Archäologie:Archäologen feiern spektakulären Fund in Griechenland

Combat Agate from the Grave of the Griffin Warrior at Pylos

Der Siegelstein des mächtigen Mannes wurde aus Achat gefertigt, einem Halbedelstein.

(Foto: J. Vanderpool/University of Cincinnati)
  • Forscher berichten im Archäologiemagazin Hesperia, welches Meisterwerk sie bei einer Ausgrabung im Jahr 2015 zunächst übersehen hatten.
  • Erst nach dem Reinigen eines Objektes kam ein nur 3,5 Zentimeter großer Siegelstein mit einer kunstvoll gestalteten Kampfszene dreier Krieger in Miniaturform zum Vorschein.
  • Das Relief erinnert manche Forscher an heroische Kriegsszenen, wie sie auch für Homers berühmte Epen "Ilias" und "Odyssee" typisch sind.

Von Hubert Filser

Als Jack Davis und Sharon Stocker das kleine, schmutzverkrustete Objekt aus dem Grab des Kriegers nahe der griechischen Küstenstadt Pylos holten, legten sie es zunächst beiseite. Die anderen Funde sahen viel spektakulärer aus, die aufwendig verzierten Goldringe, die Gold- und Silberbecher, die Vasen und Schüsseln, die perlenverzierte, goldene Kette, das am Griff vergoldete Bronzeschwert oder der Kamm aus Elfenbein, viele von ihnen mit Götterfiguren oder Tieren wie Löwen oder Greifen verziert.

Insgesamt 1500 Objekte bargen die beiden amerikanischen Archäologen von der Universität von Cincinnati zwischen Mai und November 2015 aus dem Greifen-Grab nahe Pylos an der Westküste der Peloponnes, benannt nach einer Plakette, die einen Greif mit weit ausgebreiteten Flügeln zeigt. Nun erst berichten die beiden Forscher im Archäologiemagazin Hesperia davon, welches Meisterwerk sie damals zunächst übersehen hatten.

"Langsam realisierten wir, dass wir ein Meisterwerk gefunden hatten"

Als die Konservatoren nämlich die Kalkablagerungen am 3500 Jahre alten Objekt entfernten, kam ein nur 3,5 Zentimeter großer Siegelstein mit einer kunstvoll gestalteten Kampfszene dreier Krieger in Miniaturform zum Vorschein. "Nachdem wir das Siegel gereinigt hatten und die Details zeichneten und fotografierten, wuchs unsere Begeisterung stetig", schreiben Stocker und Davis. "Langsam realisierten wir, dass wir ein Meisterwerk gefunden hatten." Damit nicht genug: Das Relief erinnert manche Forscher sogar an heroische Kriegsszenen, wie sie auch für Homers berühmte Epen "Ilias" und "Odyssee" typisch sind, mit seinen Schlachten zwischen den Königreichen von Troja und Mykene.

Davis und Stocker hatten das Grab im Mai 2015 mehr aus Zufall nahe dem berühmten Palast des Nestor entdeckt. Zwischen Olivenbäumen spürten sie bei einer Sondierungsgrabung in gut einem Meter Tiefe das Schachtgrab des Kriegers auf, "ein Glücksfall", sagt John Bennet, Direktor der British School in Athen. Das Grab mit seinen Beigaben ist einer der wichtigsten Funde in Griechenland seit mehr als 60 Jahren und "eines der am schönsten erhaltenen Gräber überhaupt", wie der Münchner Archäologe Philipp Stockhammer bestätigt. "In seiner Reichhaltigkeit erinnert es an die berühmten Schachtgräber von Mykene." Solche Funde sind wie ein Fenster in eine vergangene Zeit und ermöglichen es, eine verschwundene Lebenswelt zu rekonstruieren. Wie Datierungen ergaben, starb der in einem Holzsarg bestattete Krieger vor gut 3500 Jahren.

Spannend sind die gesamtpolitischen Umstände dieser Zeit und damit auch die Rolle, die der Krieger aus dem Greifen-Grab möglicherweise dabei spielte. Die mykenische Kultur hatte erst 100 Jahre vor seinem Tod auf dem griechischen Festland Fuß gefasst. Die Mykener, die damals noch in kleineren Siedlungen lebten, unterhielten bereits rege Handelsbeziehungen im gesamten östlichen Mittelmeerraum, zu den Minoern auf Kreta, mit Troja und nach Süditalien.

Vom 17. bis ins 15. Jahrhundert vor Christus wurde ein Machtkampf um die Vorherrschaft auf dem Festland ausgefochten. "Der Greifen-Krieger war möglicherweise eine der Schlüsselfiguren", sagt Stockhammer. Die Grabbeigaben deuten seinen Machtanspruch an, er gehörte zu einer Elite, die offenbar immer mehr Einfluss gewann und schließlich den Kampf für sich entschied. Um 1400 vor Christus etablierten sich Zentren mit riesigen Palästen in Pylos oder Mykene, die auch Homer erwähnte.

Umso interessanter sind das meisterhafte Achatsiegel und vier weitere goldene Siegelringe aus dem Grab. "Es gibt kein Grab mit mehr goldenen Siegelringen", sagt Stockhammer. Sie demonstrieren Anspruch auf absolute Macht. Der Herrscher markiert damit Besitz, bestätigt Qualität, ist damit in allen Dingen präsent, die er besiegelt. Der Greifen-Krieger nutzte seine Siegel zu Lebzeiten. Den Achatsiegelstein trug er um den Hals oder am Handgelenk, so wie Menschen heute eine Armbanduhr. So konnte er die 3-D-Zeichnung jederzeit als persönliches Zeichen auf feuchten Ton oder Wachs stempeln. Die darauf dargestellte Szene ist künstlerisch betrachtet herausragend, wie Stockhammer meint.

Das Siegel zeigt eine dynamische Kampfszene

Es ist eine dynamische Kampfszene, die an Schlachten antiker Helden wie Achill, Odysseus oder Telemachos denken lässt. Hochspezialisierte Handwerker haben sie millimetergenau mit Handbohrer, Stichel und kleinen Sägen aus Achat, einem Halbedelstein, herausgearbeitet. Einen Feind hat der nahezu nackte Held schon niedergestreckt, dieser windet sich im Todeskampf. Den zweiten Gegner attackiert er gerade mit seinem Schwert, übrigens dem genau gleichen Schwerttyp, der auch als echte Grabbeigabe mit vergoldetem Griff in Realformat neben dem Krieger im Grab lag.

Doch was ist nun mit Homer? "Auf dem Siegel sehen wir das energiegeladene Vorpreschen eines Helden, seine Gegner werden dabei nicht verächtlich gemacht", erklärt Fritz Blakolmer vom Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien. "Die Auseinandersetzung und ihre künstlerische Erzählung stehen im Vordergrund. Und dafür gibt es schon einige passende Verse in den homerischen Epen."

Theoretisch könnte sich die Szene also auf ein Ereignis beziehen, das mündlich weitergetragen mehr als sieben Jahrhunderte später in den homerischen Epen Widerhall fand. Auch Schrifttexte in Linear-B, der damaligen Schrift der Mykener, erwähnen bereits antike Götter wie Zeus, Hera, Poseidon oder Athene. Trotzdem, hier sind sich alle Experten einig, ergeben sich höchstens lose Zusammenhänge. Nirgendwo auf dem Siegel oder den goldenen Siegelringen taucht ein konkreter Name auf. Sehr wahrscheinlich erzählt die Szene kein historisches Ereignis, sondern stellt eine typische Kampfkonstellation dar, meint Blakolmer. "Der angreifende Krieger ist uns als Motiv von anderen Bildwerken aus Kreta und Mykene vertraut." Es sind Archetypen, die für Tugenden wie Heldentum und Siegeswillen stehen.

Wespentaille und Muskeln, offenbar liebten die Mykener die Ästhetik der Minoer

"Ein Zusammenhang mit Homer ist pure Spekulation. Das ist so ein absolut herausragendes Kunstwerk, das braucht keine Aufwertung durch Homer", sagt der Münchner Archäologe Stockhammer. Auch die Ausgräber wollen diesen Aspekt nicht überbetonen. "Wir sagen nicht, dass dies eine Darstellung von Homer ist", kommentiert Stocker das Bild auf dem Siegelstein. Aber es "würde Spaß machen zu glauben", dass der Held etwa Achill sei.

Spannender sind auch die Erkenntnisse über die Beziehungen zwischen Völkern der damaligen Zeit. Die Minoer auf Kreta und die Mykener auf dem Festland galten lange Zeit als rivalisierende Gruppen, welche die Macht im antiken Griechenland für sich beanspruchten. Offenbar standen sie zunächst aber eine Weile in regem kulturellen Austausch, ehe es dann erst im frühen 14. Jahrhundert zum Wettkampf kam und Kreta vom Festland unterworfen wurde. Davis und Stocker gehen davon aus, dass der Siegelstein des mykenischen Kriegers auf Kreta hergestellt und von den Minoern importiert wurde, nur dort gab es um 1500 vor Christus bereits derart versierte Künstler. Aufgrund der Plastizität des Siegelreliefs glaubt Blakolmer, dass ein Detail auf einem Stuckrelief im Herrscherpalast von Knossos auf Kreta Vorbild für das Siegelmotiv gewesen sein könnte.

Offenbar liebten die Mykener die Kunstfertigkeit und die eigene Körperdarstellung der Minoer. "Sowohl die muskulösen, nackten Männer mit ihrer Wespentaille wie auch die Frauen mit ihren extra großen Brüsten sehen aus, als würden sie einem Comic entstammen", sagt Stockhammer. Neben solchen Details bietet das Grab damit ein ganzes Spektrum an Erkenntnissen. Viele Fragen sind noch ungelöst, etwa die Identität des Kriegers. David und Stocker wollen nun dessen Erbgut untersuchen und Isotopenanalysen machen, um seine Herkunft zu klären. Sein Gesicht haben sie bereits rekonstruieren lassen: Es zeigt einen 30- bis 35-jährigen Mann mit eng zusammenliegenden Augen, entschlossenem Blick und markantem Kinn. Einen Helden, wie ihn Homer geliebt hätte.

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