"Brandnächte" im ZDF:Irgendwann traut man jedem alles zu

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Sie schaut anklagend, er gibt den Obernuschler - zuschauen möchte man trotzdem. Sophie von Kessel und Tobias Moretti in "Brandnächte". (Foto: ZDF und Jürgen Olczyk)

Der ZDF-Film "Brandnächte" von Matti Geschonneck bedient sich der Ästhetik und der Machart moderner Serien. Ist das radikal oder bloß normales deutsches Fernsehen mit zu wenig Licht?

Von Claudia Tieschky

Niemand jodelt in diesen Bergen. Sie sind nur grauer Stein, ohne Sonne, ohne Schatten, augenlose Zuschauer eines Dramas im Vorfrühling, fahle Farben, ungeheizte Stuben. Eine aus der Stadt haust hier in übereinandergezogenen Pullovern und Parka. Man sieht die Kälte in diesem Film, dabei handelt er doch vom Feuer, jedenfalls wird das behauptet, von einem lang zurückliegenden tödlichen Brand. Oder doch eher von lauter Erloschenen? Und vor allem: Ist das so radikal, wie es aussieht, oder bloß normales deutsches Fernsehen mit zu wenig Licht?

In einer teuren Wohnung in München, so fängt Brandnächte an, wird ein teures Paar von der Vergangenheit erwischt. Er reagiert unwillig, sie erschüttert auf eine anonyme Mail, in der steht, dass vor Jahren der Falsche verurteilt wurde. Damals starb im Dorf zwischen See und Bergen die junge Sophia. Jemand hatte Feuer gelegt, und auf einmal glaubt die Anwältin Julia Gerber (Sophie von Kessel), dass sie zurück muss, um die Wahrheit zu finden. Denn Sophie war ihre Schwester, und das Dorf ist auch Julias Dorf, aus dem sie mit ihrem Mann Nick wegging. Dieser Nick macht die ganze Zeit ein Gesicht wie der Tod, aber lustiger wird es dann auch ohne ihn nicht.

In jeder Einstellung sieht man die dunkle Macht dieses typisch suggestiven Erzählens

Der Regisseur Matti Geschonneck hat vor zwei Jahren einen anderen Film in fast der gleichen Voralpenlandschaft gedreht, irgendwo in der Nähe von Rosenheim und Chiemsee, filmtaugliche freistehende Bauernhöfe als Kulisse. Ein großer Aufbruch war klassischer Fernsehfilm, ein weit gereister Mann holt Freunde und Familie zusammen, um bei einem letzten Fest an der langen Tafel im luxusrenovierten Bauernhaus von einer tödlichen Diagnose zu berichten und von seinem Entschluss, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Das Besondere daran ist, dass dieser Tag für alle verblüffend endet, vor allem für den Zuschauer.

Und wenn man Ein großer Aufbruch, diesen phänomenalen Film, nun vergleicht mit Brandnächte, einer Produktion des gleichen Regisseurs, in gleicher Länge und ausgestrahlt auf dem gleichen Montags-Sendeplatz im ZDF - dann fällt vor allem das auf: wie sehr Ästhetik und Machart des Erfolgsgenres Serie hier inzwischen auf den Fernsehfilm durchschlagen. In jeder Einstellung von Brandnächte sieht man die dunkle Macht dieses typisch suggestiven Erzählens, das ja immer eine Erwartung wecken muss, die den Zuschauer über viele Folgen bei der Handlung hält. Als ob Geschonneck und Drehbuchautorin Hannah Hollinger, beide Profis des Fernsehfilms, sich gesagt hätten, lass uns doch dieses Ding mal probieren. Nur so als Fingerübung.

Und das geht dann so: Gleich nach ihrer Abreise aus der Münchner Wohnung ist Julia allein in einem uralten Kasten von Bauernhaus, in dem das elektrische Licht flackert, allein einem riesigen, leeren "Elternhaus" ohne Spur von Eltern - was aus ihnen wurde: unklar - und in einer Gegend, über die es einmal heißt, wenn man hier bleibt, "wird man eines Tages vom Berg erschlagen oder man ertrinkt im See". Kein Zweifel, hier wohnt das Böse, und wenn die Leute aus dem Dorf alle so stimmfest in der Kirche beten und singen und dem Pfarrer in der Prozession über die Wiesen folgen, dann ist es so, als müssten sie jeden Tag den Teufel abwehren. Die Menschen sind undurchsichtig, aber sie reden viel übereinander. Ging es beim Tod von Sophia um eine Grundstückssache für den Bau des Kraftwerks, das der alte Falk (Nikolaus Paryla) durchsetzen wollte? Mit wie vielen Männern im Dorf hatte Julias Schwester eigentlich ein Verhältnis? Und was ist wirklich los mit dem abgerissenen Jens Maurer (Tobias Moretti), der damals bei der Polizei war und in Sophias Fall ermittelte? Es ist also alles da, was dazugehört. Wie in Top of the Lake gibt es einen See, der in vielen Kamerafahrten das Geheimnis symbolisiert. Das Dorf der Brandnächte bildet eine archaische Gemeinschaft, und die Heldin, die einst Teil dieser Welt war, macht höllisch was durch.

Der Zuschauer hat es da besser in diesem Heimatfilm, er bekommt nämlich wunderbare Schauspieler. Paryla macht seinen Bösewicht so feinsinnig, dass er noch viel böser wird. Sophie von Kessel muss zwar von Anfang an arg anklagend schauen, aber man sieht eben auch, wie ihre verhärmte Julia alle Sicherheit verliert und dadurch paradoxerweise entspannter wird. Und Moretti ist nach Götz George der amtierende Kunst-Nuschler des deutschsprachigen Fernsehens und hier überhaupt ziemlich großartig.

Man kann es natürlich kritisieren oder peinlich berührt sein, wenn einfach mal auf sämtliche erogenen Zonen des Serienliebhabers gedrückt wird, man kann das "gemacht" finden, "geraunt" oder eben genuschelt, man kann sich manipuliert fühlen und sich beschweren, aber man kann sich der Wirkung all dessen bei Brandnächte tatsächlich schwer entziehen.

Auch Spannung funktioniert übrigens ganz speziell in diesem Hybridfilm. Sie ist am größten nicht in dem Moment, in dem sich ein Hinweis verdichtet, sondern dann, wenn jeder Verdacht ins Leere geführt hat. Auf einmal scheint alles möglich, und das ist der kleine Horror, den Brandnächte zu bieten hat: Irgendwann traut man jedem alles zu, sogar der Heldin. Die Wahrheit wird dann fast beiläufig erzählt.

Brandnächte, ZDF, 20.15 Uhr

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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