FDP:Lindner gibt den Staatsmann - und rechnet ab

FDP-Landesparteitag NRW

Christian Lindner auf dem Landesparteitag der FDP in Nordrhein-Westfalen.

(Foto: dpa)

Der FDP-Landesparteitag in Nordrhein-Westfalen preist den Vorsitzenden für seinen Jamaika-Ausstieg. Lindner hat für manche nur Spott übrig.

Von Christian Wernicke, Neuss

Christian Lindner sucht die leisen Töne an diesem Samstag. Ruhig steht der FDP-Vorsitzende hinter dem gelben Rednerpult, die tiefblaue Rückwand strahlt wenigstens etwas Licht ins Halbdunkel der Stadthalle von Neuss. Um die Stimmung im Saal muss sich der Mann am Mikrophon wenig sorgen. Schon vor seiner Rede hatten Nordrhein-Westfalens Liberale ihren Helden und bisherigen Landeschef mit Applaus überschüttet.

Nur, die eigenen Leute in den Stuhlreihen vor sich beachtet der 38-jährige Jamaika-Verweigerer während seiner Rede nicht. Zunächst jedenfalls. Lindner richtet zu Beginn seiner 33 Minuten sein Augenmerk auf die vier Fernsehkameras hinten im Saal: Der FDP-Führer muss und will antworten auf den millionenfachen Vorwurf, er habe sich vorigen Sonntag vor der Verantwortung gedrückt. Und gar der Republik geschadet.

Keine schnöde Taktik

Also erleben die 400 Delegierten diesmal Christian Lindner, den Staatsmann. Gleich zu Beginn erklärt er im dunkelgrauen Anzug: "Politik ist eine Charakterfrage." Deshalb, nicht aus schnöder Taktik, sei er in Berlin ausgestiegen. Zum Beweis verweist der Rheinländer auf die politischen Farbspiele, bei denen die Partei (durchaus staatstragend) mitmischt: Schwarzgelb in NRW, die Ampel in Rheinland-Pfalz, Jamaika in Schleswig-Holstein. Aber die Medien hätten Jamaika im Bund "zum romantischen Sehnsuchtsort verklärt." Kurze Pause, dann der Nachsatz, der Gelächter im Saal erntet: "Nur, wir waren da." Ein Jamaika in Berlin hätte "nie funktioniert", da fehlte das Vertrauen: "Erst muss die Haltung stimmen - dann die Dienstwagen." Charakter eben. Weil der Satz im Jubel seiner Fans untergeht, wiederholt Lindner das Bonmot für Kameras gleich nochmal.

Lindner legt Rechenschaft ab in Neuss. Und manchmal, er kann nicht anders, rechnet er auch ab. Etwa mit Armin Laschet, dem NRW-Ministerpräsidenten, den er "meinen Freund" nennt. Der CDU-Vize hatte nach dem Scheitern der Berliner Balkon-Verhandlungen offen sein Unverständnis über den Rückzug der Liberalen geäußert ("Warum - ich weiß es nicht.") In Neuss spottet Lindner, Laschet sei ja "nicht im engsten Verhandlungskreis" gewesen. Der CDU-Landesvater, mit dem Lindner noch im Frühsommer in Düsseldorf die einzige schwarz-gelbe Koalition im Land schmiedete, plaudere halt nur "aus der Halbdistanz".

Der Reihe nach arbeitet der FDP-Chef die Punkte ab, die eine Jamaika-Einigung verhindert hätten. Oder auch nicht: Am Thema Zuwanderung und Flüchtlinge jedenfalls sei die Koalition mit CDU und Grünen nicht gescheitert. Lindner ist das wichtig, weil er so dem bösen Anwurf der Grünen begegnen möchte, die FDP drifte nach rechts und mutiere zu einer "AfD light". Zugleich erweist Lindner so seinem Nachfolger Joachim Stamp die Referenz: Der NRW-Minister für Familie und Integration hatte als FDP-Verhandlungsführer die Chancen für ein Einwanderungsgesetz sondiert. Knapp zwei Stunden später wird Stamp zum neuen Landesvorsitzenden gewählt, mit 92 Prozent der Stimmen. Die Partei der Individualisten will Geschlossenheit ausstrahlen.

"Es ist besser nicht zu regieren als falsch zu regieren"

Jamaika, das möchte Lindner beweisen, liegt im Nirwana. Ob bei der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, bei der Bildungspolitik, bei Europa oder beim Klimaschutz - nie seien die anderen auf die FDP zugekommen: "Man glaubte, man hätte uns im Sack." Unweit von Neuss buddeln riesige Schaufelrad-Bagger Braunkohle aus der Erde, da will Lindner genauer erklären, wie in Berlin um ein Ende der Kohleverstromung gefeilscht worden sei: "Kohleausstiegsgesetz, Quoten, Planwirtschaft", all das habe man besprochen, dem Rheinland hätten "Strukturbrüche und soziale Härten" gedroht.

Die Andacht, mit der die Delegierten ihrem Vorsitzenden lauschen, löst Lindner dann mit einer Spitze gegen die Naturwissenschaftlerin Angela Merkel auf. Fünf Gigawatt weniger Kohlestrom hielten Experten für möglich, aber die Kanzlerin habe in allerletzter Jamaika-Stunde den Grünen sieben Gigawatt konzedieren wollen - mindestens. Lindner zieht seinen Schlussstrich: "Politik endet da, wo die Physik anfängt!"

Nach einer guten halben Stunde ist Lindner da angekommen, wo alles aufhörte am vorigen Sonntag. "Es ist besser nicht zu regieren als falsch zu regieren", zitiert sich der Liberale selbst. Nur die restlichen neun Minuten widmet der scheidende FDP-Landeschef den Seinen. Den Liberalen an Rhein und Ruhr ("Ohne euch wäre ich nichts!"), die später, bei einer knapp einstündigen Aussprache, von den Jungliberalen bis zu den "Liberalen Senioren" unisono Lindners Kurs loben und preisen werden. Ein einziger Redner merkt zart an, ob man als Elf-Prozent-Partei das eigene Gewicht nicht etwas überschätzt habe.

Lindner empfängt am Ende minutenlange Ovationen, eine Stellvertreterin räumt ein, sie sei "den Tränen nahe" angesichts von Lindners endgültigem Abgang an die Spree. Zum Abschied schenken die NRW-Liberalen ihrem "Shooting Star" einen Ausflug in die Heimat - eine Schifffahrt auf dem Rhein, im Schnellboot natürlich.

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