Architektur:Bürgernaher Blödsinn

Das Mainzer Rathaus, ein Gesamtkunstwerk von Arne Jacobsen und Otto Weitling, ist wegen unverantwortlicher Politik in Gefahr. Es droht seinen Sinn zu verlieren.

Von Ira Mazzoni

"Fuchsbau" oder "Beamtengefängnis": Das Mainzer Rathaus wird gern geschmäht. Häufig war es eine Frage, welcher politischen Partei man anhing, ob man das von Arne Jacobsen und Otto Weitling 1968/70 entworfene Bauwerk als große Baukunst würdigen konnte oder polemisch ablehnte. Architekturhistorisch ist das Rathaus - das erste, das sich die Stadt leistete, nachdem sie ihre Freiheiten und ihre Selbständigkeit 1462 verloren hatte - über jeden Zweifel erhaben: Kaum ein Repräsentationsbau der Zeit ist städtebaulich umsichtiger positioniert, reflektiert Ort und Geschichte subtiler, zeigt unverwechselbar Statue und bietet einen so harmonisch konzentrierten Ratssaal wie der Bau von Jacobsen und Weitling. Es gibt bis hin zu der Bestuhlung von Foyer und Wartebereichen keine Beliebigkeit. Das Mainzer Rathaus ist Gesamtkunstwerk - und seit 2006 ein eingetragenes Baudenkmal.

Ein Bürgerentscheid in Sachen Baukultur ist unseriös und unverantwortlich

Nach gut 40 Jahren ist es nun dringend sanierungsbedürftig. Die dünnen, lichtgrauen norwegischen Sandsteinplatten der Fassade lösen sich aus der korrodierten Halterungen. Das Dach ist stellenweise undicht. Die Klimaanlage steht vor dem Kollaps. Energieeffizient ist der Bau genauso wenig wie barrierefrei. Dass etwas gemacht werden muss, ist seit Langem bekannt. Aber nie hat die klamme Stadt Mittel für Bauunterhalt und Reparatur im Haushalt vorgesehen. Kostenschätzungen von 50 Millionen Euro schockten vor fünf Jahren die Öffentlichkeit und provozierten Abriss- und Neubauforderungen.

Um eine verlässliche Entscheidungsgrundlage zu erhalten, strengte der Stadtrat ein europaweites Ausschreibungsverfahren an. Die Generalplaner waren aufgefordert, Sanierungs- und Modernisierungskonzepte zu entwickeln. Jetzt liegen drei Planungsvarianten des 2016 beauftragten Generalplanungsbüros agn Niederberghaus & Partner vor. Das ernüchternde Ergebnis: Schon eine Instandsetzung mit Fassadenerneuerung und haustechnischer Ertüchtigung werden das von der Stadt festgesetzte Limit von 50 Millionen Euro überschreiten. Allerdings wäre ein Neubau keine wirtschaftliche Alternative, einmal davon abgesehen, dass es keinen attraktiven und bezahlbaren Bauplatz gibt. Die Architekten empfehlen daher dringend die Sanierung des Hauses und werben mit zweigeschossigem, tageslichten "Bürgerfoyer", Dachterrasse, Rheinpromenaden-Gastronomie und verglasten Großraumbüros, sogenannten open spaces für ein angeblich preisgünstiges Facelifting des diskreditierten Denkmals.

Und wieder wird nur über Zahlen diskutiert. Die Politik drückt sich währenddessen vor einer klaren Entscheidung. In der nächsten Stadtratssitzung am 29. November sollen die gewählten Vertreter der Bürger (eine Ampelkoalition) grünes Licht für einen Bürgerentscheid geben. Das klingt basisdemokratisch. Aber worüber sollen die Bürger entscheiden? Was ihnen das Denkmal wert ist? Welche Kostensteigerungen sie bereit sind zu akzeptieren? Ob ihnen die beliebigen Sanierungsentwürfe mehr Wert sind als das Gesamtkunstwerk? Oder ob sie gar auf ein eigenes Rathaus verzichten wollen? Der Ruf nach einem Bürgerentscheid in Sachen Baukultur ist unseriös und unverantwortlich. Denn es gibt keine Alternativen zur Instandsetzung des angestammten Rathauses. Mit einem Volksentscheid über dessen Zukunft führt die Parteiendemokratie mit Blick auf die nächsten Wahlen die Bürger nur vor und Politik ad absurdum.

Denn der vom Oberbürgermeister Michael Ebling zur Diskussion gestellte Ankauf einer nahen gläsernen Bankimmobilie erweist sich als völlig indiskutabel. Es gibt dort weder Platz für einen Plenarsaal noch für Ausstellungen und Veranstaltungen. Selbst Büros gibt es zu wenige, sodass Teile der Verwaltung ausgelagert werden müssten. Als zukünftigen Plenarsaal hat der OB den während des Landtagumbaus provisorisch im Landesmuseum eingerichteten Versammlungsraum im Blick. Andere sehen den Stadtrat schon in einem Seitenflügel des Schlosses residieren. Sowohl in der Bank als auch im Schloss wären Umbauten nötig mit unwägbaren Risiken, da auch dort Bauunterhalt und Haustechnik im Rückstand sind. Und das schöne, maßgeschneiderte Rathaus am Rhein stünde, von schützenden Gerüsten umstellt, leer. Bis zum Verkauf, vorzugsweise an eine Hotelkette, müsste es weiter unterhalten werden und verlöre dann mit seiner Funktion auch den architektonischen Sinn. Jeder vernünftige Mensch, der rechnen kann, wird einem solchen Szenario eine klare Absage erteilen.

Statt komfortabler Vintage-Sitzgruppe von Jacobsen bekäme man einen Mall-Touch

Vieles an dem angeblich so bürgerfreundlichen und "zeitgemäßen" Entwurf des Generalplaners agn muss nicht nur in Bezug auf den technischen und finanziellen Aufwand, sondern auch in Bezug auf die ästhetische Qualität und den Nutzen hinterfragt werden: Wieso muss der Bürger dem Rathaus aufs Dach steigen? Ist doch der Vorplatz des Rathauses schon eine große Rheinterrasse mit Skulpturen, Brunnenanlagen, Lauben und sogar einem Café. Einen besseren Blick auf den Strom und die Domstadt hat man vom Dach auch nicht. Nur der Platz müsste wieder in Ordnung gebracht und vitalisiert werden. Wieso muss der Korpus von Rats- und Vortragssaal an der Rheinpromenade gastronomisch geöffnet werden, wenn Hochwasser dem Bau jetzt schon zusetzt? Muss Hochwasserschutz Teil der Baumaßnahme sein, oder wird mit einer Uferverbauung gerechnet, die gegebenenfalls die Aufenthaltsqualität an der Promenade beeinträchtigt?

Und vor allem: Wieso meint man, das Rathaus-Foyer würde bürgerfreundlicher, wenn die Decke herausgerissen und ein Galeriegeschoss mit Glasdecke draufgesetzt wird? Statt eines Einsäulensaals mit komfortabler Vintage-Design-Sitzgruppe von Jacobsen bekäme man einen Mall-Touch. Auch die open spaces der Verwaltung scheinen mehr einer Mode als einer funktionalen Notwendigkeit zu folgen. Der Stadtrat sollte also am Mittwoch nicht nur auf eine genaue Kostenermittlung pochen, sondern auch Fragen nach der Qualität stellen. Maßstab muss das architektonische Vermächtnis von Arne Jacobsen und Otto Weitling sein. Beliebigkeit ist im Gesamtkunstwerk fehl am Platz.

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