Literaturnobelpreis:Die offene Kunst

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Kazuo Ishiguros Rede in Stockholm ist eine kleine Poetik seiner Themen und skizziertes Manifest einer künftigen Weltliteratur.

Von Nicolas Freund

Fast klingt die Rede, als wolle Kazuo Ishiguro die diesjährige Entscheidung der Schwedischen Akademie für einen klassischen Romanautor, also für ihn selbst, am liebsten relativieren. Nach der umstrittenen Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan im vergangenen Jahr, war mit dem britisch-japanischen Autor Ishiguro, so die einhellige Meinung, nun ein lupenreiner Literat ausgezeichnet worden, ein Romancier sogar, worin dann schon wieder der Muff alter Bücher und elitärer Salons mitschwang. Dass er nicht nur ein Romanautor ist und sein Literaturbegriff ein offener ist, daran hat Ishiguro mit seiner Rede nun selbst erinnert.

Als autobiografischen Abriss hat er getarnt, was eigentlich eine kleine Poetik seiner wichtigsten Themen und zugleich Skizze eines Manifests einer zukünftigen Weltliteratur ist. Denn Literatur existiert und entsteht für Ishiguro nicht in und aus sich selbst. Das merkte er schon, wie er erzählt, als Student für kreatives Schreiben an den ersten Kurzgeschichten. Zufrieden war er mit seinen Texten erst, als er begann, über Japan zu schreiben und nicht das England der Gegenwart. Es war allerdings nicht das Japan, das er mit fünf Jahren verlassen hatte und kaum kannte, sondern das Land, das er sich basierend auf Erzählungen und Erinnerungsfragmenten selbst erschaffen hatte. Zwei Romane schöpfte er aus dieser fiktionalisierten Heimat.

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An die Stelle dieses halb erfundenen Japans rückten später andere Orte. Einer sind die Ruinen des Konzentrationslagers Auschwitz, das Ishiguro 1999 besuchte, und wo er sich vor den Trümmern der Gaskammern fragte: "Welche Erinnerung sollen wir wachhalten? Wann ist es besser zu vergessen und weiterzuleben?" Über den Faschismus, den Totalitarismus und den Gehorsam des Einzelnen hatte er schon in "Was vom Tage übrig blieb" geschrieben, die Auseinandersetzung mit der eigenen und der nationalen Vergangenheit griff er immer wieder auf, zuletzt auch in seinem aktuellen Roman "Der begrabene Riese".

In seiner Stockholmer Rede erinnert er sich an "unauffällige und banale Momente", Filmabende mit seiner Frau, eine Songzeile bei Tom Waits oder Lektüren Prousts im Krankenbett, aus denen Ideen entstanden, die seinem Schreiben eine neue Richtung gaben und ihm klarmachten, worum es ihm geht: "Am Ende handeln Geschichten immer davon, dass ein Mensch zu einem anderen sagt: So empfinde ich das. Verstehst du, was ich sage? Empfindest du genauso?"

Am Schluss spricht Ishiguro von der Gegenwart, vom Verlust des Optimismus nach dem Schock des Jahres 2016 mit Brexit und der Wahl Trumps. Und vom Rassismus, der "wie ein erwachendes Ungeheuer" wieder erstarkt. Was kann die Literatur angesichts auseinanderdriftender Gesellschaften und Nationen und unberechenbarer neuer Technologien leisten? Schlicht der Kommunikation dienen, den Kunstanspruch nicht zu hoch schrauben - und sich neuen Formen öffnen, die Ishiguro von der jungen Generation in aller Welt erwartet.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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