Antike:Der Reiz von Sport und Gelagen

Wem gehören die Schätze der Römer, Griechen und Etrusker? Ein Gespräch mit Florian Knauß, Direktor der Münchner Antikensammlungen.

Interview von Alexander Hosch

Der Archäologe Florian Knauß ist seit 2011 Direktor zweier Münchner Museen, der Antikensammlungen und der Glyptothek am Königsplatz. Kürzlich hat er die Sammlung in seinen Museen neu geordnet und darüber ein Buch geschrieben ("Die Kunst der Antike", Beck-Verlag). Wir sprachen mit ihm über den angeblichen kriminellen Milliarden-Markt mit Antiken und die Frage, wem all die Gefäße und Skulpturen eigentlich gehören.

SZ: Hatten Sie schon mal ein schlechtes Gewissen, weil so viele Apollos und Aphrodites, römische und griechische Gefäße hier bei Ihnen in München stehen?

Florian Knauß: Überhaupt nicht. Ich verstehe diese Diskussion, die das Museum grundsätzlich infrage stellt, nicht. Das Interesse der Griechen an ihrer Vergangenheit, wurde ja eher von außen an sie herangetragen. Die Menschen reisen heute nicht nur wegen der Strände nach Griechenland, sondern um die antiken Stätten anzusehen. Das Land profitiert ungeheuer davon, dass vom New Yorker Metropolitan Museum bis zum Pergamon-Museum in Berlin antike Kunst über die Welt verstreut ist. Ich finde es aberwitzig zu denken, dass alle Dinge an ihren vermeintlichen Ursprung zurückkehren sollten. In Athen gibt es so viele Angebote, dass seit dem Neubau des Akropolis-Museums 2009 die anderen Museen zu wenig Besucher haben!

In dem Museum ließ man eine Etage leer, als stumme Klage darüber, dass ein Teil der Parthenon-Figuren, die "Elgin Marbles", seit 1812 in London sind. Verstehen Sie die Griechen nicht?

Die Osmanen haben die Elgin Marbles vor 200 Jahren nach London verkauft. Ich verstehe, dass die Griechen das bedauern, aber das sind historische Geschehnisse, die man nicht zurückdrehen kann.

Wem gehören überhaupt all die Sachen aus der Vergangenheit? Allen Völkern? Dem einen Volk, für das sie gemacht wurden? Späteren Nationen, auf deren Gebiet dieses Volk heute lebt? Oder jedem, der sich an ihnen erfreut - so wie ich jetzt gerade an diesem etruskischen Punk da drüben, mit Piercing und Kreolen.

Gute Frage. Die attischen Vasen, die den Kern unseres Bestands in den Antikensammlungen ausmachen, sind zu 90 Prozent in Etrurien gefunden worden, sie stammen aus Vulci. Sollen die jetzt alle dorthin zurück? Oder sollen sie nach Athen? In gewisser Weise - so argumentiert auch das British Museum - gehört diese Kunst wirklich uns allen. Und sobald sie höchste Qualität erreicht, wie hier bei uns zum Beispiel die Ägineten oder auch der etruskische Todesdämon, den Sie gerade "Punk" nannten, sehe ich die Verpflichtung, sie allen zugänglich zu machen, egal ob man ein öffentlicher Eigentümer ist wie wir oder ein Privatmann. Dann ist es aus meiner Sicht auch sekundär, ob die Dinge in Athen, London oder München stehen.

Antike: Kopfgefäß mit Darstellung des etruskischen Todesdämons Charun, 400-350 v.Chr.

Kopfgefäß mit Darstellung des etruskischen Todesdämons Charun, 400-350 v.Chr.

(Foto: Staatl. Antikensammlungen, Renate Kühling)

König Ludwig I., der Sammlungsgründer, hatte es um 1830 einfach - er sandte seinen Wagner oder Klenze, und die holten ihm Antiken aus dem Süden. Für Sie heute gibt es strenge Richtlinien, die Ihnen oft verbieten, diese Stücke zu kaufen.

Auch Ludwig, damals noch Kronprinz, musste sich an bestehendes Recht halten. Wir sind in der glücklichen Lage, dass er nicht nur antikenbegeistert war, sondern auch juristisch pedantisch. Es gab immer gültige Ausfuhrpapiere. Das berühmteste Beispiel ist der barbarinische Faun, den er 1813 erwarb: Erst acht Jahre später wurde der Export aus dem Kirchenstaat genehmigt. Heute gibt es über eine komplizierte Rechtslage hinaus noch eine moralische Selbstverpflichtung der Museen, die Zukäufe alles andere als leicht macht.

Die Münchner Sammlungen sind hervorragend. Fehlt Ihnen überhaupt etwas?

Es geht um sinnvolle Ergänzungen, dafür haben wir einen Ankaufsetat von etwa 50 000 Euro im Jahr. Griechische Gefäße sind vergleichsweise spottbillig, Jeder mit einem Normalgehalt kann zu sammeln beginnen, wenn er das will.

Wo spielt sich der Handel heute ab?

Weniger in Deutschland, mehr auf großen Auktionen in London und New York, da hat sich viel ins Angelsächsische verlagert. Bis 2015 gab es die Basel Ancient Art Fair als wichtigste Spezialmesse. Heute ist die Tefaf in Maastricht führend. Generell wird weniger Antike gesammelt. Manche Archäologen kriminalisieren den Kunsthandel und die Sammler, was aber ungerecht und historisch unsinnig ist. Die Begeisterung für die Antike, unsere Museen und den Umstand, dass Archäologie als Wissenschaft etabliert ist, verdanken wir sammelnden Laien.

Wie kaufen Sie ein und wo?

Ein Beispiel: Das Marmorporträt von Kaiser Caligula, 2016 von einem französischen Händler angeboten, war zuletzt unser mit Abstand teuerster Kauf. Caligulas Bildnis fehlte in der Glyptothek. Um die sechsstellige Summe aufzubringen brauchten wir Hilfe von vier Institutionen: unserem Freundeskreis, der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung, der Kulturstiftung der Länder, außerdem durften wir aus dem Etat des Kultusministeriums schöpfen. 18 Museumschefs stimmen da ab, und man ist natürlich nicht jedes Jahr dran. Mit der Provenienz und dem spanischen Vorbesitzer musste also alles haarklein stimmen.

Wie oft wird Ihnen etwas angeboten?

Drei-, viermal im Jahr bieten uns Privatleute oder Händler Antiken an. Die allermeisten sind über jeden Zweifel erhaben. Viel öfter wollen uns aber Erben antike Stücke schenken, die sie auf dem Dachspeicher des Opas finden, der sie einst aus Italien oder Kleinasien mitbrachte. Natürlich ohne Provenienzdokumente (lacht).

Angeblich sind noch nie so viele Antiken aus Raubgrabungen auf dem Kunstmarkt gelandet wie jetzt. Der IS soll sich außer durch Erpressung, Öl und Rauschgift durch den Verkauf von Raubgut finanzieren. Ist das Geraune oder Realität?

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Archäologe und Museumschef Florian Knauß.

(Foto: Robert Haas)

Da gehen fantastische Summen um, drei Milliarden (...) Das ist unsinnig. Dazu braucht man auch nicht Interpol zu befragen, es reichen Kataloge von Christie's und Sotheby's. Da werden für Objekte aus dem Zweistromland - Iran, Syrien, Irak - verschwindende Summen erlöst, selbst wenn man annimmt, alles käme aus illegalen Quellen. Natürlich gelangen Stücke aus Raubgrabungen in den Kunstmarkt. Aber es hat nicht diesen immensen Umfang, von dem immer die Rede ist. Hier hat dann das unter öffentlichem Druck verschärfte Kulturgutschutzgesetz für uns Folgen, die eher negativ sind.

Warum?

Weil wir Museumsarchäologen - oft nur nach Fotos und unter Zeitdruck - für den Staat beurkunden müssen, dass Antiken, die etwa versteigert werden und das Land verlassen sollen, nicht unter nationales Kulturerbe fallen. Was sie so gut wie nie tun. Das Problem: Behörden anderer Länder missbrauchen dann unsere Unterschrift in den Ausfuhrpapieren als "Beweis", dass das Stück eine saubere Provenienz habe, was wir aber gar nicht geprüft haben.

Welche Rolle spielt die Nazi-Zeit im Antikengeschäft?

Uns sind keine Forderungen für eines unserer Objekte bekannt. Erstaunlicherweise war im Dritten Reich das Interesse an der Antike nicht so groß wie man denken könnte. Göring hatte zwar einige Stücke in Carinhall. Für unsere Sammlung zum Beispiel fanden damals aber kaum Neuerwerbungen statt.

Wo sind Antiken nun besser verwahrt - am Ursprungsort oder im Museum?

Einen sicheren Ort gibt es nicht. In New York oder Berlin können Dinge genauso zerstört werden wie in Aleppo oder Palmyra. Betrachtet man rein den Erhaltungszustand, sind die Londoner Teile der Akropolis besser in Schuss als die in Athen. Heute wird oft argumentiert, dass Objekte ohne Fundkontext ihre Aussagekraft verlieren. Das halte ich für Unsinn. Ich sage das als Museumsmann und als leidenschaftlicher Ausgräber: Hier hilft keine Schwarzweißsicht. Teilweise werden archäologische Befunde aus Trägheit oder Zeitgründen weder vernünftig dokumentiert noch publiziert. Eine Ausgrabung, die nicht zu Papier gebracht wird, ist aber auch eine Zerstörung. Da müssen wir Archäologen uns an die eigene Nase fassen.

Müssen Museen heute anders locken, um neue Generationen für die Antike zu begeistern?

Wir erklären viel mehr. Die Basis für die Antike ist auch im Bildungsbürgertum nicht mehr so solide. Wenn Achill auf einer alten Vase Hektor erschlägt, können wir nicht mehr voraussetzen, dass jeder weiß, was im Trojanischen Krieg passierte. Wir bieten deshalb Apps zur Vor- und Nachbereitung des Museumsbesuchs. Wir vermeiden Vasen-Reihen in endloser Chronologie. Und die Historie bringen wir über populäre Themen des Alltags nahe - Trinkgelage, Feste, Sport, Religion.

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