Unternehmen:Deutschlands Großkonzerne werden zerlegt und zerpflückt

Stahlbranche

Ein Kran transportiert in der Feuerbeschichtungsanlage von Thyssenkrupp in Dortmund eine Spule umher.

(Foto: dpa)
  • Seit einigen Jahren fallen Deutschlands Mischkonzerne wie Siemens, Bayer oder Thyssenkrupp auseinander.
  • Sie lagern einzelne Geschäftsbereiche aus, gründen neue Gemeinschaftsunternehmen oder bringen Tochtergesellschaften an die Börse.
  • Das alles geschieht häufig auf Drängen aktivistischer Investoren - doch die geben auch danach nur in den seltensten Fällen Ruhe.

Von Thomas Fromm und Benedikt Müller, Düsseldorf

Wenn die Konzernzerleger an die Türe klopfen, wird es ernst. Dann geht es darum, was am Ende noch übrig bleiben soll von einem Mischkonzern - und was gewinnbringend verscherbelt werden kann. Das Problem ist nur: Ein Konzernchef, der sich auf die Zerleger einlässt, muss oft noch ein paar Jahre in seiner Firma arbeiten. Die Unternehmensfiletierer aber ziehen weiter.

Der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering nannte solche Investoren deshalb mal "Heuschrecken". Heute hier, morgen dort. Immer da, wo es etwas abzugrasen gibt. Am Dienstag also waren sie wieder mal bei Thyssenkrupp, die Zerleger. Sie kommen in diesem Fall von Cevian, dem schwedischen Investor, und sind sehr unzufrieden mit dem Konzern.

Er finde die Geschäftszahlen besorgniserregend, polterte Cevian-Chef Lars Förberg schon nach der Bilanzvorlage vor zwei Wochen. Die Aktie von Thyssenkrupp sei zuletzt viel schwächer gestiegen als der Aktienindex Dax. "Konglomerate alten Stils" funktionierten nicht mehr, monierte Förberg - schon gar nicht in einer Welt, die sich immer schneller verändere.

Cevian gegen das Konglomerat, der aggressive Investor gegen den traditionsreichen Konzern: Diese Kombination verspricht Ärger. Denn Cevian gehört zu jenen sogenannten aktivistischen Investoren, die sich mit einer Dividende allein nicht zufriedengeben, wenn sie Firmenanteile kaufen. Investoren wie Cevian, KKR oder TPG mischen Strategie und Management auf - manchmal geht das auch bis zur Zerschlagung des Unternehmens. Das Konglomerat ist für die Aktivisten unter den Investoren nur noch ein Relikt vergangener Tage, eine Oase der Gemütlichkeit. Mischkonzerne, in deren Ecken und Winkeln es sich die Mitarbeiter bequem machen können, ohne dass ihre Leistungen mit den anderen der Branche gemessen werden können.

Also müssen sie weg, diese Konglomerate. Oder, wie man derzeit bei Siemens sagt: Aus dem großen, alten Tanker aus München sollen viele, kleine Schnellboote werden. Wer will, dass die Dinge so bleiben, sagt: Es ist doch eigentlich ganz praktisch, wenn man Marketing, Einkauf, Personal, IT und Patente in Zentralabteilungen bündeln und in der Hauptverwaltung zusammenlegen kann. So etwas kann durchaus helfen, Geld zu sparen.

Investoren argumentieren gern mit dem potenziellen Börsenwert der Einzelteile

Das Konglomerat Thyssenkrupp weist allerdings einen ersten Riss auf: In diesem Herbst unterzeichnete Konzernchef Heinrich Hiesinger eine Absichtserklärung, die Stahlsparte von Thyssenkrupp abzuspalten und in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem britisch-indischen Konzern Tata auszulagern. Es dauerte nicht lange, da wurde gefragt, ob die Essener noch ihren Werkstoffhandel benötigen, wenn sie schon die Stahlherstellung abspalten. Man habe diesbezüglich keine Eile, versuchte Hiesinger zu beruhigen. Aber die Diskussion war da natürlich schon längst im Gang.

Ein Investor wie Cevian, der sich bei Thyssenkrupp für weitere Abspaltungen ausspricht, argumentiert gerne mit dem potenziellen Börsenwert einzelner Geschäftsbereiche: Würde man den Mischkonzern in seine Einzelteile zerlegen, wären diese zusammengenommen auf dem Finanzmarkt mehr wert als jene 14 Milliarden Euro, die Thyssenkrupp derzeit an der Börse wert ist. Lukrativ ist für die beteiligten Investmentbanker übrigens beides: das Abstoßen von Geschäften, aber auch die Zukäufe und Großfusionen. Deswegen sieht das, was in vielen Konzernen passiert, auf den ersten Blick paradox aus: Es gibt Konzerne, die werden immer größer und wachsen in Richtung Konglomerat - Beispiel Amazon oder Google. Andere schrumpfen gerade. Es scheint alles nur eine Frage der Zeit zu sein.

Ulrich Lehner, der Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp, hat Cevian vor dem Treffen am Dienstag jedenfalls ziemlich klare Grenzen aufgezeigt. "Eine Zerschlagung des Konzerns ist überhaupt kein Thema", sagte er dem Handelsblatt. Im Unternehmen ist man überzeugt, dass das gemeinsame Thyssenkrupp-Dach für Aufzugsgeschäft, Autoteile und Anlagenbau, Stahlwerke und Werkstoffhandel funktioniert. Weil es doppelte Ausgaben einspart, die etwa im Einkauf oder im Vertrieb anfielen, wenn jede Tochtergesellschaft eigenständig wäre. "Für uns ist klar, dass sich der Verbund auszahlt", argumentiert Lehner. "Wir sind damit stärker."

Dass sich Cevian vor aller Welt für eine Zerschlagung von Thyssenkrupp ausspricht, ärgert den Chefaufseher. "Wenn sich ein Aktionär in der Art und Weise öffentlich positioniert, dann schadet das dem Unternehmen." Die öffentliche Kritik sei unnötig; man stehe ja in regelmäßigem Kontakt. Dabei weiß auch Lehner, wie das Geschäft aktivistischer Investoren funktioniert: Diskretion und fein ziselierte Hinterzimmerdiplomatie gehören nicht unbedingt immer dazu. Stattdessen: öffentliche Kritik, harsche Vorwürfe, demonstratives Management-Bashing - die Angreifer tun dies in der Hoffnung, möglichst viele andere Investoren mit ins eigene Boot zu kriegen. Auch deshalb sucht man sich nicht zufällig Konzerne aus, denen die Probleme gerade über den Kopf wachsen. So wie Thyssenkrupp.

Wo alles wunderbar funktioniert, ist es langweilig

Der schwedische Investor war vor vier Jahren eingestiegen, als der Konzern gerade Milliardenverluste mit neuen Stahlwerken in Amerika erwirtschaftete und mit vielen Kartell- und Korruptionsvorwürfen konfrontiert war. Wo alles wunderbar funktioniert, ist es langweilig. Je größer die Probleme, desto besser fürs Geschäft. Dabei ist das Konglomerat für die Industriegeschichte Deutschlands ungefähr so prägend wie Dampfmaschine und Kohlerevier. Beispiele gibt es viele.

Angefangen beim Ruhrbaron Stinnes, der Anfang des 20. Jahrhunderts von der Kohleverstromung bis zum Schiffbau einen verzweigten Konzern mit fast 3000 Betrieben geschmiedet hat. Siemens, vor 170 Jahren gegründet, war schon sehr früh ein Mischkonzern: Telegrafenmasten, Züge und Windräder, Automatisierung, große Gasturbinen, Infrastrukturprojekte und Medizintechnik - natürlich hat das eine mit dem anderen oft wenig bis gar nichts zu tun.

Wäre Siemens dem Rat der Investoren gefolgt, hätte man den Konzern ganz zusperren können

Aber die Logik dahinter ist eh eine andere: Der eine Geschäftsbereich stützt den anderen, wenn die Zeiten einmal schlechter werden. Zum Beispiel die Medizintechnik bei Siemens, heute eine Konzernperle kurz vor dem Börsengang, geschätzter Wert: an die 40 Milliarden Euro. Vor 20 Jahren war sie mal das Sorgenkind im Konzern. Dass Siemens dem Druck der Investoren damals nicht nachgab und das Geschäft aus dem Konzern warf, zahlt sich heute aus.

Oder in den wilden 1990er-Jahren: Als Telekommunikation als die reine Lehre und alles andere als langweilig galt, forderten Siemens-Investoren: Alles raus bitte, bis auf Handys und Netzwerke. Siemens solle zum reinen Telekommunikationskonzern werden. Zum Glück hörte die Konzernführung nicht darauf, denn die Kommunikationssparte wurde vor zehn Jahren aufgelöst. Wäre Siemens in den 1990ern den Einflüsterungen seiner Investoren gefolgt, hätte man den Konzern dann wahrscheinlich ganz zusperren können.

Jetzt geht es um Thyssenkrupp. Cevian hält etwa 15 Prozent der Aktien und ist damit der zweitgrößte Aktionär nach der Krupp-Stiftung, die noch auf den Firmenerben Alfried Krupp von Bohlen und Halbach zurückgeht. Arbeitnehmer-Vertreter erzählen, dass sich mit Cevian - obwohl mit nur einem Sitz im 20-köpfigen Aufsichtsrat vertreten - die Diskussionen verändert hätten. Der Investor wolle vor allem kurzfristig bestimmte Zahlen erreichen. In der Belegschaft fürchtet man, dass dem Ausgaben geopfert würden, welche die Zukunft des Unternehmens sichern sollen.

Richtig in die Offensive ging Cevian dann vor zwei Wochen, als der Konzern seine Jahresbilanz vorlegte. Da zeigte sich, dass etwa im Anlagenbau Umsatz und Gewinn zurückgehen; auch das Geschäft mit Autoteilen lief nicht rund. Die einzige Thyssenkrupp-Tochter, die satte Gewinne erzielte: das Geschäft mit Aufzügen und Rolltreppen. Kein Wunder, dass Cevian die Tochter am liebsten an die Börse bringen würde. Die Aufzüge aus dem Konzern herauspflücken? "Die Verbundstrategie hat sich bei Industriekonzernen wie Thyssenkrupp bewährt", sagt Knut Giesler, Chef der IG Metall in Nordrhein-Westfalen. Sie mache das Unternehmen unabhängiger von Schwankungen der einzelnen Bereiche. "Eine Zerschlagung des Konzerns wäre daher unverantwortlich", warnt er.

Doch seit einigen Jahren fallen die Mischkonzerne in Deutschland auseinander, lagern einzelne Geschäftsbereiche in Gemeinschaftsunternehmen aus - oder bringen Tochtergesellschaften teilweise an die Börse. Siemens verkaufte seine Lichttochter Osram, Bayer lagerte zunächst sein Polymer-Geschäft in die Firma Lanxess aus und brachte später seine Kunststoff-Tochter Covestro an die Börse. RWE lagerte unter seinem früheren Vorstandsvorsitzenden Peter Terium sein Geschäft mit Energienetzen, Ökostrom und den Vertrieb unter dem Namen Innogy aus. Ruhe garantiert so etwas meistens nicht. Denn wenn der Zerleger einmal da war, kommt er gerne wieder. Er kennt ja die Firma und weiß, dass da immer noch was geht. Und vor allem: wo genau.

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