Unternehmensgründer:Israel - Weltrekordhalter der Start-ups

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Tel Aviv ist zu einem Zentrum der Hightech-Industrie geworden: 320 internationale Konzerne haben sich schon in der Stadt niedergelassen mit Büros, Forschungs- und Entwicklungszentren.

(Foto: imago)

Besonders Tel Aviv ist zu einem Zentrum der globalen Hightech-Industrie geworden. Warum ist das so? Eine Antwort findet sich ausgerechnet in der Armee.

Reportage von Sophie Burfeind

May Elmaliach eilt mit schnellen Schritten über den Campus, den Ordner fest an sich gedrückt, den Blick geradeaus, sie weiß, wohin sie will. Sie will auf großen Bühnen stehen, andere für ihre Idee begeistern, für ihr Start-up. Jetzt steuert Elmaliach, 24, aber erst mal auf den sandfarbenen Klotz hinter der grünen Wiese zu, Israels erste Universität für Gründer. Vor ein paar Wochen in Herzlia eröffnet, im Norden von Tel Aviv. 40 Stunden pro Woche ist Elmaliach hier, lernt, wie man Gründer wird, tauscht sich mit Gründern aus, arbeitet an sich selbst. Sie sagt: "Schon als Kind habe ich geträumt, mal ein eigenes Unternehmen zu leiten."

Es ist nicht nur ihr Traum, ganz Israel träumt ihn: ein Start-up gründen und die Welt verändern. Früher, erzählen die Leute hier, träumten die Mütter davon, dass ihre Kinder Arzt oder Anwalt werden, jetzt ist es Gründer. Und immer mehr Deutsche wollen von diesem Traum profitieren.

Man kann diesen Traum auch nicht so traumhaft finden, je nach Perspektive

Israel, ein Land so klein wie Hessen, Meer, Strand und Hochhauskulisse in Tel Aviv, heilige Stätten in Jerusalem, im Süden Wüste und hinter einer Mauer aus Stein und Stacheldraht die Palästinenser, ist nicht nur von innen zerrissen und von außen bedroht, Israel ist eine Start-up-Nation. 6500 Start-ups auf 8,5 Millionen Einwohner, pro Kopf gesehen: Weltrekord.

Jimmy Massatschi, Mitte dreißig, schlängelt sich im Anzug durch den gigantischen Saal eines Hotels und schüttelt Hände, bekannte und unbekannte. Massatschi ist seit knapp drei Jahren hier, als Start-up-Scout für die Deutsche Telekom, jetzt sucht er seinen Tisch. Auf der ganzen Welt lässt die Deutsche Telekom Leute wie ihn nach innovativen Unternehmen fahnden, mit denen sie zusammenarbeiten kann, um noch innovativer zu werden. Israel ist dafür wie ein Sechser im Eurojackpot.

Denn Tel Aviv ist zu einem Zentrum der Hightech-Industrie geworden: 320 internationale Konzerne haben sich schon in der Stadt niedergelassen mit Büros, Forschungs- und Entwicklungszentren, darunter VW, BMW, Audi, Merck, BASF, Bosch, Siemens oder Continental. Alle großen deutschen Namen. Daimler ist gerade dazugekommen. Deswegen ist Massatschi an diesem Abend auch nicht der einzige Deutsche, sondern einer von vielen. Was suchen die Deutschen hier und was finden sie?

Es ist das Galadinner am Ende eines Kongresses zur Zukunft der Mobilität in einem Hotel an der Strandpromenade. Gefeiert wird der Anfang einer Revolution. Massatschi sitzt nun an seinem Platz und lächelt. Er hat ein sehr charmantes Lächeln und lächelt viel. Er sagt: "Ich suche Start-ups im Bereich Industrie 4.0., Internet der Dinge, Automotive, Big Data, Smart City und künstliche Intelligenz." In der Start-up-Szene benutzt man gern englische Wörter, auch wenn man deutsch spricht. Dann geht es los. Erster Gang, große Show.

Junge Frauen in transparenter und Männer in schwarzer Kleidung tanzen auf einer Bühne, bunte Laserstrahlen kreisen durch den Saal, auf der Leinwand erscheinen futuristische Fahrzeuge, aus den Lautsprechern dröhnt eine tiefe Stimme. Die Revolution der Mobilität habe begonnen. Jetzt. Und hier. "We make the impossible possible", sagt der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer persönlichen Videobotschaft. Hier in Israel, das will er mit seiner Botschaft auch sagen, weiß man eben, wie man neu anfängt und erfolgreich ist. Der Staat Israel ist ja quasi auch ein Start-up. Dann füllt das Motto der Veranstaltung die riesige Leinwand aus. "Together we can change the world", gemeinsam können wir die Welt verändern. Nächster Gang.

Die Welt ist im Wandel, und alle wollen diesen Wandel mitbestimmen. Wer nicht mitbestimmt, wird abgehängt. Die Deutschen haben Angst, von anderen überholt zu werden, deswegen sind sie hier. Um aufzuholen und zu überholen, sozusagen. Sie, bekannt für ihre Industrie made in Germany, suchen nach neuen Technologien und Ideen, um auch dann noch erfolgreich zu sein, wenn die Zeit des Verbrennungsmotors vorbei ist. Sie wollen sich vom Gründergeist anstecken lassen, so wie im Silicon Valley. Massatschi sagt: "Der Vorteil für uns im Vergleich zum Valley ist ja auch, dass wir in vier Stunden hier sind."

Zwischen Berlin und Tel Aviv liegen zwar nur 2852 Kilometer Luftlinie und eine Stunde Zeitverschiebung, an beiden Enden befinden sich aber völlig unterschiedliche Mentalitäten und Wirtschaftssysteme. In dem einen Land träumen junge Menschen davon, Gründer zu werden, in dem anderen von der Festanstellung. An dem einen Ende gibt es viele Start-ups und wenige große Unternehmen, an dem anderen viele große Unternehmen, die mehr so werden wollen wie Start-ups. Wenn die einen mit ihrem Hang zur Gründlichkeit anfangen, etwas zu entwickeln, sind die anderen längst fertig. Einerseits ist das ziemlich gegensätzlich. Andererseits ziehen sich Gegensätze ja bekanntermaßen an.

Wie also profitieren beide Seiten voneinander? Was können Deutsche und Israelis voneinander lernen? Um das zu verstehen, muss man erst einmal verstehen, warum Israel eine Start-up-Nation ist.

Eine wichtige Rolle spielt die Armee

Zurück in Herzlia. May Elmaliach sitzt in einem leeren Hörsaal, vor sich den offenen Ordner. Sie hat sich Notizen für das Treffen gemacht, sie geht ihr Leben strukturiert an, ihre Zukunft genauso wie ein Gespräch. Sie ist eine zierliche junge Frau, blaue Augen, dunkle Locken, die weiß-blaue Bluse in die Jeans gesteckt. "Man sieht so viele erfolgreiche Gründer hier", sagt sie. So viele Leute, die ihre Ideen verwirklichen und ihr eigener Chef sind. Deswegen wollen das so viele, sagt sie. Deswegen will sie das. "Aber vielleicht sind wir auch ambitionierter als andere, weil wir später ins Leben starten."

In Deutschland fangen 18-Jährige an zu studieren, in Israel müssen 18-Jährige erst mal zum Militär. Männer drei und Frauen zwei Jahre. Die Armee führt aber nicht nur dazu, dass junge Israelis später anfangen zu studieren (und dennoch früher erwachsen werden), sie beeinflusst fast alles in diesem Land: das Leben des Einzelnen, das Miteinander, die Sicherheit, die Wirtschaft. Denn die Armee ist auch eine Art Gründerzentrum.

Israel ist umgeben von Feinden und trägt im Inneren einen militärischen Konflikt aus. Man kann sich das vorstellen wie ein Pulverfass, das inmitten von Kerzen lagert. "We live in a tough neighbourhood", so formulieren das Einheimische, in einer rüden Nachbarschaft. Deswegen spielt die Armee so eine wichtige Rolle in Israel. Nur Saudi-Arabien gibt gemessen am Brutto-inlandsprodukt noch mehr Geld aus für das Militär.

Wegen der vielen Bedrohungen besteht die israelische Armee nicht nur aus Soldaten - die klügsten Köpfe des Landes arbeiten hier ständig an neuen Technologien, um Gefahren rechtzeitig zu erkennen und abzuwehren. Schon in den Schulen werden die Begabtesten mit Mathetests herausgefiltert und rekrutiert. Aus Entwicklungen des Militärs entstehen wiederum Ideen für Start-ups, überwiegend im Hightech-Bereich. Für Cybersecurity, autonomes Fahren, Biowissenschaften oder Projekte mit künstlicher Intelligenz. Das Start-up Mobileye, das in diesem Jahr für 15 Milliarden Dollar vom US-Chiphersteller Intel gekauft wurde, ist das bekannteste Beispiel für eine Technologie, die im Militär entwickelt wurde.

Man findet Freunde in der Armee, der gemeinsame Kampf schweißt zusammen, der Militärdienst macht aus Jugendlichen aber auch Manager. Die Rekruten sollen Verantwortung übernehmen und Einheiten leiten, sie sollen Hierarchien hinterfragen und Vorgesetzten widersprechen. Und wer mit 20 schon Kommandant war, tut sich ein paar Jahre später natürlich leichter, ein eigenes Unternehmen zu leiten.

Die Armee birgt große Chancen - und große Gefahren

Die Armee beeinflusst aber auch, was man nach der Armee wird. Wer es schafft, in eine Eliteeinheit wie die Unit 8200 zu kommen, eine IT-Aufklärungseinheit, kann sich hinterher aussuchen, welchen Job er annimmt. In Israel - und angeblich auch weltweit. In welcher Einheit sie landen werden, wissen die 18-Jährigen nicht.

May Elmaliach träumte von der Unit 8200 und landete in einer Kampfeinheit. Sie koordinierte die Einsätze von Fallschirmjägern. Weil sie in keiner Eliteeinheit war, ist es für sie schwieriger, Karriere zu machen. Das Wissen, die Kontakte, all das versucht sie nun an langen Unitagen nachzuholen. Elmaliach ist ein gutes Beispiel dafür, dass in ihrer Heimat nicht alle gleichberechtigt träumen dürfen. Sie sagt, es sei auch ein Vorteil, dass es so gekommen ist. "Das macht mich noch zielstrebiger."

Die Armee traumatisiert aber auch. So wie vieles in diesem Land. Eine junge Journalistin erzählt auf einer Veranstaltung, dass ihre beste Freundin bei einem Selbstmordattentat in einem Bus starb. Sie fährt seither nicht mehr Bus. Fast jeder hier hat so eine Freundin.

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(Foto: Jack Guez/afp)

Wer mit der ständigen Gefahr von Bomben und Selbstmordattentaten aufwächst, dessen größte Sorge ist es nicht, mit einem Start-up zu scheitern. Auch das trägt zum israelischen Gründergeist bei. Die Risikobereitschaft ist viel größer als in Deutschland und auch der Mut. Hinzu kommt, dass Israel kaum Handel treibt mit seinen Nachbarn und keinen großen Heimatmarkt hat. Aus diesem Grund konzentrieren sich israelische Gründer gleich auf den internationalen Markt und die Bedürfnisse internationaler Unternehmen - und entwickeln keine Pizza-Liefer-Apps.

Man kann die Gründe für den Gründergeist natürlich auch so zusammenfassen wie der deutsche Botschafter an einem Abend: Was soll man denn sonst machen?

Die wertvollste Ressource sind kluge Köpfe - doch die werden knapp

Jobs in der Hightech-Industrie sind gut bezahlt, davon abgesehen sind gut bezahlte Jobs schwer zu finden in Israel. In der Hightech-Industrie arbeiten aber nur zehn Prozent der Bevölkerung, und genau das ist das Problem an diesem neuen Traum: Er wird nur für wenige zur Wirklichkeit. Die wirtschaftliche Ungleichheit in Israel zählt laut OECD zu den höchsten unter den westlichen Ländern, ebenso wie die Lebenshaltungskosten. Während die einen also in klimatisierten Google-Türmen mit Meerblick programmieren, können sich die anderen das Leben kaum noch leisten. Man tue ja etwas dagegen, sagt eine Frau bei Google und reißt euphorisch die Arme in die Höhe. "Jedes Jahr laden wir 30 Kinder aus armen Familien zu uns ein!"

May Elmaliach klappt ihren Ordner zu. Sie muss los, ein Interview mit einer Studentin, die in das Gründerinnenprogramm aufgenommen werden will, das sie leitet. Eine Idee für ein Start-up hat sie bisher noch nicht, aber sie arbeite daran, sagt sie. "Mein Vorbild ist mein Vater. Er kommt aus einfachen Verhältnissen und ist jetzt ein erfolgreicher Unternehmer. Das will ich auch schaffen." Er habe ihr beigebracht, dass man alles schaffen kann, wenn man nur will.

Schon David Ben-Gurion, der Staatsgründer Israels, sagte, dass er die Wüste im Land zum Blühen bringen wolle. Das ist zwar nicht überall gelungen, dennoch ist dieser Satz bezeichnend für das Land: Die Menschen sind ehrgeizig. Vielleicht mehr als anderswo wollen Mütter und Väter, dass aus ihren Kindern etwas wird, und die Kinder wollen auch etwas werden. Kluge Köpfe sind Israels wertvollste Ressource.

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(Foto: Jack Guez/afp)

Aber diese Ressource wird knapp, sagt Karin Mayer Rubinstein. Die 46-Jährige, die BWL, Jura und Finanzwirtschaft studiert hat und lange als Juristin arbeitete, sitzt auf der Veranda eines Boutiquehotels zwischen Vogelgezwitscher, Baustellen- und Flugzeuglärm, ab und zu klingelt ihr Handy. Tel Aviv hat eine beeindruckende Lautstärke. Rubinstein ist die Vorsitzende des Verbands Israel Advanced Technology Industries, des Dachverbands der High-tech-Industrie. "Die Hightech-Industrie ist der wichtigste Motor der israelischen Wirtschaft", sagt sie.

Man könnte auch sagen, sie ist der Motor für den neuen israelischen Traum - dem nun der Treibstoff ausgehen könnte.

Schon jetzt fehlen 10 000 Ingenieure, sagt Rubinstein. Wie soll das weitergehen, wenn noch mehr Firmen herkommen und noch mehr Ingenieure gebraucht werden? "Wir können es uns nicht leisten, nicht genug hoch qualifizierte Leute zu haben", sagt sie. Wobei das Problem dabei nicht ist, dass es zu wenig Menschen im Land gäbe. Das Problem ist, dass viele Gruppen des Landes bislang kaum vertreten sind in der israelischen Hightech-Industrie - ultraorthodoxe Juden, arabische Israelis und auch Frauen.

Gründer sollen ihre Start-ups nicht gleich verkaufen

Damit Israel auch in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich bleibt, sagen viele hier, müsse sich die Start-up-Nation in eine Scale-up-Nation verwandeln. Also in eine Nation, in der Gründer ihre Start-ups nicht gleich an internationale Unternehmen verkaufen und dann das nächste Start-up gründen, sondern größere Unternehmen entstehen lassen. So könnten Arbeitsplätze geschaffen werden für jene, die bislang vom Gründertraum ausgeschlossen sind, das Know-how bliebe im Land und das Kapital würde sich auf mehr Schultern verteilen. "Wir sind stolz auf die vielen Exits, aber es muss mehr große Unternehmen geben", sagt Rubinstein. Sie glaubt, dass Israel auf einem guten Weg dorthin ist.

Große Unternehmen mit Hierarchien und Langfristplanungen passen allerdings nur bedingt zur israelischen Mentalität, wo lieber improvisiert und Hierarchien hinterfragt werden. Aber große Unternehmen passen zu den Deutschen. Deswegen, sagt Karin Mayer Rubinstein, können die Israelis auch etwas von den Deutschen lernen.

Als man am Ende einer Reise mit einer Delegation deutscher Gründer im Flugzeug sitzt, denkt man noch einmal nach über das Gelernte: Die Deutschen können von den Israelis lernen, schneller und innovativer zu werden, und die Israelis von den Deutschen, wie man aus kleinen Unternehmen große macht - etwas mehr Langsamkeit also. So gesehen: ein perfektes Match.

Zurück im Büro in München. Eine Pressemitteilung der Deutschen Telekom: Sie arbeite jetzt mit einem israelischen Start-up zusammen, um ihre Mobilfunkkunden vor Cyberangriffen zu schützen. Es ist eine von mehr als 25 Kooperationen. Jimmy Massatschi war wieder einmal erfolgreich.

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