Düsseldorf:"Die Loveparade hätte in der Form nicht genehmigt werden dürfen"

Loveparade-Prozess

Angeklagte sitzen mit ihren Verteidigern im Prozesssaal beim Auftakt des Loveparade-Strafprozesses.

(Foto: Pool)

In Düsseldorf hat der Prozess mit der Verlesung der Anklageschrift begonnen. Für viele Betroffene ist bereits der erste Tag eine Qual.

Von Anna Fischhaber, Düsseldorf

Als der Oberstaatsanwalt die Namen der Toten vorliest und wann und wo sie gestorben sind, wird es plötzlich ganz still in dem überdimensionierten Gerichtssaal. Sechs Stunden läuft die Verhandlung zu diesem Zeitpunkt schon und lange hatte es nicht so ausgesehen, als würde heute noch mehr passieren, als dass die Verteidigung zahlreiche Anträge stellt und die Richter über diese beraten.

Ein wenig erinnert es an Anwalt-Ping-Pong, was an diesem ersten Tag des lang ersehnten Strafprozesses zur Loveparade-Katastrophe passiert. "Es zieht sich, wie ein Kaugummi", sagt Uwe Kupka. Er war selbst in dem Tunnel, an dessen Ausgang 21 Menschen starben, und in dem Tausende traumatisiert wurden.

Kupka kämpft noch immer mit den Folgen dieser Erfahrung. Die Panik ließ ihn nicht mehr los, er konnte nicht mehr arbeiten, wurde depressiv, kam in die Psychiatrie, musste Insolvenz anmelden. Nun hofft er, dass er mit diesem Prozess endlich seinen Frieden findet. Deshalb ist er sehr früh aufgestanden, um einen Platz im Gerichtssaal zu ergattern. Wegen des erwarteten Interesses war die Verhandlung vom Landgericht Duisburg in die Messe Düsseldorf verlegt worden, doch der Andrang bleibt aus. Viele Stühle sind leer.

Stunde um Stunde hagelt es immer neue Anträge

Der Prozess beginnt zäh. Um die Loveparade geht es erst einmal nicht. Zunächst muss die Anwesenheit festgestellt werden und das dauert: 65 Nebenklägern und deren 38 Anwälten sitzen zehn Angeklagte mit 32 Verteidigern gegenüber. Doch bevor der Vorsitzende Richter Mario Plein damit beginnen kann, die Namen vorzulesen, wird er schon von einem Verteidiger unterbrochen. Der kündigt einen Befangenheitsantrag an. "Lassen Sie mich doch erst einmal die Formalitäten klären", sagt Plein. Dieser erste Tag ist auch eine Machtprobe: Gelingt es dem Gericht, die Anklage verlesen zu lassen oder nicht?

Zunächst sieht es nicht so aus. Stunde um Stunde hagelt es immer neue Anträge von den Verteidigern. Erst geht es um mögliche Zeugen unter den Zuschauern. Dann geht es um die Schöffen. Ein Verteidiger stellt einen Befangenheitsantrag gegen zwei Ergänzungsschöffen, deren Töchter die Loveparade besucht, aber bereits vor der Katastrophe wieder verlassen hatten. Weitere Verteidiger wollen eine Besetzungsrüge gegen das Gericht insgesamt stellen. Dann gibt es einen Antrag auf Nicht-Verlesung der Anklageschrift, sie sei die falsche.

Das besondere am Loveparade-Prozess ist der Zeitdruck, unter dem das Gericht steht. Nach zehn Jahren, also im Sommer 2020, werden alle Vorwürfe verjährt sein. 111 Verhandlungstage sind bereits geplant, sie werden wohl nicht reichen. Für viele Betroffene ist die Vorstellung, dass dieser Prozess, auf den sie so lange warten mussten, kein Ende findet, die schlimmste. Die Stimmung ist deshalb giftig: Ein Nebenklageanwalt spricht von "Missbrauch", die Verteidigung weist das scharf zurück. Es dauert bis kurz nach 16 Uhr, bis das Gericht entscheidet, über die Anträge später zu entscheiden und nun doch erst die Anklageschrift verlesen zu lassen.

Der Prozess wird alte Wunden wieder aufreißen

Insgesamt ist die 556 Seiten lang, Oberstaatsanwalt Uwe Mühlhoff liest nur eine Zusammenfassung von 23 Seiten vor. Doch auch die geben einen Einblick, wie komplex der Fall ist: Die Anklage geht davon aus, dass das Zu- und Abgangssystem zum ehemaligen Güterbahnhof in Duisburg aufgrund von Fehlern zusammenbrach, die bereits in der Planung angelegt waren. Rampe und Tunnel seien unter keinen Umständen geeignet gewesen, die erwartenden Besucher sicher auf das Gelände zu führen. Das hätten sowohl die Mitarbeiter des Veranstalters, die die Planung vornahmen, als auch die Mitarbeiter des Bauamts, die diese prüften und genehmigten, erkennen müssen. "Die Gefahr lebensgefährlicher Drucksituationen war ihnen bewusst", sagt Mühlhoff. "Die Veranstaltung hätte in der Form nicht genehmigt werden dürfen."

Zudem hätten die Angeklagten am Veranstaltungstag nicht dafür gesorgt, dass illegal errichtete Zäune von der Rampe geräumt wurden. An der engsten Stelle, wo später die meisten Toten gefunden wurden, war sie wegen dieser Zäune fast sieben Meter schmaler als geplant. Die Mitarbeiter des Bauamtes hätten eine Kontrolle auf dem Gelände am Veranstaltungstag ganz versäumt. Der Oberstaatsanwalt zitiert dazu aus dem Schreiben eines Angeklagten, in dem es heißt: "Ich kann den Sinn unserer Anwesenheit nicht erkennen."

Was am 24. Juli 2010 passierte, ist bekannt: Auf der Rampe kam es zu einer Menschenverdichtung, Zehntausende stauten sich hier, aus den beiden Tunneln drückten weitere Besucher nach. Bald konnten sich die Menschen nicht mehr fortbewegen, dann ihre Bewegungen nicht mehr kontrollieren. Sie stürzten übereinander. Am Ende waren 21 von ihnen tot. Sie starben durch den ungeheuren Druck.

Uwe Kupka hat das verdrängt, er spricht nicht mehr gerne über die Loveparade. Der Prozess, das weiß er auch, wird alte Wunden wieder aufreißen. Und wahrscheinlich neue verursachen, wenn der so quälend bleibt. Kupka will trotzdem wiederkommen. Für seinen Frieden. "Anders geht es nicht", sagt er.

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