Polen:Der EU droht die nächste Tragödie

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Die Polen sind in ihrer Haltung zur EU ähnlich zwiegespalten wie die Briten vor der Brexit-Entscheidung. (Foto: imago/ZUMA Press)

Das Brüsseler Sanktionsverfahren macht deutlich, dass der EU Antworten fehlen, denn: Viele Polen wollen dieses Europa nicht. Nach dem Brexit könnte ein Poexit als letzte Konsequenz stehen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Polens wechselvolle Beziehung zur Europäischen Union ist an einem vorläufigen Tiefpunkt angekommen. Das Sanktionsverfahren drückt nämlich nicht nur den Unmut der Kommission und einer Mehrheit im Rat über die schleichende Zerstörung des Rechtsstaats in Polen aus. Aus polnischer Sicht bestätigt das Verfahren einen lange gehegten Verdacht: Diese Union hat wenig zu tun mit den Vorstellungen einer Mehrheit der Polen von ihrem Staat, seinen Institutionen, seiner Kultur und seiner Identität.

Das polnische EU-Verständnis ist nicht ganz ohne Widersprüche. Eine überwältigende Mehrheit im Land will in der EU bleiben, vor allem wegen der Vorteile für die Wirtschaft und der üppigen Beihilfezahlungen. Polens wirtschaftlicher Aufstieg ist vor allem dieser Doppelrolle als Subventionsempfänger und Billiglohngebiet zu verdanken. Gleichzeitig aber wünscht sich die polnische Führung eine ökonomische Emanzipation, die das Land auch aus der Abhängigkeit von Deutschland führt.

Artikel 7
:EU-Kommission beantragt Sanktionsverfahren gegen Polen

Brüssel sieht die Rechtsstaatlichkeit der EU in Gefahr. Erstmals wird deshalb ein Verfahren nach Artikel 7 eingeleitet - die schwerste Sanktion für Mitgliedstaaten.

Die Regierungspartei Pis entwickelt schon seit Jahren eine eigene Staatsphilosophie, die im Kern eine Rückabwicklung des westlichen Demokratie-Modells vorsieht, das nun mal in den Verträgen der EU kodifiziert ist. Der Streit um den Charakter des Rechtsstaates ist nur ein Beispiel für diese Enteuropäisierung. Sie zeigt sich auch am Umgang mit Migration oder Medien, am Heimat- und Nationenbegriff, am Bedürfnis nach einer ausgeprägten, nationalkonservativ-klerikalen Identität und nach Homogenität.

Folgt dem Brexit der Poexit? Die Pis-Regierung will eine andere EU

Wie stark dieses Bedürfnis ausgeprägt ist, können erst die nächsten Wahlen zeigen, die voraussichtlich 2019 abgehalten werden. Das Land dürfte ähnlich zwiegespalten sein wie die Briten vor der Brexit-Entscheidung. Dieser Vergleich ist nicht unangebracht, weil die Konfrontation zwischen Warschau und Brüssel auf eine ähnliche Konsequenz hinausläuft: Stellt eine überwältigende Mehrheit der EU-Mitglieder die groben Vertragsverletzungen Polens fest, dann wird das nicht ohne Folgen bleiben können. Stimmrechtsentzug oder Blockade durch Ungarn, weniger EU-Geld oder andere Haushaltstricks - all das kann nicht von dem eigentlichen Problem ablenken, dass nämlich Polen unter der Pis-Mehrheit die EU ablehnt.

Zwei Jahre hat die Kommission mit sich und dieser Pis-Regierung gerungen, ehe sie das Verfahren beantragte. Die Entscheidung ist also nicht leichtfertig gefallen, weil allen die Folgen klar sind: Hier wurde ein Mechanismus in Gang gesetzt, bei dem es keinen Kompromiss geben kann. Die EU wird nicht tolerieren können, dass ein Mitglied das Fundament der Union zerstört, den vergleichbaren Rechtsrahmen. Die EU ist nämlich eine Gemeinschaft, die ausschließlich deshalb funktioniert, weil ihre Mitglieder gleiches Recht einhalten. Will eine Mehrheit in Polen sich nicht mehr an das Recht halten, dann muss das Land die EU verlassen. Die Wahlen 2019 werden darüber entscheiden. Nach dem Brexit könnte die EU bald ihre nächste, große Tragödie erleben.

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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