Niedrige Löhne:Wie Paketdienste ihre Mitarbeiter ausbeuten

Niedrige Löhne: Auch bei den Paketboten gibt es große Unterschiede: Manche werden nach Tarif bezahlt, andere arbeiten 75 Stunden die Woche für einen mickrigen Lohn.

Auch bei den Paketboten gibt es große Unterschiede: Manche werden nach Tarif bezahlt, andere arbeiten 75 Stunden die Woche für einen mickrigen Lohn.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Paketboten vieler Anbieter klagen über schlechte Löhne und etliche Überstunden.
  • Tausende sind betroffen - auch, weil sie in undurchsichtigen Beschäftigungsverhältnissen bei Subunternehmern der Lieferdienste hängen.
  • Der Anbieter Hermes gibt der "Null-Versandkosten-Mentalität" der Kunden eine Mitschuld.

Von Michael Kläsgen und Thomas Öchsner

Iurie Popescu, 34, ist gerade fertig mit der Arbeit. Er hat Cola, Kekse, und Lebkuchen auf den Tisch gestellt und holt seinen Arbeitsvertrag. Es ist ein zweiseitiger Vordruck aus dem Internet. Auf Seite eins ist sein Bruttoverdienst handschriftlich eingetragen: 1600 Euro, auf Seite zwei seine wöchentliche Arbeitszeit: 40 Stunden. Auf dem Papier sieht es so aus, als würde der Paketzusteller etwas mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro die Stunde verdienen - wenn da nicht ein Haken wäre: Der Rumäne arbeitet nicht 40 Stunden. Er arbeitet fast doppelt so viel.

Morgens um halb vier geht es los. Popescu lädt Pakete aus, scannt im Depot in eisiger Kälte Pakete ein, belädt seinen weißen Lieferwagen neu, den DPD seinem Arbeitgeber, einem Subunternehmen, zur Verfügung gestellt hat. Erst um halb neun beginnt seine Tour, 70 Kilometer lang mit etwa 115 Stopps. Im Durchschnitt liefert er jeden Tag 200 Pakete ab. Gegen 18 Uhr ist sein Arbeitstag zu Ende, wenn die Retouren und Päckchen von Firmen abgeholt sind. Da Popescu auch samstags arbeitet, kommt er leicht auf 75 Stunden pro Woche. In Wirklichkeit verdient er also nicht den Mindestlohn, sondern etwa fünf Euro.

Popescu gehört zum untersten Glied eines Systems, das das Internet so erst möglich gemacht hat. Ob Bücher, Kleider oder CDs, immer mehr wird auch in Deutschland im Netz eingekauft, erst recht vor Weihnachten - und all das soll möglichst preiswert, schnell und zuverlässig nach Hause kommen. Doch geht das überhaupt, ohne dass Paketzusteller wie Popescu 75 Stunden pro Woche schuften müssen?

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi spricht von "zunehmend katastrophalen Arbeitsbedingungen bei den Subunternehmen der Paketdienste". Das gilt aber nicht für alle Paketboten. Viele bekommen immer noch Tariflohn, bezahlten Urlaub oder Geld, wenn sie krank sind. Doch unter den Packeseln der Nation gibt es eine Klassengesellschaft. Wer neu anfängt, erhält nicht mehr so viel wie diejenigen, die schon lange dabei sind. Und immer mehr landen ganz unten, wie Iurie Popescu.

Staatsanwälte ermitteln

Eigentlich dürfte es so einen Fall in Deutschlands Arbeitswelt gar nicht geben, nicht nur weil der Rumäne mehr als die maximal zulässigen 48 Stunden pro Woche arbeitet. Laut DPD werden die Systempartner - so nennt der Paketdienst seine Subunternehmer - so honoriert, dass sie in der Lage seien, "ihren Zustellern einen fairen Lohn zu zahlen". Oft liege dieser Lohn sogar "deutlich über dem Mindestlohn", sonst fänden sich nicht genügend Boten.

Tatsächlich häufen sich jetzt in der Hochzeit der Paketdienste Berichte über illegale Machenschaften in der Branche. In Köln und Bonn ermitteln Staatsanwälte gegen frühere Servicepartner des Logistikkonzerns Hermes, auch wegen möglicher Verstöße gegen das Mindestlohngesetz. In Thüringen durchsuchten Beamte der Bundespolizei einen Wohnkomplex im Kreis Gotha und nahmen dabei vorläufig 35 Personen aus Osteuropa fest. Sie sollen illegal nach Deutschland eingereist sein, für ein Subunternehmen von Hermes Pakete ausgetragen und in einfachen Wohnungen mit heruntergekommenen Gemeinschaftsduschen gelebt haben.

Sie glauben an Deutschland und den Rechtsstaat

Iurie Popescu kennt das. In dem Haus in der Oberpfalz wohnte der hagere, schmächtige Mann erst mit 20 Kollegen. Jetzt sind sie noch zehn. Iurie, der kein Deutsch spricht, nur, wie er sagt, "DPD-Deutsch" ("Guten Tag, bitte hier unterschreiben. Danke. Auf Wiedersehen"), hat sein eigenes Zimmer, für das er 200 Euro Miete zahlt. Aber an der Wand zeichnet sich Schimmel ab.

Vor anderthalb Jahren ist er nach Deutschland gekommen. Für ihn wie für seine beiden Kollegen, die neben ihm zusammen mit einem deutschen Übersetzer sitzen, ist Deutschland ein Traumland. Sie glauben an Deutschland und den Rechtsstaat. Sie schreiben ihre richtigen Namen auf einen Zettel, weil sie doch im Recht sind, eigentlich. Veröffentlichen und genau verorten will man das Trio aber lieber nicht, um ihren Job nicht zu gefährden. Verdi bestätigt diese Sorge: In der Paketdienstbranche werde verstärkt mit Beschäftigten aus Osteuropa gearbeitet. "Sie kennen ihre Rechte nicht oder fordern diese aus Angst vor dem Arbeitsplatzverlust nicht ein. Oft werden die Kosten für die Unterbringung noch vom Salär abgezogen."

Verdi will, dass Paketdienste für Subunternehmer haften

Bei DPD sind 10 000 Zusteller für knapp 1000 Subunternehmen unterwegs, eigene Paketboten sind nicht im Einsatz. Wird bei diesen Firmen der Mindestlohn unterlaufen oder gegen andere Gesetze verstoßen, trennt sich der Paketdienst nach eigenen Angaben "konsequent" von ihnen. Hermes setzt ebenfalls auf eigenständige Subunternehmer, die zu Weihnachten mit bis zu 14 000 Zustellern arbeiten. Auch das Logistikunternehmen sagt von sich: "Rechtswidriges Verhalten unserer Partner tolerieren wir nicht." Dass der Mindestlohn oder mehr bezahlt wird, werde überprüft.

Bei der Deutschen Post mit insgesamt 19 000 reinen Paketzustellern ist die Vergabe von Aufträgen an Subunternehmen eher die Ausnahme. Diese liege "im Gegensatz zu unseren Mitbewerbern im niedrigen einstelligen Prozentbereich". Die Zusteller, die dort beschäftigt sind, erhalten normalerweise keinen Tariflohn. Anders bei der Post selbst, bei der es verschiedene Klassen von Paketboten gibt. Wer vor 2001 eingestellt wurde, verdient nach Angaben von Verdi noch am besten, nach Tarif versteht sich. Für diejenigen, die in den Jahren danach angefangen haben, gilt ein anderer Haustarif. Laut Verdi beginnt hier der Stundenlohn bei 12,21 Euro und endet bei 15,74 Euro (plus Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, variable Vergütungsanteile). Wer 2015 oder später als Paketzusteller zur Post gekommen ist, wird jedoch bei der Post-Tochter DHL Delivery beschäftigt. Dort wird nach den regional unterschiedlichen Tarifen der Speditions- und Logistikbranche bezahlt. Und die liegen zum Teil deutlich unter dem Haustarif der Post. In Niedersachsen, wo gerade über neue Tarife verhandelt wird, liegt der pure Stundenlohn zum Einstieg bei 10,65 Euro, in Württemberg hingegen bei 18,45 Euro. Je höher das Tarifniveau ist, desto größer sei die Bereitschaft der Post, "sich nach Subunternehmen umzuschauen", sagt Verdi-Postexpertin Sigrun Rauch. "Für uns ist das ein großes Ärgernis." Sie warnt vor einem Preisdumping-Wettbewerb auf Kosten der Zusteller. Verdi wünscht sich, dass die Paketdienste - wie in der Fleischbranche bereits üblich - für ihre Subunternehmen nachhaften müssen, etwa für die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Hermes will, dass Kunden umdenken

Auch der Bundesverband Paket, Express, Logistik ist für eine "gerechte Entlohnung" der Paketboten. Nur versteht dieser etwas anderes darunter als Verdi: Um diese Entlohnung auch weiter "betriebswirtschaftlich finanzieren zu können, fordern wir Augenmaß bei der Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns", heißt es bei dem Verband, in dem Hermes, DPD oder GLS Mitglied sind.

Hermes geht es auch um Grundsätzlicheres: Das Unternehmen beklagt sich über die "um sich greifende Null-Versandkosten-Mentalität" der Besteller. Diese hätte dazu beigetragen, dass die Preise im Paketmarkt "in weiten Teilen nicht auskömmlich sind". Die Preise für die Zustellung eines Pakets an der Haustür seien auch im internationalen Vergleich "mindestens 50 Cent zu niedrig angesetzt. Der Aufwand einer individuellen Zustellung mit bis zu vier Anfahrten liegt deutlich höher." Hermes wünscht sich ein Umdenken der Kunden. "Einerseits ist fast jeder Kunde bereit, in der Innenstadt gerne auch mal zehn Euro oder mehr für ein Parkticket zu berappen. Andererseits erscheinen 3,89 Euro für ein pünktlich zu Weihnachten von Norderney auf die Zugspitze geliefertes Päckchen vielen als zu teuer", heißt es bei dem Unternehmen.

Iurie Popescu interessiert das alles wenig. Warum er sich den 14-Stunden-Tag als Paketbote in Deutschland antue? "In Rumänien", sagt er, "ist alles schlimmer".

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