Schwabing:"Wir verlieren ein Stück Heimat"

Die Sitzung des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann wird zum Tribunal: 150 Mitglieder von Weißblau-Allianz wehren sich gegen den Verkauf des Sportareals am Englischen Garten - auch die Lokalpolitiker reagieren empört

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Am Schluss, nach dieser hitzigen Dreiviertelstunde, ist es plötzlich mucksmäuschenstill. Ein fast besinnlicher Moment. Schweigend recken 150 Besucher der Bezirksausschuss-Sitzung in dem übervollen Saal die Arme empor, ebenso wie ausnahmslos alle Schwabinger Politiker vorne an den Tischen. Für ein paar Sekunden sagt keiner etwas, Blicke werden ausgetauscht. Entschlossen schauen sie sich an, die Mitglieder des Sportvereins Weißblau-Allianz München. Der Widerstand gegen den Verkauf ihres Sportgeländes und ihre Vertreibung steht geschlossen, das sehen sie - und sie haben gehört, dass er sich auch im Rathaus formiert. Die Grünen im Stadtrat hatten schon am Nachmittag angekündigt: Man wolle verhindern, dass die 4000 Mitglieder "von ihrem Konzern vor die Tür gesetzt werden".

Es herrscht Revolutionsstimmung am Dienstagabend im Freizeittreff Freimann. Der Aufruf des Vereinsvorstandes, möglichst zahlreich zu erscheinen, hat gefruchtet. Auch der Allianz-Betriebsrat hat angeblich die Mitarbeiter zum Protest-Aufmarsch in der Gremiumssitzung aufgerufen, wie ein Anwesender erzählt. Allseits sind empörte Kommentare zu vernehmen über die Entscheidung des Allianz-Versicherungskonzerns, dem einstigen Betriebssportverein nach Jahrzehnten auf dem Gelände an der Osterwaldstraße zu kündigen. "Wir verlieren ein Stück Heimat", sagt ein Allianz-Pensionär, 84 Jahre alt, davon 45 Jahre im Verein. "Wir sind ziemlich sauer", ergänzt sein Sitznachbar, 66 Jahre alt.

Schwabing: Mitglieder von Weißblau-Allianz wollen nicht, dass das Sportareal am Englischen Garten verkauft wird.

Mitglieder von Weißblau-Allianz wollen nicht, dass das Sportareal am Englischen Garten verkauft wird.

(Foto: Robert Haas)

Es sind nicht nur aktive und ehemalige Allianz-Mitarbeiter, die frustriert und erzürnt sind, wie der Münchner Dax-Konzern den Verein behandelt. Gut zwei Drittel sind ohnehin nicht von der Allianz-Belegschaft, sie kommen aus ganz München, aus Pasing, Untermenzing, Giesing. Und sie sind hier, um die Lokalpolitiker um ihre Unterstützung zu bitten. "Bei uns gehen die Lichter aus zugunsten eines rein kommerziell ausgerichteten Sportangebots", sagt der Vereinsvorsitzende Detlef Siewert. Er erhält donnernden Applaus.

Dabei will die Allianz nach eigenem Bekunden den Verein gar nicht hängen lassen. Ein Unternehmenssprecher hatte bereits am Freitag auf SZ-Anfrage betont: Es sei der Allianz sehr am Fortbestand des Vereins gelegen, man verhandle mit Unterföhring über Hallenkapazitäten. Er bestätigte dabei auch, dass mit dem englischen Fitness-Unternehmen David Lloyd Leisure als Nachnutzer des Sportgeländes verhandelt werde, einem der führenden Akteure im gehobenes Fitness-Business, bekannt für exklusive Clubs. "Der Verein muss sterben, damit die Gentrifizierung voranschreiten kann", formuliert ein Besucher, was die Allianz nach Auffassung der Mitglieder eigentlich im Sinn hat.

Schwabing: Lauter Protest: In der BA-Sitzung wurde es richtig voll, weil viele Bürger die Allianz-Sportanlage erhalten wollen.

Lauter Protest: In der BA-Sitzung wurde es richtig voll, weil viele Bürger die Allianz-Sportanlage erhalten wollen.

(Foto: Stefan Mühleisen)

Deshalb hat auch Peter Beil einen schweren Stand, als er zum Mikrofon greift. Er ist als Emissär der Allianz gekommen, die Entscheidung zu rechtfertigen. Man wolle den Verein auch weiter unterstützen, versichert er. Und es sei nicht vorgesehen, auf dem Gelände "großartig etwas anderes" zu bauen. Man wisse, dass die Suche nach einer Alternative extrem schwierig sei, wolle den Verein aber helfen, wo es geht. "So ein Schmarrn", brüllt ihm einer entgegen. Applaus, Pfiffe, Buh-Rufe.

Jubel erntet dagegen Christian Hierneis, Vorsitzender der Kreisgruppe München des Bundes Naturschutz (BN). Mit Verve ruft er in den Saal: "Wir sind bereit, den Widerstand zu organisieren - und zwar mit allem, was wir haben." Er hat eine Stellungnahme formuliert, in der vor allem der Eingriff in das Landschaftsschutzgebiet als unzulässig gegeißelt wird. Er kündigt an, der BN werde "alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen", die Planungen auf dem Gelände zu verhindern.

Für die Grünen im BA und im Stadtrat ergreift Barbara Epple das Wort: "Wir lehnen diese Luxus-Anlage absolut ab", sagt sie und unterstreicht die Forderung an die Stadt, einen Kauf des Geländes zu prüfen und kein weiteres Baurecht zu genehmigen. Letztlich stimmt das Gremium über einen Antrag von Patric Wolf (CSU) ab: Die Bürgervertreter setzen damit den dringenden Appell an die Stadt ab, das Sportareal in seiner jetzigen Form für den SV Weißblau-Allianz zu erhalten, alle Bauanträge abzulehnen, keinerlei Eingriffe in die Natur zu erlauben. Noch bevor all dies mit den Stimmen des Gremiums beschlossen wird, sagt der Gremiumsvorsitzende Werner Lederer-Piloty (SPD) noch kopfschüttelnd: "Wie in aller Welt kommt der Allianz-Vorstand auf diese absurde Idee eines Sozialabbaus?", und fügt in Abwandlung eines Werbeslogans des Versicherers an: "Allianz versichert, schlecht versichert."

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