Österreichische Politikerin:"Sie wollen kritische Frauen einschüchtern"

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Sigrid Maurer twitterte ihren Hasspostern: "To the haters with love." (Foto: Twitter Screenshot)

Weil sich die österreichische Politikerin Sigrid Maurer gegen Beschimpfungen im Netz wehrt, macht die Boulevardpresse Stimmung gegen sie. Die Grüne erzählt, wie viel Hass ihr als junger Frau entgegenschlägt.

Interview von Leila Al-Serori

Die 32-jährige Tirolerin Sigrid Maurer ist seit zehn Jahren politisch aktiv, für die Grünen war sie von 2013 bis 2017 im österreichischen Nationalrat. Seit der vergangenen Wahl im Oktober ist die Partei dort nicht mehr vertreten.

SZ: Ein Foto von Ihnen mit nach oben gestrecktem Mittelfinger machte österreichweit Schlagzeilen. Wie kam es dazu?

Sigrid Maurer: Im Zuge der Me-Too-Debatte war ich bei einer Fernsehdiskussion zu Gast und habe von Sexismus betroffene Frauen verteidigt. Danach bin ich bombardiert worden mit Hassnachrichten, von "Du blöde Fotze" bis zu Vergewaltigungsdrohungen war alles dabei. Das Ziel dieser Leute: Sie wollen kritische Frauen einschüchtern. Aber ich weigere mich, einzuknicken. Also habe ich in einer spontanen Aktion ein Foto von mir mit Stinkefinger getwittert. Dazu die Worte: "To the haters with love."

Kritik gab es beispielsweise von der rechtspopulistischen FPÖ, Boulevardmedien wie die Kronen Zeitung und Österreich führten regelrechte Kampagnen gegen Sie. Wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt?

Ich habe nicht damit gerechnet, was für schlimme Folgen ein Schnappschuss haben kann - und dass ein Mittelfinger im Jahr 2017 noch solche Empörung auslösen kann. Für mich war es eine adäquate Antwort auf den ganzen Hass im Netz, den ich täglich und seit Jahren erlebe. Der Boulevard hat das Foto aber komplett aus dem Zusammenhang gerissen, es wurde behauptet, ich hätte den Wählern nach unserer Niederlage bei den Nationalratswahlen und meinem Ausscheiden aus dem Parlament den Mittelfinger gezeigt.

Zuletzt wurde sogar Ihre rechtmäßige dreimonatige Entgeltfortzahlung als Ex-Parlamentarierin auf der Titelseite der Kronen Zeitung thematisiert mit den Worten: "Stinkefinger-Grüne will fürs Nichtstun kassieren."

Ich bin das perfekte Feindbild für diese Menschen: eine junge Frau und noch dazu grün. Für viele ist es schon Provokation genug, dass es selbstbewusste Frauen gibt, die nicht auf den Mund gefallen sind. Leider ist die gesellschaftliche Situation gerade so, dass es wieder salonfähig ist, darauf mit Hetze zu reagieren. Die Botschaft an mich soll wohl sein: Es geziemt sich nicht, als junge Frau Widerrede zu leisten.

Literatur
:Rechte hetzen gegen österreichische Autorin Stefanie Sargnagel

Die Bachmann-Preisträgerin veröffentlicht einen satirischen Reisebericht und wird daraufhin unter anderem von der "Kronen Zeitung" angefeindet. Als sie sich wehrt, wird sie von Facebook gesperrt.

Von Elisabeth Gamperl

Ähnliches ist auch Stefanie Sargnagel passiert. Die junge Wiener Künstlerin wurde an den Pranger des Boulevards gestellt, sie hat sogar gesundheitliche Schäden davongetragen. Es scheint, als würde es in der Öffentlichkeit in Österreich keinen Aufschrei bei solchen Fällen geben.

Es wurde schon auch für mich Partei ergriffen. Aber grundsätzlich stimmt es: Der Boulevard kann in Österreich machen, was er will. Es gibt weder Reue noch Schuldbewusstsein. Zur gleichen Zeit ist übrigens ein FPÖ-Politiker mit einem Hitlergruß-Foto aufgefallen - der hat weniger Empörung ausgelöst als mein Mittelfinger.

Der ganze Shitstorm gegen mich ist aber auch deshalb so groß geworden, weil ich die Kooperation mit dem Boulevard verweigere und mehrfach Anfragen für Interviews abgelehnt habe. Man hat mit Artikeln gegen meine Person reagiert. Zuerst waren die Reaktionen im Internet relativ überschaubar. Die Medien haben dann eine Empörung hochgeschrieben, die sie eigentlich selbst ausgelöst haben.

Es hat die Multiplikatoren der Boulevardpresse gebraucht, damit das überhaupt so groß wird.

Genau. Die Krone hat öffentlich eingestanden, dass sie darauf setzt, von reichweitenstarken Politikern wie beispielsweise FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auf seinem Facebook-Account geteilt zu werden, da sich dadurch die Zugriffszahlen erhöhen. Das ist auch in meinem Fall passiert - die Folge war eine Lawine an Hasspostings.

Der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat im deutschen Wahlkampf 2013 ebenfalls Schlagzeilen mit einem Stinkefinger-Bild gemacht. Die persönlichen Angriffe gegen Sie übertreffen das aber bei weitem. Liegt das in Ihren Augen auch daran, dass Sie eine junge Frau sind?

Das Geschlecht und das Alter machen sicher einen Unterschied. Hassnachrichten an eine junge Grünen-Politikerin sind leider Standard. Das hat allerdings sehr stark zugenommen seit der Flüchtlingssituation 2015. Da sind Dämme gebrochen. Seither spüre ich eine klare Verrohung, die immer extremer wird. Früher hat man mir oft geschrieben, dass ich zu jung sei oder mein Aussehen kritisiert.

Nun bekomme ich Nachrichten, ich solle doch von einem Asylbewerber vergewaltigt werden, dann würde ich sehen, was ich von meiner Politik habe. Das ist beispielsweise nicht strafbar, da es keine konkrete Gewaltandrohung ist. So etwas schreiben übrigens auch hin und wieder Frauen.

Bei den Wahlen im Oktober hat die politische Rechte in Österreich stark zugelegt, die FPÖ wird wohl bald in der Regierung vertreten sein. Ist das der Nährboden für solche Anfeindungen?

Ja, es ist vieles sagbar, was vor zehn Jahren noch unmöglich war. In diesem Klima haben Hasspostings und Hetze Konjunktur. Viele dieser Leute fühlen sich seit der Wahl als Sieger - und lassen ihrem Hass gegen Andersdenkende freien Lauf.

In meiner Partei bin ich nicht die Einzige, die mit Gewaltaufrufen konfrontiert wird. Seit unserer Wahlniederlage im Oktober ist das noch mal schlimmer geworden. Auf die Grünen zu schimpfen, wird seither als legitim erachtet. Aber hätte ein Mann aus unserer Partei den Stinkefinger gezeigt, hätte das wohl niemals solche Folgen gehabt.

Wie gehen Sie damit um?

Ich habe immer schon als Politikerin polarisiert, ich bin also einiges gewöhnt und muss als Person des öffentlichen Interesses vieles aushalten. Deshalb trifft mich das alles nicht persönlich, ich habe jetzt auch keine Angst. Aber die tägliche Auseinandersetzung damit ist schon belastend, vor allem weil es mich so viel Zeit kostet.

Sie sind bereits seit mehr als zehn Jahren politisch aktiv. In Ihrer Laufbahn haben Sie immer wieder Grenzen ausgelotet, beispielsweise haben Sie 2010 Hausverbot im Parlament erteilt bekommen, weil sie Flugzettel in den Plenarsaal geworfen haben.

Ein gewisser Aktionismus gehört in der Studierendenpolitik dazu, wenn man auf Missstände hinweisen möchte. Damals sollte die Familienbeihilfe gekürzt werden, dagegen haben wir protestiert. Wie ich dann im Parlament war, habe ich natürlich andere Mittel gehabt, um Ideen hörbar zu machen.

Das Mittelfinger-Foto war allerdings nicht geplant, ich würde es wohl auch nicht noch einmal machen.

Was sind nun Ihre Pläne, da Sie mit den Grünen im Oktober aus dem Parlament gewählt worden sind?

Ich habe viele Ideen, aber noch ist nichts konkret. Bei den Grünen gibt es keine Tradition der Versorgungsjobs, und das ist auch gut so. Aber ganz aus der Politik werde ich mich nicht zurückziehen. Nur weil ich kein Mandat mehr habe, bin ich ja nicht unpolitisch geworden. Es gibt schließlich einen extremen Rechtsruck in meinem Land, der bekämpft werden muss.

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