Leben mit Aids:"Das Leben als Positiver schränkt mich in keiner Weise ein"

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Stefan-Maria Mittendorf ist froh, dass er von Anfang entspannt mit HIV umgehen konnte. "Aber ich mache keine Sensation daraus", sagt er. (Foto: Robert Haas)

Als Stefan-Maria Mittendorf vor fünf Jahren die Diagnose erhielt, HIV positiv zu sein, dachte er, sein Leben würde schlagartig anders sein. Die Veränderung blieb aus.

Von Tobias Mayr

Und das soll es jetzt gewesen sein? Stefan-Maria Mittendorf, 48, erwartete, dass sein Leben nach dem 8. Januar 2013 grundsätzlich anders sein würde. An diesem Tag erhielt der Münchner in einem sterilen, fensterlosen Raum im Klinikum Bogenhausen die Diagnose: HIV positiv. Doch die große Veränderung ließ auf sich Warten. "Das Leben als Positiver schränkt mich in keiner Weise ein", sagt Mittendorf heute. Von einem Schicksalsschlag keine Spur.

Der Kunsthistoriker, der als Kurator in der Pasinger Fabrik arbeitet, ist einer von Wenigen, die sich trauen, öffentlich über ihre Infektion zu sprechen. Im Oktober suchte die Münchner Aids-Hilfe Betroffene, die sich für die Ausstellung "Gesicht zeigen! Leben mit HIV" fotografieren und filmen lassen möchten. Dem Aufruf sind gerade einmal fünf Männer gefolgt. Ihre Porträts hängen nun in Übergröße an einer Wand im Café Regenbogen. Die restlichen Wände bleiben leer. Warum nur fünf? Die Angst vor einer Stigmatisierung als "Infizierter" oder "Verseuchter" belastet nach wie vor viele Betroffene.

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"Von Anfang an war mir klar, dass ich in keinem Fall darüber schweigen werde", sagt Mittendorf. Das Leben ist für ihn der prozesshafte Ablauf von Ereignissen. Die Diagnose ist nur ein weiterer Schritt, nichts Drastisches. "HIV ist jetzt ein Teil von mir, aber er wird nicht die Oberhand gewinnen", sagte sich Mittendorf 2013 und begann, offensiv mit der Geschichte seiner Krankheit umzugehen.

Diese Geschichte beginnt im Herbst 2012. Immer wieder klagte Mittendorf damals über gesundheitliche Probleme. Wegen einer Gürtelrose am Auge schleppte er sich von Arzt zu Arzt, doch die Ursache blieb ungeklärt. In der Weihnachtszeit wurde sein Körper dann immer schwächer. Er klagte über Atemnot und Grippe-Symptome. Erst als er völlig erschöpft in der Notaufnahme landete, wurde schließlich ein HIV-Test gemacht. Drei Monate lang hatte kein Arzt die Anzeichen einer HIV-Infektion bei dem 43-Jährigen erkannt.

Mittendorf war schnell nicht mehr ansteckend

Mittendorf erinnert sich: "Die ersten Tage nach der Diagnose waren emotional", sagt er. Er habe nicht gewusst, wie er mit der Infektion umgehen soll. In Bezug auf Krankheiten sei er mit einem klaren Grundsatz erzogen worden: "Ein Indianer weint nicht." Zielführend war das nie, sagt er, besonders nicht damals. "In dieser Nacht musste ich weinen und merkte, es stimmt nicht: Ein Indianer weint doch." In Mittendorf reifte der Entschluss, sich von HIV nicht einengen zulassen. Sein Lebensmotto heißt seither: "Live free or die."

Seine anfängliche Furcht vor Ablehnung stellte sich als unbegründet heraus. Seine Familie hielt zu ihm, seine Freunde reagierten aufgeklärt. Viele hätten einfach gesagt: "Stefan-Maria bleibt Stefan-Maria, da verändert sich nichts". Dank medizinischer Therapie lag der HI-Virus schon im Mai 2013 unterhalb der Nachweisgrenze, Mittendorf war nicht mehr ansteckend.

Wenn der 48-Jährige heute zurückblickt, ist er froh, dass er von Anfang an entspannt mit HIV umgehen konnte. "Aber ich mache keine Sensation daraus", sagt er. Denn der Schritt an die Öffentlichkeit sei wohlüberlegt. "Ich hatte den Eindruck, dass ich jetzt noch mehr Gesicht zeigen muss."

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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