Die erste Aufnahme vom Yuba-Pass istvoller Leben: Spechte klopfen, Wachteln murren, Spatzen dröhnen und im Hintergrund summen Myriaden Insekten. Nur ein Jahr später am selben Ort in Kalifornien ist der Chor der Tiere um etliche Stimmen ärmer geworden, Spatzen und Spechte sind verstummt. Der amerikanische Forscher Bernie Krause hat die beiden Tonaufnahmen gemacht und so die Veränderungen am Fuße der Sierra Nevada Ende der 1980er dokumentiert. "Die sonore Stimme der Wiese war verschwunden, der Reichtum verloren", schreibt der Ökologe im Buch "Das große Orchester der Tiere".
Was war geschehen? Zwischen beiden Aufnahmen war eine Holzfällerfirma in dem unberührten Gebiet angerückt, im Versprechen, nur einige wenige Bäume zu schlagen, um dem Ökosystem nicht zu schaden. Krause kehrte die nächsten 20 Jahre immer wieder in das Gebiet zurück, um die Klänge der Natur aufzunehmen, doch die einstige Vielfalt sei nie zurückgekehrt.
So ist es leider an vielen Orten, die der heute 79-Jährige besucht hat. Seit fast einem halben Jahrhundert zieht Krause in die wildesten Winkel der Welt, um den Klang der Natur einzufangen. In Alaska floh er vor Wölfen auf einen Baum, in Ruanda warf ihn ein Berggorilla durch die Luft, der etwas gegen den Lauschangriff hatte. Über die Jahre hat Krause so eins der weltweit größten Klangarchive der Natur geschaffen, auf den Tonaufnahmen sind wohl an die 15 000 Tierarten verewigt. Den Ökologen interessieren aber weniger die Geräusche einzelner Tiere, sondern die Sinfonie, die sie zusammen erzeugen, eine Art akustische Landschaftsaufnahme.
Doch der Sound der Natur droht zu verstummen. Etwa die Hälfte seiner Aufnahmen stammt aus Lebensräumen, "die heute nicht mehr in der ursprünglichen Form existieren", schätzt Krause. Er hat viele Biotope, wo er in frühen Jahren gelauscht hat, später wieder besucht. Manche seien jetzt komplett verändert, beispielsweise durch menschlichen Krach. In anderen sei kaum noch ein Zirpen, Quaken, Jaulen oder ein anderes lebendiges Geräusch hörbar. "Was mir Sorgen macht, ist das Verstummen ganzer Lebensräume", sagt Krause. "Wenn die Stimme eines Ortes weg ist, dann ist auch das Leben in seiner ursprünglichen Form nicht mehr da."
Damit beschreibt Krause die Kernfrage seiner Forschungsdisziplin, der Klangökologie: Wie hängt die akustische Vielfalt eines Ortes mit seiner Artenvielfalt zusammen? Was sagen die Geräusche eines Waldes darüber aus, wie gesund er ist?
Diese Fragen untersuchen Biologen derzeit auch auf 300 Wald- und Wiesenflächen in der Schorfheide Brandenburgs, in den Wäldern Thüringens und auf der Schwäbischen Alb. Ein Jahr lang haben Forscher auf den sogenannten "Biodiversitäts Exploratorien" Mikrofone horchen lassen. "Wir testen den Einfluss der Landnutzung auf die akustische Vielfalt", sagt Sandra Müller von der Uni Freiburg. So könnte man beispielsweise ablesen, ob in der Nähe von intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen weniger Heuschrecken singen als in geschützten Gebieten. "Die Methode scheint zu funktionieren", sagt Müller, die Datenauswertung laufe aber noch. Die Forscher interessiert neben der akustischen Vielfalt der Fauna auch der Lärm von Maschinen. So stört Straßenlärm etwa das Gesangsverhalten von Vögeln.
Der menschliche Krach macht vielen Arten zu schaffen. Amerikanische Schaufelfußkröten schützen sich etwa vor Feinden, indem sie alle gemeinsam im Chor singen. Eine einzelne Kröte ist unter dem akustischen Teppich für eine Eule schwerer auszumachen. Donnert ein Düsenjet über die Kröten, gerät das Orchester jedoch aus dem Takt. Die Kröten verraten sich plötzlich mit ihrem Quaken, und werden zur leichten Beute.