Kinderliteratur:"Wissen Sie, wie ich auf die Geschichte mit dem Sams gekommen bin?"

Kinderbuchautor und Sams-Erfinder Paul Maar

Wie feiert das Sams Weihnachten? "Es entlarvt den ganzen Weihnachtsrummel", sagt sein Schöpfer Paul Maar

(Foto: dpa)

Zu seinem 80. Geburtstag schenkt Paul Maar der Welt ein neues Sams-Buch. Ein Gespräch über die Erfindung seiner berühmtesten Figur, die eigene Kindheit und das Schreiben als Rausch.

Interview von Roswitha Budeus-Budde

Mit den Geschichten vom Sams ist Paul Maar berühmt geworden. Seit vierzig Jahren gehört er zu den bekanntesten Autoren für lesende Kinder, mit Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken - und als Illustrator. Mit seinem neuen Buch "Das Sams feiert Weihnachten" ist der in Bamberg lebende Künstler derzeit auf Lesereise. An diesem Mittwoch wird er achtzig.

SZ: Wie feiert das Sams denn nun Weihnachten?

Paul Maar: Es geht etwas kritisch mit Weihnachten um, darin ist es durchaus das Sprachrohr seines Autors. Es entlarvt den ganzen Weihnachtsrummel. Singt zum Beispiel ein Lied im Kaufhaus, das die Leute auffordert, viel zu kaufen, um anschließend alles umzutauschen.

Eigentlich hatten Sie nach dem ersten Sams-Band geschworen, keine Fortsetzung zu schreiben.

Ja, es kam dann doch anders. Und ich dachte dann wirklich, dass nach dem siebten Sams Schluss ist. Und dann hat mich der Verlag herausgefordert, sie meinten, Astrid Lindgren und Andreas Steinhöfel hätten Weihnachtsgeschichten geschrieben, und ob ich Angst hätte, dass eine solche Geschichte zu sentimental werden könnte. Als ich mich dann entschlossen hatte, eine weitere Geschichte zu schreiben, machte es wieder richtig Spaß. Jetzt sage ich wieder, das war das letzte Sams, und ich glaube auch daran. Auf der anderen Seite beschert mir das Sams einen guten Lebensunterhalt. Natürlich kränkt es ein bisschen, dass ich überall der Sams-Autor bin - und ich habe doch noch dreißig andere Bücher geschrieben.

Was macht Ihnen immer noch Spaß an dieser Figur?

Ich spiele einfach gern mit der Sprache, das lasse ich das Sams tun, stellvertretend. Und natürlich ist mir die Figur sehr nahe - weil ich sie erfunden habe, weil ich weiß, wie sie agiert. Ich kenne sie bereits seit vierzig Jahren. Wissen Sie denn, wie ich auf die Geschichte mit dem Sams gekommen bin?

Kam es nicht in einem Ihrer ersten Theaterstücke vor und wurde dann herausgenommen?

Das war bei "Der König in der Kiste". Aber es begann früher. Mein Vater hatte ein Baugeschäft, und das Büro war im Haus. Er hatte einen Angestellten, der war genau so, wie ich den Herrn Taschenbier später beschrieben habe - angepasst, schüchtern, kontaktgestört und sehr still und leise. Wenn mein Vater, der sehr aufbrausend war, ihn zusammenstauchte, gab es nie einen Widerspruch von ihm. Als Kind habe ich oft gedacht, wenn ich ihm doch mehr Lebensfreude geben könnte, dass er mal lacht. Das kann man als Kind nicht erreichen. Aber als erwachsener Autor kann man ihn zum Leben erwecken.

Treffen Sie heute, in Zeiten der absoluten Pädagogisierung und Political Correctness auch Eltern oder Lehrer, die sagen, so ein freches Kind, das ist kein Vorbild im Kinderbuch?

Nein, das habe ich früher erlebt. Nach 1968 erinnere ich mich zum Beispiel an eine Abiturientin, die mit ihrer Klasse das Sams-Stück aufführen wollte, und das durfte sie nicht, der Rektor verbot es. Doch sie war so aufmüpfig, und samsgestählt, und hat es trotzdem gemacht. Und ist dann durchs Abitur gefallen.

Haben Sie den Eindruck, dass sich Kindheit in den letzten vierzig Jahren generell verändert hat?

Ja und nein. Bei den Lesungen verhalten sich die Kinder wie vor dreißig, vierzig Jahren, sie gehen genauso mit. Ich erlebe aber bei meinen Enkeln, dass Kindheit sehr viel stärker behütet ist. Wir hatten als Kinder Geheimnisse, die die Eltern absolut nicht wissen durften, wir haben auch schlimme Dinge gemacht in der Nachkriegszeit. Ich bin einmal auf die Scheune unseres Nachbarn gestiegen, bin durch das Dach gekracht und vier Meter auf den Boden geknallt. Und habe dann nichts davon zu Hause gesagt.

Wie war Ihre eigene Kindheit?

Der Vater war sehr autoritär, ich bekam schon mal Prügel. Die schwierigste Zeit hatte ich im Gymnasium. Ich kam vom Dorf, wurde mit meinem breiten fränkischen Dialekt zum Außenseiter - und verstummte. Bis ich schließlich, als ich eine Klasse wiederholte, Freunde fand.

Im Rückblick auf vierzig Jahre als Autor, was war am schwierigsten, was am leichtesten?

Am schwierigsten war es, beim Verlag durchzusetzen, dass ich mal ein realistisches Buch schreiben wollte. Bei meinem zweiten Buch "Andere Kinder wohnen auch bei ihren Eltern" gab es dann allerhöchstens zwei Rezensionen. Und als ich es um die Jahrtausendwende überarbeitet habe, ist genau dasselbe geschehen. Es ist im Nichts verschwunden.

"Jetzt merke ich manchmal, wie ich mich zu sehr auf die Schere im Kopf einlasse"

Das Schreiben selbst fiel Ihnen nicht schwer?

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Mein erstes Buch, "Der tätowierte Hund", schrieb ich fast wie im Rausch. Es war einfach meine eigene Welt, und es lenkte ab vom Druck im Alltag, der auf mir lastete. Ich war damals Kunsterzieher in Stuttgart an einem Gymnasium, und im Kunstunterricht habe ich mit den Kindern auch Trickfilme gedreht. Gelernt habe ich das als Assistent, während meiner Studentenzeit, bei meinem Schwager, dem Kameramann Michael Ballhaus.

Sie sind ein sehr erfolgreicher internationaler Autor für das Kinder- und Jugendtheater. Auch in Ihren Büchern scheinen Sie auf die Dramaturgie Ihrer Geschichten zu achten.

Das kommt zum Teil vom Film. Wenn man dann in Theaterstück schreibt, kann man nur mit Dialogen arbeiten. Es gibt ja keinen Erzähler, der sagt: ... und dann fühlte er sich sehr traurig und ging in sein Zimmer. Ich muss das in Dialogen ausdrücken und das kann man lernen.

Auf was sind Sie stolz, wenn Sie zurückblicken?

Eigentlich immer noch auf den "Tätowierten Hund". Jetzt merke ich manchmal, wie ich mich zu sehr auf die Schere im Kopf einlasse. Auf die Frage, was kommt bei den Kindern an, was mögen sie, wie muss ich meine Sätze machen. Früher habe ich mehr schräge Formulierungen gewagt. Mein Schreiben hat sich verändert, ich orientiere mich mehr an den Bedürfnissen der kleineren Kinder. Der Erstlesekinder. Die Lektorin sagt, machen Sie doch aus diesem langen Satz zwei Sätze, dann liest sich das viel einfacher, und ich lasse mich darauf ein, weil ich denke, sie hat wohl recht. Weil die heutigen Kinder nicht mehr so lange Sätze mit komplexen Inhalten lesen. Darum hat es mir großen Spaß gemacht, ein Buch zu verfassen wie "Kartoffelkäferzeit". Da schreibe ich dann so, wie ich will, denke nicht an die Altersangabe, und werde dann auch von 13-, 14-Jährigen gelesen.

Als Sie sechzig wurden, haben Sie auf die Frage, was Sie sich wünschen, gesagt: Mehr Zeit zum Schreiben und für Lesungen im Goethe-Institut. Was hat sich jetzt, zwanzig Jahre später, davon erfüllt?

Ich hatte in den letzten zwanzig Jahren viele Auslandsreisen, Hongkong, China, Japan, Neuseeland. In Russland habe ich inzwischen eine große Fangemeinde. Dort wird Kinder- und Jugendliteratur sehr geschätzt, fast mehr als in Deutschland.

Was würden Sie sich heute wünschen?

Eher etwas Privates. Wenn man achtzig wird, dann wünscht man sich, dass es in der Familie harmonisch weitergeht, dass man noch einige Jahre vor sich hat. Das Schreiben fällt einem nicht schwerer, aber es geht langsamer. Und dann muss ich schauen, dass meine Stimme nicht bricht.

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