Soziales Engagement:Wenn das Ehrenamt zum Billigjob wird

Soziales Engagement: Eine ehrenamtliche Helferin mit einer Seniorin beim Spaziergang.

Eine ehrenamtliche Helferin mit einer Seniorin beim Spaziergang.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Kommerzielle Anbieter versprechen, man könne sich in der Nachbarschaftshilfe 2400 Euro pro Jahr steuerfrei hinzuverdienen.
  • Wohlfahrtsverbände kritisieren, dass die Menschen dafür in Dienstpläne eingebunden würden. Das könne zu einem neuen Niedriglohnsektor führen und widerspreche dem Sinn der Ehrenamtspauschale.
  • Experten sehen die Gefahr einer Grauzone zwischen Ehrenamt und bezahlter Arbeit.

Von Melanie Staudinger

Sie gehen für den Nachbarn mit dem gebrochenen Fuß einkaufen, sie helfen alleinstehenden Senioren beim Kochen oder unterstützen schmerzgeplagte Rentnerinnen beim Putzen. Was nach klassischer Nachbarschafthilfe klingt, kann schnell zum lukrativen Geschäftsmodell werden. Dann nämlich, wenn unter dem Deckmantel des Ehrenamts Helfer angeworben, in Dienstpläne eingebunden und unter dem Mindestlohn bezahlt werden. Wohlfahrtsverbände und Vertreter von Ehrenamts-Organisationen fürchten, dass in der Stadt München auf diese Weise ein neuer Niedriglohnsektor entstehen könnte. Vor allem Langzeitarbeitslose, Hausfrauen und Rentner mit geringem Einkommen sind betroffen.

"Es gibt Firmen, die leider eine Marktlücke für sich entdeckt haben: die hauswirtschaftliche Versorgung", sagt Norbert Huber, Geschäftsführer der Caritas München. Dieser Bereich, also die Unterstützung bei alltäglichen Erledigungen, sei in Bayern massiv unterfinanziert, erklärt er. Betroffene könnten sich Fachkräfte daher kaum leisten. Gleichzeitig wächst in München die Zahl der Menschen, die von ihrem Einkommen nicht leben können und sich etwas dazuverdienen wollen. Ihnen versprechen diverse Anbieter, dass sie als ehrenamtliche Helfer bis zu 2400 Euro pro Jahr steuerfrei hinzuverdienen könnten. Diese Ehrenamtspauschale wird zudem auf Hartz IV nicht angerechnet.

Das alles ist legal, und dennoch sehen Experten das problematisch. "So entsteht eine Grauzone zwischen Ehrenamt und bezahlter Arbeit", sagt Huber. Eigentlich ist die Aufwandspauschale für Ehrenamtliche gedacht - als Entschädigung für eine freiwillige Tätigkeit. "Keinesfalls dürfen Ehrenamtliche in richtige Dienstpläne oder gar Touren verpflichtend eingebunden sein", sagt Huber. Genau das aber beobachtet er zunehmend.

Auch der Fachbeirat für bürgerschaftliches Engagement hat jüngst im Stadtrat vor einer Monetarisierung des Ehrenamts gewarnt. Wer helfe noch unentgeltlich, wenn er nebenan Geld verdienen könne? "Wir brauchen eine klare Abgrenzung zur bezahlten Arbeit", sagt Klaus Grothe-Bortlik vom Forum für bürgerschaftliches Engagement, der wie Huber dem Fachbeirat angehört. Seiner Meinung nach müsse die Stadt einen "Code of Ethics" entwickeln, eine Richtlinie, die Orientierung bietet, was noch Ehrenamt ist und was schon eine Nebentätigkeit. "Billige Arbeitskräfte unter dem Label Ehrenamt darf es nicht geben", stellt er klar.

Das sehen Kommunalpolitiker ähnlich. "Es wird ausgenutzt, dass immer mehr Menschen dringend einen Zuverdienst brauchen", sagt SPD-Sozialexperte Christian Müller. Die Armut in München wächst, das hat auch der aktuelle Armutsbericht der Stadt gerade erst wieder drastisch vorgerechnet. Fast jeder sechste Münchner lebt demnach unterhalb der Armutsgrenze. Etwa 269 000 Menschen waren im vergangenen Jahr von Armut betroffen, das sind rund 65 000 mehr als noch fünf Jahre zuvor. "Diese Menschen nehmen jeden Zuverdienst, den sie bekommen können", sagt Müller. Ihre Not werde ausgenutzt, gleichzeitig das für die Gesellschaft so wichtige Ehrenamt verwässert.

"Wir müssen die Ehrenamtlichen vor Ausbeutung schützen", sagt auch CSU-Stadträtin Beatrix Burkhardt. Und vor allem müsse der Stadtrat darauf achten, dass schwarze Schafe in der Branche nicht auch noch städtische Zuschüsse erhielten. "Da müssen wir jeden Einzelfall genau prüfen", sagt sie. Allgemeine Richtlinien alleine würden nicht ausreichen.

Die Stadtverwaltung arbeite mit Wohlfahrtsverbänden und anderen Experten gerade an konkreten Handlungsempfehlungen zur Abgrenzung von Ehrenamt und bezahlter Arbeit, sagt eine Sprecherin des Sozialreferats. Grundlage ist die in diesem Jahr vom Stadtrat beschlossene Leitlinie Soziales. Die Landeshauptstadt setze sich im Rahmen ihrer kommunalen Möglichkeiten dafür ein, "dass soziale Arbeit in notwendigem Umfang finanziert wird, sodass bürgerschaftliches Engagement nicht zum Ersatz für hauptamtliches Handeln wird". Das Kalkül dahinter: Wenn die Arbeit von Fachkräften bezahlt werden kann, können Ehrenamtliche ihrem unentgeltlichen Engagement nachgehen. Entsprechende Empfehlungen sollen bereits im Januar diskutiert werden, wie die Sprecherin des Sozialreferats sagt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: