlichen: Die Ordnung ist ihm längst über den Kopf gewachsen. Das Wohnzimmer lässt sich nicht mehr betreten. "Das Wohnen wird überschätzt", heißt es. Und plötzlich: "Ich wollte die Joghurt-Becher ja auswaschen. Aber wie?" In den Waschbecken liegen Mikrosysteme. Die Nasszellen sind alle unbenutzbar. Was ist da los, in Herrn Metitschs Wohnzimmer, dessen Tür die ganze Zeit über im Hintergrund der Bühne zu sehen ist und die zu Beginn unheimlich leuchtet? Man hört, dass im Wohnzimmer eine schöne, alte Tür an der Wand hängt, aus einem alten Haus in seiner Heimat. Doch da sind auch die anderen Türen, die er an die Decke gehängt hat. "Die Deckensysteme sind fast alle stabil", sagt er.

Dieses "fast" weckt Erwartungen, in diesem kleinen Wörtchen lauert die dramaturgische Krise. Irgendwann müsste Herr Metitsch doch ins Wohnzimmer treten und sich den Türen stellen. Vielleicht wird er dabei erschlagen. Vielleicht legt er die Hand auf die Klinke und träumt sich um den Verstand in ein anderes Leben. Doch Fehlanzeige. Herr Metitsch betritt das Wohnzimmer nie; er durchlebt überhaupt keine Entwicklung. 80 Minuten lang reflektiert er, durch sein vollgestopftes Haus ziehend, über das Leben, den Menschen, die Dinge und die Ordnung, über gute und böse Wörter. Er macht Andeutungen, die seine Vergangenheit betreffen, erwähnt eine Ehefrau, seine Eltern, eine Tochter und einen Enkel, doch alles scheint nur dazu zu dienen, von allen Seiten zu beleuchten, warum Herr Metitsch so hermetisch geworden ist. Nach einer halben Stunde ist das Stück im Grunde auserzählt. Doch es geht noch fast eine Stunde weiter und endet irgendwann, ohne Knall, ohne Katharsis - aber mit verdientem Applaus für Gruner.

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