Loveparade-Prozess:Schwierige Suche nach der Schuld

Loveparade Gedenkstätte

Kerzen brennen an der Stelle in Duisburg, wo 21 Menschen bei der Loveparade 2010 starben.

(Foto: dpa)

Heute geht der Loveparade-Prozess weiter. Die Richter dürften sich schwertun. Die Geschichte zeigt: Bei der strafrechtlichen Aufarbeitung solcher Katastrophen scheitert die Justiz regelmäßig.

Kommentar von Heribert Prantl

Irgendjemand muss doch schuld sein", klagen die Hinterbliebenen der Loveparade-Katastrophe von Duisburg. Sie haben recht mit diesem einfachen und verzweifelten Satz, selbst dann, wenn die Justiz sich damit schwer tut.

Nach diesem Irgendjemand suchen die Strafrichter nun hundert, vielleicht zweihundert Tage. Einen ersten Tag haben sie nun verhandelt, in dieser Woche geht es weiter; die Richter werden Fehlentscheidungen feststellen, Chaos und Durcheinander analysieren; sie werden sich schwer damit tun, die Fehlentscheidungen, das Chaos und das Durcheinander einzelnen Angeklagten als Schuld zuzuordnen: Das ist die Erfahrung, die es bei der strafrechtlichen Aufarbeitung solcher Katastrophen leider gibt. Und diese Erfahrung ist eine Katastrophe für sich, sie ist die Katastrophe nach der Katastrophe. Im Fall Loveparade werden die Richter schon deswegen scheitern, weil die organisatorisch Verantwortlichen, die Chefs der angeklagten Angestellten, gar nicht auf der Anklagebank sitzen.

Seitdem im Contergan-Prozess das Verfahren gegen neun leitende und wissenschaftliche Mitarbeiter der Chemiefirma Grünenthal 1970 "wegen geringer Schuld" (!) eingestellt wurde, hat die Strafjustiz stets versagt, wenn es darum ging, den "Irgendjemand" zu finden. Es war und ist, als zerlege sich Schuld mit der Größe der Katastrophe in immer kleinere Teile, in eine angeblich kaum mehr messbare individuelle Schuld. Von "Verantwortungsdiffusion" reden Fachleute. Je größer die Katastrophe, desto kleiner die Schuld der Schuldigen?

Ist eine hohe Zahl der Opfer ein Indikator für eine höhere Gewalt? Am krassesten, am unverschämtesten sagten das die Strafrichter in Österreich nach der Katastrophe von Kaprun; 155 Menschen waren im Jahr 2000 bei einem Brand in der Gletscherbahn gestorben. Es gab nur Freisprüche. Schuld an 155 Toten waren nämlich, wie der Richter sagte, nicht die Angeklagten, schuld war der liebe Gott: "Da hat Gott für einige Minuten im Tunnel das Licht ausgeschaltet." Das ist eine Bankrotterklärung der Justiz. Hier wird der Richter zu einem hilflosen Pfarrer, der bei der Beerdigung erklärt, dass "Gott unseren Bruder abberufen hat", obwohl er weiß, dass es nicht Gott, sondern ein besoffener Autofahrer war.

Es ist nicht Aufgabe der Justiz, über das Schicksal zu lamentieren; sie muss den strafrechtlichen Kern einer Katastrophe herausschälen, der meist aus Untätigkeit und aus Fahrlässigkeit besteht. Es geht darum, die kriminelle Dimension der Katastrophe von Duisburg auszuleuchten. Es geht darum festzustellen, ob die Verantwortlichen ihre Pflichten vorwerfbar und schuldhaft verletzt haben. Das setzt aber voraus, dass die obersten Verantwortlichen, nicht nur ihre Untergebenen angeklagt werden. Daran fehlt es im Prozess wegen der 21 Toten und 500 Verletzten der Loveparade.

Gewiss: Ein Strafverfahren ist nicht erst dann ein ordentliches und gutes Verfahren, wenn hohe Strafen herauskommen. Es ist gut, wenn es umfassend aufklärt. Aber es kann nicht umfassend aufklären, wenn nicht umfassend angeklagt ist.

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