Digitalisierung:Computer sagt Nein

Digitalisierung: Patienten nehmen oft einen ganzen Medikamenten-Cocktail ein. Ist die Krankenakte digital, werden Wechselwirkungen sofort erkannt und gemeldet. Doch seit das Tablet mitdenkt, fühlen sich Doktoren bevormundet.

Patienten nehmen oft einen ganzen Medikamenten-Cocktail ein. Ist die Krankenakte digital, werden Wechselwirkungen sofort erkannt und gemeldet. Doch seit das Tablet mitdenkt, fühlen sich Doktoren bevormundet.

(Foto: mauritius images)

Elektronische Patientenakten und Tablets sollen Krankenhäuser sicherer machen und das medizinische Personal entlasten. Doch zur Zeit geschieht oft das Gegenteil.

Von Kristiana Ludwig, Dortmund

Im Krankenhaus der Zukunft tragen die Ärzte keine Klemmbretter mehr durch die Flure, sie benutzen Tablets. Computer überwachen die Mediziner und schlagen Alarm, bevor Fehler passieren. Zum Beispiel, wenn sie einem Patienten zwei Medikamente verordnen, die zusammen böse Wechselwirkungen haben könnten. Die Mehrheit der deutschen Klinikärzte glaubt daran, dass die Digitalisierung ihre Arbeit verbessern könnte, ergab eine aktuelle Befragung der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Es gibt dabei nur ein Problem: das Krankenhaus der Gegenwart.

Im Hüttenhospital in Dortmund bekommen die Ärzte schon heute einen Warnhinweis, wenn sie mehrere Medikamente ansetzen. Das kleine Haus mitgerade einmal 164 Betten wurde vor Kurzem modernisiert. Jede Etage hat jetzt eine andere Pastellfarbe und auf der "Komfortstation" stehen Blu-ray-Player für Privatpatienten. Die Telekom schickte außerdem Tablets für die Ärzte und Pfleger. Sie alle arbeiten jetzt mit digitalen Patientenakten, die ihnen ermöglichen, Röntgenbilder am Krankenbett aufzurufen oder Informationen sekundenschnell mit allen Kollegen zu teilen. Doch die neue Technik hat den Dortmundern auch neue Schwierigkeiten gebracht: Der Medikamentenalarm blinkt hier nämlich pausenlos.

Weil sich das Hüttenhospital auf die Behandlung von alten Menschen spezialisiert hat, nehmen ihre Patienten so gut wie immer ganze Medikamentencocktails zu sich. Die Wechselwirkungen gehören bei vielen von ihnen zum Behandlungsrisiko. Doch seit das Tablet mitdenkt, fühlen sich die Doktoren bevormundet statt unterstützt. Jetzt macht sich der Klinikmanager René Thiemann Gedanken, wie er die digitalen Helfer bremsen kann: "Der Hinweis ist gut, aber darf nicht dazu führen, dass ein Arzt Probleme bekommt, wenn er ihn anders bewertet", sagt Thiemann. Das neuste Element seiner Digitalisierungsstrategie ist nun also, den automatischen "Medikamentencheck" wieder ruhig zu stellen.

Die Digitalisierung bringt für viele Mediziner zusätzlichen Arbeitsdruck

So wie in Dortmund bringt die Digitalisierung für viele Krankenhäuser und deren Mitarbeiter nicht nur Entlastung, sondern oft auch zusätzlichen Arbeitsdruck. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die Studienautoren haben im vergangenen Jahr mehr als 500 Pflegekräfte, knapp 40 Ärzte und rund 100 weitere Klinikangestellte befragt. Ein Drittel der Befragten gab an, dass die Digitalisierung ihrer Arbeit nicht zu Entlastung, sondern zu mehr Hetze und teilweise zu doppelter Arbeit führe. Viele Beschäftigte nehmen die neue Technik eher als Zusatzaufgabe wahr.

Der Chefarzt des Dortmunder Hüttenhospitals, Martin Jäger, beschreibt etwa, wie die Bedienung der Software nun Zeit koste: Während er früher Patientenwerte und Diagnosen auf einem Papierbogen überblicken konnte, muss er jetzt für jeden Wert ein neues Fenster öffnen. Auch wenn er die Vorteile des Tablets schätze - "es dauert länger, als wenn ich es hinschreibe", sagt er. Viele seiner Kollegen hätten deshalb noch immer Stift und Zettelblock dabei. Ihre Notizen tippten sie dann in einer ruhigen Minute in das Tablet.

Digital und auf Papier - manche Kliniken sichern sich doppelt ab

Die Böckler-Studie zeigt, dass die Veränderungen in der Zusammenarbeit und Kommunikation der Klinikmitarbeiter durch Digitalisierung "auffallend begrenzt" seien. Informationen über Patienten würden etwa nach wie vor zu 55 Prozent mündlich ausgetauscht. Auch die Klinikärzte, die vom Marburger Bund befragt wurden, berichten über Nachteile der Technik: "Unglaubliche Zeitbelastung durch komplizierte Eingaben, Systeminstabilitäten", schreibt einer. "Manches geht schneller, dafür wird auch immer mehr dokumentiert", ein anderer. Viele Kliniken sicherten sich doppelt ab, digital und auf Papier. Denn die vollständige Umstellung auf Computer birgt Gefahren. Wenn Ärzte Akten nicht mehr nutzen können, kann das für Patienten bedrohlich werden. Ein Arzt klagt etwa über die "komplette Blockierung der Arbeit bei Ausfall der digitalen Systeme (kommt öfter vor)".

Viele Klinikmanager versprechen sich von einer Digitalisierung ihrer Häuser eigentlich Qualitätsverbesserungen, eine Senkung der Kosten und perspektivisch sogar eine Kompensation des Fachkräftemangels, heißt es in der Studie. Auch Sylvia Bühler aus dem Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi sieht in der Technik "Chancen, Beschäftigte zu entlasten und die Versorgungsqualität zu verbessern". In deutschen Krankenhäusern fehlten mehr als 160 000 Stellen, sagt Bühler, und davon allein 70 000 in der Pflege. Doch es sei bedenklich, wenn sich der Druck stattdessen noch erhöhe. "Beschäftigte müssen bei der Einführung neuer Technologien einbezogen werden. Das findet bisher noch viel zu selten statt", sagt sie.

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