Bundestagswahl:Chef unter Aufsicht

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  • Der geschäftsführende Außenminister von der SPD, Sigmar Gabriel, fordert seine Partei auf, Verantwortung zu übernehmen.
  • Eine Rede, die eigentlich Martin Schulz hätte halten müssen. Dessen Autorität wird von Parteimitgliedern jüngst immer wieder in Zweifel gestellt.
  • Da er in weiten Teilen der Basis beliebt ist, vermuten viele Genossen, dass sie ihn bei Neuwahlen für die Wählemobilisierung brauchen.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Als Sigmar Gabriel am Montagabend in der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion das Wort ergriff, fing es ganz harmlos an. Ihm werde ja immer nachgesagt, er wolle nur Minister bleiben und sei deshalb für eine große Koalition - so zitierten Teilnehmer der Sitzung ihn hinterher sinngemäß. Mit seinem Verzicht auf den SPD-Vorsitz aber habe er gezeigt, dass er nicht an Ämtern klebe. An dieser Stelle gab es sogar Applaus. Und dann legte der geschäftsführende Außenminister los.

Was Gabriel in der Fraktion hinlegte, war eine Art Ruck-Rede, mit der er den verunsicherten, nach dem Kurswechsel der vergangenen Woche verwirrten Genossen ihre Sorgen zu nehmen versuchte. Das Wichtigste sei, keine Angst zu haben, sagte der ehemalige Parteichef, weder vor der Union, noch vor der großen Koalition oder vor Neuwahlen. Die SPD solle den eigenen Argumenten vertrauen. Nicht über jedes Stöckchen springen.

Einfach mal schweigen. Den eigenen Mitgliedern vertrauen (die 2013, als er noch Parteichef war, am Ende trotz aller Unkenrufe mit 76 Prozent für eine große Koalition gestimmt hatten). Und obwohl Gabriel in seiner Rede immer wieder betonte, nun solle man den Martin und die Andrea mal machen lassen, also Parteichef Martin Schulz und Fraktionschefin Andrea Nahles, waren es ein paar andere Sätze, die bei vielen hängen blieben.

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Gabriel bietet seinen Parteifreunden Orientierung und weist ihnen eine Richtung

Politik heiße sammeln und führen, so zitierte Gabriel den früheren Parteivorsitzenden Franz Müntefering - um dann selbstironisch auf seinen eigenen Führungsstil anzuspielen: Er selbst habe in seiner Zeit vielleicht etwas zu viel geführt und zu wenig gesammelt. Aber, so Gabriel: Er habe den Eindruck, derzeit werde etwas zu viel gesammelt und zu wenig geführt.

Ließ sich das, Ironie hin oder her, anders verstehen denn als massive Kritik an Schulz und der ganzen Parteispitze? Wohl kaum. Doch da war noch etwas, das viele Abgeordnete aufhorchen ließ: Gabriel, so empfanden es Teilnehmer, bot Orientierung und zeigte seinen Parteifreunden eine Richtung auf. So funktioniert Führung.

Es war die zweite Gelegenheit innerhalb weniger Tage, bei der jemand anderes die Rede hielt, die eigentlich Schulz hätte halten müssen: Am Samstag hatte Fraktionschefin Andrea Nahles den Jusos erklärt, wie wenig sie von deren striktem Nein zur großen Koalition halte. Es stellt sich immer stärker die Frage, ob Schulz noch die Autorität und Führungsstärke hat, um die SPD durch die nächsten schwierigen Wochen und Monate zu führen.

Im Vergleich mit Nahles trat das Problem besonders deutlich zutage. Schulz war am Freitagabend beim Juso-Bundeskongress aufgetreten, schwer erkältet und erschöpft. Hinter ihm lag eine Woche, an deren Beginn er und die restliche Parteispitze nach dem Platzen der Jamaika-Sondierungen noch einmal das Nein zur großen Koalition bekräftigt hatten - um am Ende davon abzurücken und sich offen für Gespräche auch mit der Union zu zeigen.

Doch statt dies nun offensiv mit der neuen Lage zu begründen, wand sich Schulz vor den Jusos in Saarbrücken: "Ich strebe keine große Koalition an. Ich strebe auch keine Minderheitsregierung an." Auch Neuwahlen strebe er nicht an. "Ich strebe gar nichts an." Nahles hingegen hielt dem Parteinachwuchs am Tag darauf entgegen, dass es zwar gute Argumente gegen die große Koalition gebe. Aber: Dass die Jusos sich nun "einfach da rausnehmen", das gehe auch nicht. Ende der Ansage.

Für den Moment sitzt Schulz fest im Sattel

Schulz spürt wohl selbst, wie es um seine Autorität bestellt ist. Am Montag klagte er im Parteivorstand, dass er in der Sitzung der Bundestagsfraktion eine Woche zuvor wie ein "Vollpfosten" hingestellt worden sei, ohne jedes strategische Gespür. Die Abgeordneten hatten dort gegen das klare Nein zur großen Koalition aufbegehrt und damit die Dinge in Bewegung gebracht. Nun, eine Woche später, giftete Schulz ironisch, das klare Nein sei natürlich ganz allein seine Entscheidung gewesen. Was er damit sagen wollte: Der ganze Parteivorstand habe schließlich dafür gestimmt.

Doch trotz alldem sitzt Schulz paradoxerweise fest im Sattel - für den Moment jedenfalls. Die Befürworter einer großen Koalition glauben, dass sie ihn brauchen, um das ungeliebte Bündnis in der Partei durchzusetzen. Nur Schulz, so kalkulieren sie, könne es schaffen, die Basis von einer Neuauflage zu überzeugen - allerdings nicht, wie Gabriel 2013, dank seines strategischen Geschicks oder seiner Autorität. Sondern kraft seiner Beliebtheit.

Falls es zu einer großen Koalition kommt, könnte sich die Führungsfrage erneut stellen

Nach wie vor genießt der gescheiterte Kanzlerkandidat in weiten Teilen der Basis hohen Kredit. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz etwa weiß genau, dass er, der allenfalls geachtete, aber nicht geliebte Schlaumeier aller Wahrscheinlichkeit nach keine Chance hätte, wenn er vor die Genossen träte, um für Schwarz-Rot zu werben. Und an Andrea Nahles, die am Wochenende so souverän bei den Jusos auftrat, scheiden sich in der Partei nach wie vor die Geister.

Vor allem aber würde ein Rücktritt von Schulz, ob erzwungen oder halbwegs freiwillig, höchstwahrscheinlich derart viel Wut und Enttäuschung an der Basis auslösen, dass an eine sachliche Diskussion über eine Regierungsbeteiligung vorerst nicht zu denken wäre. Statt Schulz zu stürzen, haben sich mehrere Genossen an der Parteispitze deshalb vorgenommen, ihn in den nächsten Wochen möglichst eng zu begleiten und zu flankieren.

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Doch was passiert, wenn es tatsächlich zu einer Koalition kommen sollte? Dann könnte sich die Führungsfrage alsbald neu stellen - zumal dann noch ganz andere Fragen aufgerufen würden: Wer würde Minister? Schulz hat immer wieder versichert, dass er in kein Kabinett unter Angela Merkel eintreten werde.

Wie soll er von dieser Aussage noch einmal herunterkommen? Wieder unter Verweis auf die veränderte Lage? Die Fraktionsspitze aber ist bereits mit Nahles besetzt. Warum sollte sie diese Schaltstelle hergeben? Und schließlich: Was ist mit Gabriel? Spätestens seit seinem Auftritt in der Fraktion dürfte allen klar sein: Der Mann ist weiter im Spiel.

© SZ vom 29.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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