Residenztheater:Einer, der das Theater zeitgenössisch denkt und in die Zukunft führt

Andreas Beck

Andreas Beck, Intendant am Theater Basel - demnächst in München?

(Foto: Simon Hallstroem)

Andreas Beck, bislang Intendant am Theater Basel, wird wohl Chef des Münchner Residenztheaters. Eine späte, aber exzellente Wahl.

Von Christine Dössel

Noch ist nichts offiziell bestätigt und kein Vertrag unterzeichnet, aber alle Weichen scheinen gestellt zu sein: Der 52-jährige Andreas Beck, Intendant am Theater Basel, soll als Nachfolger von Martin Kušej die Leitung des Bayerischen Staatsschauspiels übernehmen, also des Münchner Residenztheaters mit seinen beiden Zusatzbühnen, dem Marstall und dem Cuvilliés-Theater.

Der Österreicher Kušej, der den Riesentanker seit 2015 leitet, hat eigentlich noch einen Vertrag bis 2021. Doch aus diesem steigt der 56-Jährige vorzeitig aus, wie Ende Juni bekannt wurde, - was offenbar ohne Weiteres möglich ist -, um 2019 das Wiener Burgtheater zu übernehmen. Dort Direktor zu werden, ist für viele Theaterintendanten die Krönung ihrer Laufbahn und war auch des Kärntners Kušejs ultimatives Karriereziel.

Bemerkenswerterweise war auch Andreas Beck, sein mutmaßlicher Nachfolger in München, bis zum Schluss ein heißer Kandidat fürs Burgtheater. Das Ensemble soll sich sogar mehrheitlich für den 1965 in Mülheim an der Ruhr Geborenen ausgesprochen haben. Er ist an dem Haus kein Unbekannter: Beck, der nach seinem geisteswissenschaftlichen Studium Anfang der Neunziger als Assistent dort begann, war seit 2002 an der Burg Dramaturg im Team des damaligen Direktors Nikolaus Bachler (der sich damals mit Vornamen noch Klaus nannte). Bis er 2007 die künstlerische Leitung des Wiener Schauspielhauses in der Porzellangasse übernahm und das kleine Haus sehr erfolgreich als Bühne für neue Dramatik aufstellte. 2015 wurde Beck schließlich als Nachfolger von Georges Delnon Direktor am Theater Basel, einem veritablen Drei-Sparten-Haus.

Markus Söder dürfte in Spendierlaune sein

In Nikolaus Bachler, so ist zu vermuten, hat Andreas Beck bis heute einen seiner entschiedensten Förderer. Der Intendant der Bayerischen Staatsoper dürfte einer der "Berater" gewesen sein, mit denen sich jener Königsmacher besprach, der in Bayern namens des Kunstministeriums die Kandidaten für die wichtigen Leitungsposten im Kulturbereich sucht und findet: Ministerialdirigent Toni Schmid, eigentlich bereits im Ruhestand, kraft eines zweijährigen "Beratervertrags" jedoch nach wie vor zuständig für die Kandidatenkür. Diese betreibe er weder als "Wunderwutzi" noch als "einsamer alter Mann in spätfeudaler Machtausübung", betont Schmid, sondern indem er viele Gespräche mit vielen Beratern und Kennern der Szene führe.

Erst neulich wurden die Namen jenes neuen Leitungsduos bekannt, das Schmid für die Zukunft der Münchner Staatsoper von 2021 an gewinnen konnte: Der russische Dirigent Vladimir Jurowski wird auf Kirill Petrenko folgen, und der belgische Intendant Serge Dorny löst Nikolaus Bachler ab (SZ vom 2. Dezember). Allerdings muss die Sache noch vom Finanzministerium abgesegnet werden, was nun sehr schnell gehen dürfte: Der Chef Markus Söder wird bald Ministerpräsident. Wer wäre da nicht in Spendierlaune?

Das Kabinett muss ebenfalls noch zustimmen, weshalb im Kunstministerium niemand erfreut darüber ist, dass die Namen durchgesickert sind. Dasselbe gilt für den Kandidaten Andreas Beck als möglichen Nachfolger von Martin Kušej. Auf Nachfrage dementiert Toni Schmid die Personalie zwar nicht, versieht sie jedoch mit "vielen Fragezeichen" und verweist auf einen anderen "sehr guten" Kandidaten.

In Becks Team sind viele Frauen

Andererseits tat Andreas Beck am Dienstag auf einer Bilanz-Pressekonferenz kund, dass er nach 2020 am Theater Basel nicht mehr zur Verfügung stehe. Heißt: Er wird seinen Vertrag, der bis 2020 geht, trotz Zuschauer- und Auslastungserfolgen nicht verlängern. Beck sagte, er wolle dies rechtzeitig mitteilen, weil der Planungsvorlauf im Musiktheater mindestens zwei Jahre beträgt. Die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger sollte jetzt beginnen können, "um das Haus sorgfältig zu übergeben". Die Nachricht löste Überraschung und Bedauern, ja teils Entsetzen aus - über die Belegschaft heißt es, sie sei "in Schockstarre" - und befördert Spekulationen über Becks Zukunft. Zwar braucht das Residenztheater schon 2019 einen Intendanten, und Becks Vertrag geht bis 2020. Aber solche Dinge lassen sich bekanntlich regeln.

Schweizer Medien verspotteten das Theater Basel als "Bastelklub"

Becks Weggang ist für das Theater Basel schlecht. Nicht nur, weil es für ein Mehrspartenhaus ausgesprochen knapp wird, bis 2020 - oder gar bis 2019 - eine neue Intendanz aufzustellen. Sondern vor allem, weil Beck in Basel wirklich gute Arbeit geleistet und ein starkes Ensemble gebildet hat. Die Leitung des Schauspiels übernahm er selbst, für die Oper holte er eine Frau, die Amerikanerin Laura Berman. Überhaupt arbeiten viele Frauen in Becks Team. Als Hausregisseure engagierte Beck den Schweizer Thom Luz, die Österreicherin Nora Schlocker, die Deutsche Julia Hölscher und den in Basel geborenen Australier Simon Stone, um den sich alle reißen.

Dümpelte das Haus zuvor krisenbeladen dahin, von der Neuen Zürcher Zeitung als "Bastelklub" verspottet, verfolgte es unter Beck dezidiert eine "Basler Dramaturgie" und hatte plötzlich auch überregional Erfolg. So wurden Simon Stones gefeierte Theaterüberschreibungen "John Gabriel Borkman" (als Koproduktion mit dem Burgtheater Wien) und "Drei Schwestern" zum Berliner Theatertreffen eingeladen, und die ehrgeizige Inszenierung des "Donnerstag" aus dem Opernzyklus "Licht" von Karlheinz Stockhausen, gestemmt von der jungen Lydia Steier, wurde in der Zeitschrift Opernwelt zur Aufführung des Jahres 2016 gewählt. In der Saisonbilanz 2016/17 der Deutschen Bühne erreichte das Theater Basel in der Kategorie "Beste Gesamtleistung" sogar Platz 1. Als Gründe wurden die "stilbildenden Impulse für das Schauspiel" sowie die "ungemein kluge Vernetzung von Schauspiel- und Musiktheaterregisseuren" genannt. Auch Ulrich Rasches soghafter "Woyzeck" auf einer spektakulären Scheiben-Bühne und Ewald Palmetshofers Neubearbeitung von Gerhart Hauptmanns Sozialdrama "Vor Sonnenaufgang" in Nora Schlockers Regie haben zuletzt wieder gezeigt, was man in Basel alles wagt und kann. Das Schauspiel macht an dem Haus längst wieder was her und zieht das Publikum an: Im Vergleich zur ersten Saison kamen 11 000 Zuschauer mehr.

Aus all diesen Gründen, aber vor allem weil er das Theater radikal zeitgenössisch und mit Gespür für die Fragen der Zukunft denkt, ohne dafür das Erzähltheater aufzugeben und ohne das Ensemble- und Repertoiresystem infrage zu stellen, wäre Beck für München ein Gewinn. Gerade als Gegenspieler zu Matthias Lilienthal an den Kammerspielen, dem Martin Kušej viel zu wenig Aufregendes entgegensetzt. Dass auch Barbara Frey, die Noch-Intendantin des Schauspielhauses Zürich, fürs Residenztheater gehandelt wird, ist kein Geheimnis. Sie führt selber Regie, vertritt ein solides Stadttheater mit starker Klassiker-Ausrichtung. Sie ist eine Könnerin - und eine Frau. Frauen in Intendantenpositionen sind noch immer viel zu selten. Aber Beck steht für den Aufbruch, Frey eher für den Status quo. Aus inhaltlichen und innovativen Gründen wäre Beck als Resi-Intendant der Vorzug zu geben.

München ist Beck nicht fremd. Er hat hier und in Bologna Kunstgeschichte, Soziologie und Theaterwissenschaft studiert. Und war in den Neunzigern auch schon am Residenztheater tätig: als Dramaturg.

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