Gesellschaft ohne Glühbirne:"Ein Boom für Psychiater"

Der Münchner Designer Ingo Maurer über die Poesie der Helligkeit und die Gefahren des "gleichgültigen Lichts".

Oliver Herwig

SZ: Herr Maurer, die Glühbirne passt offenbar nicht mehr in unsere energieeffiziente Welt. Trauern Sie ihr nach?

Ingo Maurer; oh

Ingo Maurer, 76, gilt als Poet des Lichts. Mit "Lucellino" verlieh der Münchner Künstler und Designer beispielsweise einmal einer Glühbirne Flügel.

(Foto: Foto: oh)

Ingo Maurer: Ja. Wir können die Glühlampe nicht aufgeben, sie ist eine emotionale Ikone, das würde eine drastische Verminderung unserer Lebensqualität bedeuten.

SZ: Dabei sollen wir doch sparen.

Maurer: Ich bin ja dafür, dass man spart, doch viele setzen Licht völlig falsch ein: Wenn etwa so ein Lüsterchen ziemlich hoch oben an der Decke hängt und die Dinge brutal und unnötig hell anstrahlt. Wir leben inmitten sinnloser Lichtverschwendung. Ich würde der Glühbirne nachweinen, aber ich glaube nicht, dass sie ganz verschwindet.

SZ: Wieso nicht? Die EU beschließt es einfach.

Maurer: Trotzdem. Bis dahin vergehen noch Jahre. Sollte es so kommen, dürfte es einen Boom für Psychiater geben. Die Sparglühbirne wird uns nicht glücklich machen, so raffiniert sie auch sein mag. Unsere emotionale Stabilität ist an die Glühbirne gebunden.

SZ: Wie kommen Sie darauf?

Maurer: Wir sind mit der Glühbirne geboren worden. Sie verkörpert eine starke Symbiose aus Poesie und Technik.

SZ: Zumindest ihre Technik scheint mittlerweile ausgereizt.

Maurer: So wie sie im Augenblick ist, ja. Aber wir arbeiten bereits an einer Lösung, und ich bin sicher, dass wir gewinnen. Wir werden ihre Form erhalten.

SZ: Die Form ...?

Maurer: ... die Birnenform. Es wird natürlich einen Übergang geben. Raffinierte Tüftler sind gefragt. Ich selbst arbeite mit LED und war der Erste, der sie im Privatbereich einführte. Die Zukunft wird verschiedenen Entwicklungen gehören, nicht nur einem System.

SZ: Was unterscheidet das Licht des Glühdrahts von dem einer Diode?

Maurer: Die Diode bringt niemals Wärme, der Glühdraht hat etwas von einer Kerze. Solche Qualitäten wird vorläufig keine Diode bringen. Glühbirnen können wir also nur verändern, nicht sterben lassen. Der Mensch muss einsehen, dass sonst ein gleichgültiges Licht siegt.

SZ: Wer Ihre Homepage sieht und die pendelnde Cartoon-Glühbirne entdeckt, denkt: Die kleine Lampe ist bestimmt Ihr Lieblingsmedium.

Maurer: Sie war ja auch meine erste Lampe. Ich war in Venedig, in einem kleinen Hotel. Über mir hing eine Glühlampe, 15 Watt. Ich hatte mich in eine Sparlampe verliebt. In meinem Elternhaus hingen auch lauter Sparlampen.

SZ: Ästhetik und Sparen schließen sich also nicht aus.

Maurer: Das möchte ich erreichen. Aber die Sparlampen-Lobby ist stark. Die Industrie wird sie verkaufen, dass die Rohre glühen. Nur das Emotionale wird dabei komplett vergessen. Im Übrigen ist die vermeintliche Energieeinsparung eine Milchmädchenrechnung.

SZ: Das klingt, als wäre Ihnen die Glühlampe wirklich ans Herz gewachsen.

Maurer: Die Glühlampe ist eine Ikone. Ein mörderischer Gedanke, dass sie die Glühbirne umbringen wollen. Ich kann nur hoffen, dass Gott uns beisteht, dass dieser Kelch an uns vorübergeht. Licht bringt eine vierte Dimension, eine unbewusste Geistigkeit.

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