Gleichberechtigung und Feminismus:Wie es nach #MeToo weitergeht

Gleichberechtigung und Feminismus: "Person des Jahres", eine Bewegung: #metoo auf dem Cover der US-amerikanischen Zeitschrift "Time".

"Person des Jahres", eine Bewegung: #metoo auf dem Cover der US-amerikanischen Zeitschrift "Time".

(Foto: AP)

Die Bewegung, die sich unter diesem Hashtag formierte, hat den Kampf gegen sexuelle Gewalt vorangebracht und Gleichberechtigung in den Fokus gerückt. Ein Überblick über Fragen, die 2018 wichtig werden.

Von Hannah Beitzer

Ashley Judd, Taylor Swift, Susan Fowler, Adama Iwu und Isabel Pascual - eine Schauspielerin, eine Sängerin, eine Software-Entwicklerin, eine Lobbyistin und eine Erdbeerpflückerin. Sie schmückten 2017 die Titelseite der Zeitschrift Time, als diese wie jedes Jahr die "Person des Jahres" kürte. Nur, dass es diesmal eben nicht eine Person war, sondern eine ganze Bewegung. Sie versammelte sich online unter dem Hashtag #MeToo. Die fünf Frauen stehen stellvertretend für all jene, die in diesem Jahr sexuelle Übergriffe publik gemacht haben. Sexuelle Übergriffe übrigens, die sich gegen Frauen, aber auch gegen Männer richten.

Es ist eine Bewegung, die nicht nur in Hollywood einiges umgewälzt hat. Von "mitreißenden Handlungen der Frauen auf unserer Titelseite" spricht Time-Chefredakteur Edward Felsenthal. Sie hätten "eine der schnellsten Veränderungen in unserer Kultur seit den sechziger Jahren freigesetzt". Auch in Deutschland erschienen zahlreiche Artikel zu #MeToo, die hierzulande Diskussionen angestoßen und wiederbelebt haben, zum Beispiel über das Verhältnis von Mann und Frau im Berufsleben. Die Debatte über die Gleichberechtigung ist nicht zu Ende, sie tritt in eine neue Phase ein. Welche Themen 2018 wichtig werden könnten - ein Überblick.

1. Eine neue Abtreibungsdebatte

Im November 2017 brachte ein Gerichtsurteil gegen die Gießener Ärztin Kristina Hänel ein Thema zurück auf die Tagesordnung, das seit Jahrzehnten zu den wichtigsten feministischen Anliegen zählt: das Recht von Frauen, in eigener Verantwortung über einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Abtreibungen sind in Deutschland rechtswidrig, nur unter bestimmten Voraussetzungen bleiben sie straffrei. §219a des Strafgesetzbuches verbietet es außerdem, "Werbung" für den Abbruch von Schwangerschaften zu machen. Genau das hat Hänel nach Auffassung des Gerichts getan, weil sie über ihre Webseite entsprechendes Infomaterial zugänglich gemacht hat. Deshalb soll sie nun 6000 Euro Strafe zahlen.

Die Empörung über das Urteil war groß - und könnte Folgen haben. Noch vor den Weihnachtsferien berieten Politikerinnen mehrerer Fraktionen im Bundestag über eine Abschaffung des §219a. Die Linkspartei hat bereits einen entsprechenden Gesetzesentwurf formuliert und einige Länder haben Bundesratsinitiativen auf den Weg gebracht, die dasselbe fordern. Auch Beratungsstellen wie Pro Familia sprechen sich dafür aus, den §219a abzuschaffen.

Vielen Frauen ist das nicht genug. Sie empfinden das in Deutschland geltende Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen als Bevormundung, als Einschränkung ihres Rechts, über den eigenen Körper zu bestimmen und die im Gesetz festgehaltenen Regeln als zusätzliche Belastung von Frauen in einer ohnehin schweren Situation. Zum Beispiel müssen Frauen, bevor sie eine ungewollte Schwangerschaft beenden dürfen, ein Beratungsgespräch absolvieren, das dem Gesetzgeber zufolge "dem Schutz des ungeborenen Lebens" dienen soll. Auch dürfen Ärzte einen Schwangerschaftsabbruch verweigern, was es für Frauen schwierig machen kann, einen Arzt zu finden. Zudem wenn diese sich nicht einmal öffentlich zu erkennen geben dürfen, Stichwort: Werbeverbot.

Doch die Abtreibungsgegner sind nach vor eine gewichtige Größe in der Gesellschaft und in der Politik, zum Beispiel in der CDU/CSU. Viele von deren Abgeordneten möchten etwa den §219a behalten. "Das Werbeverbot ist Bestandteil eines Schutzkonzeptes für das ungeborene Leben, das in jahrzehntelanger gesellschaftlicher Diskussion entwickelt wurde. Wenn wir hier Hand anlegen, wäre auch das Schutzkonzept an sich infrage gestellt", sagt Annette Widmann-Mauz von der Frauenunion im Interview mit der Welt.

Auch international formiert sich der Widerstand gegen liberale Regelungen. In den USA hat Präsident Donald Trump als eine seiner ersten Amtshandlungen der Organisation Planned Parenthood, die auch Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, die Finanzierung entzogen. Nichtregierungsorganisationen, die Geld von der amerikanischen Regierung erhalten, dürfen nicht mehr über Abtreibungen beraten.

Abtreibungsgegner sind im Internet mindestens so aktiv wie diejenigen, die eine Abschaffung des §219a fordern. In den radikalsten Auswüchsen vergleichen sie den Schwangerschaftsabbruch schon einmal mit dem Holocaust und fluten das Netz mit den Bildern blutiger Föten. Radikale Abtreibungsgegner waren es auch, die Kristina Hänel anzeigten und so einen Gerichtsprozess gegen die Ärztin anstrengten. Die Debatte, die sie damit ausgelöst haben, könnte allerdings ganz anders ausgehen könnte, als sie es sich wünschen.

2. Frauen nicht länger fürs Kümmern bestrafen

2017 durften sie in keiner Wahlsendung im Fernsehen fehlen: Pfleger und Krankenschwestern, die wahlweise Kanzlerin Angela Merkel oder dem glücklosen SPD-Kandidaten Martin Schulz ihre Situation darlegten. Und die ist miserabel. Soziale Berufe, etwa im Krankenhaus oder in der Kita, sind in Deutschland schlecht bezahlt, das Personal knapp, die Arbeitsbelastung hoch. Dabei braucht die Gesellschaft diese Leute dringend, heißt es zumindest überall.

Was das mit Gleichberechtigung zu tun hat? Sehr viel. Die meisten Pfleger und Erzieher sind Pflegerinnen und Erzieherinnen. Soziale Berufe sind in Deutschland typische Frauenberufe. "Männer machen Geld. Frauen machen was mit Menschen", schrieb die Zeit neulich in einer lesenswerten Titelgeschichte über die Zustände in der Pflege. Die Berufswahl ist einer der Gründe, warum die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen in Deutschland nach wie vor hoch sind. Der Gender Pay Gap, also der Unterschied im durchschnittlichen Bruttoverdienst pro Stunde, liegt hierzulande bei 21 Prozent. In kaum einem anderen EU-Land ist die Kluft so groß, nur in Tschechien und Estland ist der Unterschied noch eklatanter.

Care-Arbeit und noch mehr #MeToo

Feministinnen machen auf diesen Umstand schon seit Jahren aufmerksam. So haben einige von ihnen 2013 das Netzwerk "Care Revolution" gegründet. Es gibt viel zu diskutieren. Nicht nur die Frage, warum die sozialen Berufe so schlecht bezahlt sind - sondern auch, warum der Großteil der unbezahlten Care-Arbeit - etwa Kindererziehung oder die Pflege kranker Angehöriger - von Frauen übernommen wird. Das führt nämlich dazu, dass Frauen häufiger als Männer Teilzeit oder gar nicht arbeiten - und auf den Gender Pay Gap ein Gender Pension Gap von 57 Prozent folgt, die Frauen also extrem viel weniger Rente bekommen als die Männer. Wobei die Probleme schon bei den Begrifflichkeiten anfangen: denn "nicht arbeiten", das klingt ja so, als würden Frauen auf der faulen Haut liegen. Dabei bekommen sie einfach kein Geld für ihre Leistung.

Und selbst da, wo beide Partner in einer Beziehung einer Erwerbsarbeit nachgehen und gut verdienen, ist nicht unbedingt alles erreicht. Viele berufstätige Paare müssen sich fragen lassen, ob es gerecht ist, dass ihre gleichberechtigte Beziehung nur möglich ist, weil sie die Dienste von schlecht bezahlten Frauen in Anspruch nehmen - von den Erzieherinnen der Kinder, von der ukrainischen Putzfrau, die die Wohnung sauber hält und von der polnischen Pflegerin, die sich um den Opa kümmert. Das Netzwerk "Care Revolution" formuliert es so: "Langfristig streben wir neue Modelle von Sorge-Beziehungen und eine Care-Ökonomie an, die nicht Profitmaximierung, sondern die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt, und die Sorgearbeiten und Care-Ressourcen nicht nach rassistischen, geschlechtlichen oder klassenbezogenen Strukturierungen verteilt."

Da reicht es nicht, wie Angela Merkel in einer der Wahlkampfsendungen zu einem besonders hartnäckigen Fragesteller zu sagen: "Wenn mehr junge Männer in die Pflege gehen, wie Sie, steigt sicher auch das Gehalt." Aha. Fest steht: Da das Thema viele der drängendsten Probleme Deutschlands betrifft - Rente, Pflegenotstand, demografischer Wandel - kommt eine neue Regierung, die 2018 hoffentlich ihre Arbeit aufnimmt, daran nicht mehr vorbei.

3. #MeToo - noch längst ist nicht alles klar

Auch wenn #MeToo, die Gleichberechtigungsdebatte des Jahres 2017, einiges in Gang gesetzt hat - erledigt ist das Thema sexuelle Belästigung und Demütigung noch lange nicht. Einig war sich die Öffentlichkeit nämlich nur in der Bewertung krasser Übergriffe und eindeutig strafbarer Handlungen - bei Vergewaltigungen zum Beispiel. Hier führte #MeToo in Deutschland die Diskussionen des Jahres 2016 fort, die zu einer Verschärfung des Strafrechts führten. Seitdem ist hierzulande zum Beispiel das "Grapschen" strafbar.

Doch was ist mit den Fällen, die nach wie vor nicht strafbar sind? "All die kleinen Demütigungen, die sich Frauen gefallen lassen sollen, bei der Arbeit oder sonst wo", wie es SZ-Autorin Susan Vahabzadeh schreibt, bewerten diejenigen, die sich mit #MeToo beschäftigen, völlig unterschiedlich.

Darf ich jetzt nicht mehr flirten?, fragten die einen. Blödsinn, es geht bei Sexismus nicht um Sex, sondern um Macht und ihren Missbrauch, entgegneten die anderen.

Was aber hilft? Ein möglichst umfangreicher Regelkatalog im Umgang zwischen Mann und Frau, bis hin zum Sex, wie es Zeit-Autor Lars Weisbrod im Zuge der #MeToo-Debatte forderte? Eine explizite Einwilligung zu sexuellen Handlungen, die - wie jetzt in Schweden geplant - beide Beteiligten geben müssen? Mehr Räume, in denen Frauen nur unter sich sind, wie es erneut Schweden vormacht, wo 2018 ein Musikfestival nur für Frauen stattfindet? Helfen Belästigungsbeauftragte in den Unternehmen? Mehr Frauen in Führungspositionen? Ist es an den Männern, ihr Verhalten zu hinterfragen? Oder an den Frauen, sich nicht alles gefallen zu lassen? Sollen sie gar auf Make-up und sexy Klamotten verzichten? Mit dem Strafrecht, das ist Ende 2017 klar, lassen sich diese Fragen nicht lösen. Auf das #MeToo folgt ein "Und nun" - eine große Aufgabe für 2018.

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