Korea-Konflikt:Was hinter Kim Jong-uns Gesprächsangebot steckt

Der Diktator will mit Südkorea verhandeln, zugleich warnt er die USA. Mit dieser Strategie verfolgt er mindestens drei Ziele.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Südkoreas Regierung ließ sich nicht viel Zeit damit, auf das Gesprächsangebot aus dem Norden zu reagieren: Vereinigungsminister Cho Myong-gyon sagte am Dienstag, man sei "unabhängig von Zeit, Ort und Format zu Gesprächen bereit". Er rief den Norden für kommenden Dienstag zu einem "hochrangigen Treffen" im Waffenstillstandsdorf Panmunjom auf, ein Schritt, der offenbar mit Washington abgestimmt war. Nordkoreas Diktator Kim Jong-un hatte in seiner Neujahrsansprache gesagt, man sei zu Gesprächen bereit und erwäge obendrein, Athleten zu den Olympischen Spielen in Pyeongchang zu schicken. Zugleich warnte der junge Diktator die USA: Nordkoreas Atomwaffen seien eine Tatsache, keine Drohung.

Kims Vorstoß mag überraschend wirken, kam jedoch keineswegs unerwartet. In jeder seiner inzwischen sechs Neujahrsansprachen hat sich der Diktator mit Versöhnungsangeboten an Seoul gewandt - und den USA von Jahr zu Jahr selbstbewusster gedroht.

Mit dieser Strategie verfolgt Kim mindestens drei Ziele: Erstens braucht er einen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise, der es ihm erlaubt, sein Gesicht zu wahren. In Seoul argwöhnt man, falls tatsächlich Gespräche zustande kommen, könnte der Norden seine Beteiligung in Pyeongchang vom Abbau der Sanktionen abhängig machen. Südkoreas Premier Lee Nak-yon fürchtet sogar, Nordkorea wolle vom Süden als Atommacht anerkannt werden.

Zweitens könnte Kim sich einen Verzicht auf weitere Raketen- und Atomversuche leisten. Obwohl viele Experten die Aussagen zu angeblichen Kapazitäten seiner Raketen für massiv übertrieben halten und Pjöngjang des Bluffs bezichtigen, hat sich die Weltöffentlichkeit darauf geeinigt, Nordkorea als ernsthafte Bedrohung der USA zu sehen. Damit hat Kim, wie er sagt, sein Ziel erreicht. "Nordkorea versucht dem Westen vorzugaukeln, es habe bessere Waffen, als es wirklich hat", sagte Lance Gatling, ein führender amerikanischer Raketenexperte, jüngst in Tokio.

Gatling bezweifelt, dass Nordkorea in der Lage ist, eine Flugbahn zu vermessen, also aus seinen "Tests" zu lernen. Es verfüge auch nicht über die Präzisionsinstrumente, die für zielgenaue Raketen erforderlich seien. "Bisher hat Nordkorea gezeigt, dass es den Pazifik treffen kann. Wie genau ist das?", spottet der Raumfahrtingenieur. Georgij Toloraja von Russlands "Akademie der Wissenschaften" hält Kims Erklärung, das Waffenprogramm sei komplett, für "sichtbar verfrüht".

Drittens kann Kim kein Interesse daran haben, die Südkoreaner noch mehr gegen sich aufzubringen. Auf lange Sicht braucht Nordkorea die Wirtschaftshilfe des Südens, dass Kim die Olympischen Spiele stören würde, hielten deswegen die meisten Südkoreaner schon zuvor für unwahrscheinlich. Eher dürfte er darauf setzen, die Spiele für sich zu nutzen und zugleich versuchen, einen Keil zwischen Seoul und Washington zu treiben. Sein Großvater hatte früher oft an den unterschwelligen Anti-Amerikanismus der südkoreanischen Linken appelliert.

Kims Atomwaffen "sind alles, was er hat"

Brad Glosserman vom "Center for Strategic & International Studies" (CSIS), der die USA schon in informellen Verhandlungen mit Nordkorea vertreten hat, sagt: "Niemand glaubt mehr, dass Kim seine Atomwaffen aufgeben wird. In Japan nicht, in China nicht, in Südkorea nicht. Und in Nordkorea sowieso nicht." Das Überleben seines Regimes hänge von ihnen ab, und auch sein persönliches. "Sie sind alles, was er hat." Künftige Verhandlungen würden sich deshalb darum drehen, Nordkoreas Besitz einer beschränkten Atom-Kapazität vorerst zu akzeptieren, ohne es als Atommacht anzuerkennen. Mit Pakistans Atombombe habe die Welt auch zu leben gelernt.

Der Russe Toloraja, der zweimal als Diplomat in Pjöngjang stationiert war, konstatiert, Nordkorea verfüge bisher nicht über eine Nukleardoktrin. Die Funktionäre in Pjöngjang hätten noch keine Vorstellung davon, wie und wozu Nordkorea seine Atomwaffen nutzen wolle. Sie seien sich auch nicht darüber im Klaren, welche politischen Implikationen ihre Langstreckenraketen hätten. Aus seinen Gesprächen in Pjöngjang schließt Toloraja, dass es trotz des herrschenden Misstrauens für eine diplomatische Lösung noch nicht zu spät sei. Beide Seiten könnten etwa schrittweise Bedrohungspotential einfrieren und später abbauen. Allerdings bräuchte es dafür eine stärkere Führung der USA, die eingestehe, dass die bisherige Nordkorea-Politik gescheitert sei, sagt der Russe Toloraja. Er schließt: "Schließlich wäre es besser, mit einer atomaren aber friedlichen koreanischen Halbinsel zu leben, als dass Nordostasien im Krieg versinkt."

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