Psychologie:Warum fühlt es sich so gut an, wenn die Gerechtigkeit siegt?

Psychologie: Im Kasperltheater wird der Bösewicht stets bestraft. Das Vergnügen wollen sich Kinder nicht nehmen lassen.

Im Kasperltheater wird der Bösewicht stets bestraft. Das Vergnügen wollen sich Kinder nicht nehmen lassen.

(Foto: mauritius images/buchcover.com/Thomas Dashuber)
  • Eine Studie zeigt: Bereits sechsjährige Jungs und Mädchen setzten sich für Gerechtigkeit ein.
  • Richten sich Rachegefühle gegen einen unfairen Partner und bleiben sie maßvoll, können sie sogar ihr Gutes haben und helfen, eine Gemeinschaft zusammenzuhalten.
  • Das aber liefert keinen Freibrief dafür, aus Rache wild draufloszuhauen und das auch noch zu genießen.

Von Katrin Blawat

Zuerst wirkt der Elefant noch richtig nett. Auf der Bühne des Kasperletheaters hält er das Lieblingsspielzeug seiner einzigen Zuschauerin - ein sechsjähriges Mädchen - zwischen den Vorderbeinen und bietet es dem Kind an. Doch anstatt das Spielzeug dann tatsächlich herzugeben, zieht er es wieder zurück: Reingelegt! Die Enttäuschung des Mädchens schert den Elefanten nicht. Immerhin, die Strafe folgt prompt: Auftritt des Löwen, bewaffnet mit einem Lineal. Der Elefant bekommt Prügel für sein unfaires Verhalten. Und das Mädchen? Das will unbedingt zugucken, wie der Betrüger bestraft wird.

Elefant und Löwe traten im Dienst der Wissenschaft auf. Die jungen Zuschauer waren Probanden, die ein Team um Natacha Mendes vom Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften und Nikolaus Steinbeis vom University College London rekrutiert hatten. Im Fachmagazin Nature Human Behaviour ziehen die Forscher einen überraschenden Schluss aus den Szenen, die sie vor dem Kasperletheater beobachtet haben: Indem sie Puppen, die sich unfair verhalten haben, bestraft sehen wollen, setzen sich die sechsjährigen Jungs und Mädchen für Gerechtigkeit ein.

Auch wenn die Forscher den Begriff Rache vermeiden, hinterlässt ihre Studie damit doch den Eindruck: Rachegelüste sind nicht in jedem Fall verdammenswert. Richten sie sich gegen einen unfairen Partner und bleiben sie maßvoll, können sie sogar ihr Gutes haben und helfen, eine Gemeinschaft zusammenzuhalten.

In einigen Runden des Experiments erwies sich der Elefant jedoch tatsächlich als Wohltäter und überreichte den Kindern bereitwillig das Spielzeug. Erschien dann trotzdem der Löwe mit seinem Lineal, weckte der geprügelte Elefant Mitleid bei den Kindern, wie die Analyse ihrer Mimik zeigte. Denn die Schläge, die ein fair handelndes Gegenüber treffen, tun in gewisser Weise auch demjenigen weh, der die Bestrafung nur beobachtet. In dessen Gehirn springt ein Empathie-Netzwerk an: "Der arme Kerl, diese Prügel müssen ihm ja eklig weh tun." Solches Mitgefühl kann aus evolutionspsychologischer Sicht hilfreich sein. Unter Umständen veranlasst es den Beobachter dazu, einzuschreiten und dem anderen zu helfen. Diese Fähigkeit zur Empathie ist Teil des Kitts, der die Mitglieder einer Gruppe verbindet.

Die Lust am Bestrafen und der Gerechtigkeitssinn hängen eng zusammen

Wenn es sich hingegen um ein Elefanten-Ekel handelte, waren die Kinder sogar bereit, etwas zu bezahlen, um der Prügelstrafe zuschauen zu dürfen: Bereitwillig gaben sie dafür Sticker ab, die sie zuvor von den Wissenschaftlern bekommen hatten. Ihre Gesichter spiegelten dann nur noch Spuren von Mitgefühl, vor allem fühlten sie sich sichtbar wohl mit der Bestrafung. Schließlich war der Elefant, dieser fiese Typ, doch selber schuld.

Was die Sechsjährigen in der Studie erlebt haben, kennen die meisten Menschen: Rache ist manchmal eben süß. "Bestrafung, die als gerecht empfunden wird, fühlt sich gut an", schreibt der Stanford-Neurowissenschaftler Robert Sapolsky in seinem Buch "Gewalt und Mitgefühl". Darf ein Proband in einem Wirtschaftsspiel seinen unfairen Partner bestrafen, wird in seinem Gehirn das Belohnungssystem aktiv. Unter anderem haben das Experimente eines Teams um Tania Singer vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig gezeigt, die auch die aktuelle Studie geleitet hat.

Die "intensive, atavistische Lust" an der Bestrafung, wie es Sapolsky nennt, hat durchaus ihr Gutes. Denn Maßregelungen sind untrennbar mit der Entstehung komplexer sozialer Strukturen verbunden. Sie helfen, so die evolutionspsychologische Erklärung, Werte wie Gerechtigkeit durchzusetzen und Trittbrettfahrern keine Chance zu geben. Wer einmal Prügel bezogen hat, weil er den anderen reingelegt hat, wird sich - im Idealfall - beim nächsten Mal anständig verhalten. Doch so sehr Strafen den Zusammenhalt einer Gruppe fördern können, so aufwendig ist ihre Umsetzung. Die Kinder in der Studie mussten Sticker hergeben; im realen Leben bezahlen Erwachsene mit einem Teil ihrer Steuern für Gefängnisse und das Justizsystem. Das Gefühl "selbstgerechter Lust bringt uns dazu, die Kosten zu schultern", schreibt Sapolsky.

Auch Schimpansen sehen gerne zu, wenn eine Übeltat geahndet wird

Das alles liefert keinen Freibrief dafür, aus Rache wild draufloszuhauen und das auch noch zu genießen. Nur weil etwas unter evolutionären Gesichtspunkten Sinn ergibt, ist es noch lange nicht gut oder auch nur akzeptabel. Und evolutionärpsychologische Erkenntnisse können helfen, Verhalten und Gefühle zu erklären, aber kaum einmal rechtfertigen. Außerdem hängt das, was als gerecht gilt, stark von der Situation, von der Zeit und von der Kultur ab. Auch diejenigen, die im Mittelalter Hexen als "Schuldige" verbrannt haben, dürften sich im Recht und in der Gewissheit gefühlt haben, der Gesellschaft Gutes zu tun.

Wie eng die Lust am Bestrafen und der Gerechtigkeitssinn zusammenhängen, zeigt auch die Tatsache, dass Kinder ausgerechnet im Alter von sechs Jahren bereitwillig zahlten, um der Bestrafung zusehen zu können. Andere Studien haben mit unterschiedlichen Methoden bereits gezeigt, dass sich der Sinn für Gerechtigkeit in diesem Alter noch einmal deutlich weiterentwickelt. Die Autoren testeten auch Fünf- und Vierjährige. Die hatten noch kein Interesse an der Bestrafung.

Dafür stießen die Wissenschaftler auf eindrückliche Parallelen, als sie zusätzlich Schimpansen des Leipziger Wolfgang-Köhler-Primatenforschungszentrums in vergleichbare Experimente einbezogen. Ähnlich wie die sechsjährigen Kinder wandten die Affen mehr Mühe auf, um einen unfairen Partner bestraft zu sehen als einen fairen. Plausibel werden diese Ergebnisse, wenn man die Lebensweise von Schimpansen bedenkt. Auch sie leben in einem komplexen Sozialgefüge mit Freund- und Feindschaften, strategischen Allianzen und gegenseitigen Abhängigkeiten.

Betrüger und Trittbrettfahrer in ihrer Mitte können sie sich ebenso wenig leisten wie eine menschliche Gemeinschaft. Empfinden die Affen also auch das gleiche Wohlgefühl, wenn sie unfaire Partner bestraft sehen? Es sei verlockend, dies anzunehmen, schreiben die Autoren, nachweisen konnten sie es aber nicht. Als gesicherter erscheint dagegen die lange Tradition der wohltuenden Rache: Der Drang, Übeltäter zu bestrafen, ist evolutionär wohl um einiges älter als die Menschheit.

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