Familienrecht:Der EuGH erschwert Scheidungen

Hochzeitspaar aus Strohrundballen gebaut auf einer Wiese Oberfranken Bayern Deutschland Europa C

Ein Paar, das sich traut (hier aus Stroh auf einer Wiese in Oberfranken), kann sich nicht so einfach auf Wald und Flur wieder trennen.

(Foto: Helmut Meyer zur Capellen/imago)
  • Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat geurteilt, dass die Scharia-Scheidung eines Paares aus Syrien in Deutschland rechtlich ungültig ist.
  • Die Begründung: Die Scheidung wurde nicht von einer Behörde oder einem Gericht ausgesprochen.
  • Damit widerspricht der EuGH der bisher üblichen Rechtsprechung auch private Scheidungen juristisch anzuerkennen - ein Urteil, das europaweit Auswirkungen haben könnte.

Von Wolfgang Janisch und Dunja Ramadan, Karlsruhe

Es klang ein wenig nach Anti-Scharia-Urteil, das passiert schnell in diesen Zeiten. Ein Paar aus Syrien stritt über die Anerkennung einer dort nach religiösem Recht ausgesprochenen Scheidung, und der Europäische Gerichtshof erklärte eine dafür eigentlich maßgebliche EU-Vorschrift für unanwendbar. Doch in Wahrheit ging es bei dem Urteil nicht um Islam oder Scharia, sondern nur ganz generell um sogenannte Privatscheidungen, islamisch oder nicht islamisch. Scheidungen also, die nicht von einem Gericht oder von einer Behörde ausgesprochen werden. Das gibt es in islamischen Staaten, aber auch in Südostasien, und in Europa hielt man das gerade für trendy - aber jetzt hat der EuGH dem Trend einen Dämpfer versetzt.

Auslöser des Verfahrens ist der Fall eines Ehepaars, beide mit deutschem und syrischem Pass, das 1999 im syrischen Homs geheiratet hatte und nun in Deutschland lebt. Vor vier Jahren hatte der Mann über einen Bevollmächtigten in Syrien eine einseitige Scheidungsformel aussprechen lassen, und zwar vor einem geistlichen Scharia-Gericht. Die Frau unterzeichnete eine Erklärung, wonach sie die ihr zustehenden Leistungen von fast 17 000 Euro erhalten habe. Die Sache war eigentlich durch - aber als der Mann die Anerkennung auch in Deutschland beantragte, sperrte sich die Frau. Das Oberlandesgericht München wollte die Scheidung zunächst anerkennen, setzte dann aber das Verfahren aus, um den EuGH um Klärung zu bitten. Und provozierte damit ein Urteil, das die Justiz nun in Schwierigkeiten bringen dürfte.

Trennungen per privater Einigung liegen europaweit im Trend

Die allererste Frage bei der Anerkennung ausländischer Scheidungen lautet nämlich: Welches nationale Recht ist anwendbar? Im europäischen Recht ist das in der sogenannten Rom-III-Verordnung geregelt, dort ist seit 2012 der zentrale Mechanismus verankert, ohne den nichts geht im globalisierten Scheidungswesen. Im deutschen Recht gab es einen ähnlichen Paragrafen, aber den hat man gestrichen, weil er wegen Rom-III gar nicht mehr notwendig war. Dachte man.

Nun aber überrascht der EuGH die deutsche Justiz mit der Mitteilung. Rom-III, der Universalschlüssel zur Scheidungsanerkennung, gilt nur für gerichtliche und behördliche, nicht aber für private Scheidungen. In einer Welt, in der Menschen ständig ihre Wohnorte ändern und dabei gelegentlich auch zerbrochene Ehen zurücklassen, ist das ein herber Rückschlag. Denn die Regeln, nach denen Heiraten und eben auch Scheidungen grenzüberschreitend anerkannt werden, sind nicht etwa dazu da, moderne Vorschriften zu belohnen und archaische Rechtssysteme zu bestrafen. Sie sollen den Betroffenen vielmehr Rechtssicherheit geben, damit sie nicht in Syrien als geschieden und in Deutschland als verheiratet gelten. Das Urteil reißt in Deutschland nun eine Regelungslücke, weil Rom-III auch hier zum Standard geworden war.

In Deutschland sind religiös geprägte Scheidungen übrigens durchaus anerkannt worden. Das hängt zwar immer von einer Prüfung im Einzelfall ab; es darf kein Verstoß gegen den "ordre public" vorliegen, also gegen fundamentale Rechtsgrundsätze. Dass ein religiöses Gericht im Spiel war, reicht dafür nicht. Die Rechtswissenschaftlerin Lena-Maria Möller, die intensiv über islamisches Familienrecht geforscht hat, hält bereits den Begriff "Scharia-Gericht" für irreführend. Die syrischen Familiengerichte seien nun mal religiös geprägt, andere gebe es nicht - und übrigens seien die Richter durchaus Juristen.

In vielen Staaten der islamischen Welt wurde der Einfluss der Scharia-Gerichte auf die Bereiche Personenstands-, Familien- und Erbrechts beschränkt. Im Zivil- oder Wirtschaftsrecht spielen islamrechtliche Aspekte oft nur eine Nebenrolle. In Syrien verwalten Religionsgemeinschaften das Familienrecht nach hanafitischer Rechtsschule, eine der vier sunnitischen im Islam. Sie bestimmen wie dort geheiratet, geschieden und vererbt wird.

Das Scheidungsrecht in der islamischen Welt unterscheidet sich stark

Im Islam wird in eine einseitige und eine einvernehmliche Scheidung unterschieden. Der Mann kann die Ehe leichter auflösen, indem er die Scheidungsformel ausspricht. Doch auch die Frau kann durch das Lösungsrecht (arabisch: khula) die Ehe beenden, muss dann aber auf finanzielle Ansprüche verzichten. Bei einvernehmlicher Scheidung kann sie die Brautgabe behalten.

Mittlerweile wird das einseitige Scheidungsrecht des Mannes in vielen Staaten erschwert oder gar abgeschafft. In Ägypten, Kuwait, dem Jemen und den VAE kann der Mann, falls die Scheidung gegen den Willen der Frau vollzogen wurde, neben den nachehelichen Unterhaltszahlungen zu Schadensersatzleistungen verpflichtet werden. In Tunesien und Algerien ist nur noch die gerichtliche Scheidung zulässig.

In der Türkei und in Albanien, zwei mehrheitlich muslimisch geprägte Länder, wurde das islamische Recht komplett abgeschafft. Doch auch dort gibt es bis heute Überbleibsel. Insbesondere in ländlichen Regionen der Türkei schließen viele Paare ihre Ehe vor einem Imam und nicht einem Standesbeamten. Das hat wiederum negative Folgen für die Kinder, die vor dem Gesetz als unehelich gelten. Im Oktober dieses Jahres stimmte das türkische Parlament nun für die Mufti-Ehe. Künftig dürfen auch Religionsgelehrte rechtsgültige Ehen schließen. Kritiker sehen das Gesetz als Angriff auf den Säkularismus und befürchten eine Zunahme von Kinderheiraten.

Kurzum: Die Frage nach der Diskriminierung ist komplizierter, als man vielleicht meinen könnte. Vor allem aber ist die Alternative, Scheidungen einfach nicht anzuerkennen, auch nicht gerade ideal, weil dann womöglich Paare juristisch aneinandergekettet werden, sie im Konflikt leben.

Kurios an der EuGH-Entscheidung ist überdies, dass sie die Privatisierung der Scheidung erschwert - die auch in Europa auf dem Vormarsch ist. In Großbritannien diskutiert man über Internet-Scheidung ("quickie divorce"). In Italien können Ehen seit 2014 durch private Einigung gelöst werden, in Spanien reicht seit 2015 eine formelle Einigung vor dem Rechtspfleger, Frankreich hat vergangenes Jahr die außergerichtliche Scheidung eingeführt; der Staat spielt nur noch Notar. Kein Anti-Scharia-Urteil also, sondern eher eines, das gegen den europäischen Trend steht.

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