Grüne: Parteitag in Rostock:Herzchen statt Farbbeutel

"Unsozial, unbezahlbar, unverbesserlich" - die Grünen arbeiten sich auf ihrem Parteitag an Schwarz-Gelb ab. Die Jamaika-Befürworter kommen trotzdem glimpflich davon.

M. König, Rostock

Rote Heliumballons in Herzchenform links und rechts, daran aufgehängt eine Jamaika-Flagge. Hubert Ulrich war eingerahmt, als er das Rednerpult betrat.

Eingerahmt von einer Protestaktion der Grünen Jugend stand der "CDU-Liebhaber" dort, wie ihn einer der Initiatoren nannte. Der Protest habe zeigen sollen, "dass große Teile der Partei mit seiner Entscheidung nicht ganz einverstanden sind".

Ulrich wartete die Aktion geduldig ab, bevor er in seiner Rede um Unterstützung bat. Es hätte für ihn schlimmer kommen können. "Wenn die grüne Basis tobt, sieht das anders aus", sagte einer, der schon viele Parteitage hinter sich hat. Der Farbbeutel-Wurf auf Joschka Fischer ist unvergessen. Was sind dagegen schon ein paar Herzchen?

Es war ein denkbar schlechter Tag, um vorurteilsfrei über die Öffnung der Grünen in Richtung bürgerliches Lager zu diskutieren. Am Morgen waren neue Details aus der Berliner Koalitionsrunde bekannt geworden, die im grünen Lager für Verstimmung sorgten.

Roth im "Kampfdress"

Das Gerücht, der als Verteidigungsminister heftig umstrittene CSU-Politiker Franz-Josef Jung solle neuer Arbeitsminister werden, ließ den Parteivorsitzenden Cem Özdemir spotten: "Die Personaldecke ist so dünn, dass sie jetzt schon auf die Notreserve zurückgreifen müssen." Sein weibliches Pendant Claudia Roth nannte die anstehende Ernennung von Dirk Niebel zum Minister für Entwicklungshilfe eine "pure Provokation", weil der FDP-Generalsekretär noch vor kurzem das Ministerium, das er bald leiten wird, abschaffen wollte.

Roth fühlte sich in ihrer Kleiderwahl bestätigt: Im "knallgrünen Kampfdress" erschien die Parteivorsitzende in der Rostocker Messehalle - etwas anderes sei an einem solchen Tag nicht angemessen gewesen.

Der neue Koalitionsvertrag bekam Roths kämpferische Ader zu spüren:

Mit finsterer Miene drückte sie während ihrer Rede drei schwarz-gelbe Sticker auf das Deckblatt: "Unsozial" sei das Regierungsprogramm, "unverbesserlich" die Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Und "unbezahlbar" schließlich das große Ganze. "Schwarz-Gelb hat sich heute um Lichtjahre von uns weggebeamt", rief Roth und erntete viel Applaus.

Die Nachrichten aus Berlin kamen der Parteispitze gerade recht. Sie konnte mit Verweis auf Koalitionsvertrag und Kabinett rechtfertigen, warum sie eine Jamaika-Koalition im Bund vor der Bundestagswahl kategorisch ausgeschlossen hatte. Mehrere Abweichler hatten dies in Leitanträgen als Fehler bezeichnet. "Glaubt ihr wirklich, wir hätten 10,7 Prozent der Stimmen bekommen, wenn wir den eisernen Schäuble im Portfolio gehabt hätten?", fragte Wahlkampfmanagerin Steffi Lemke.

Dass es trotz dieses besten Ergebnisses in der Geschichte der Partei überhaupt zu einer Diskussion kam, ist mit der Lust der Partei an der Selbstkasteiung zu erklären. Obwohl die große Mehrheit der Grünen darin einig ist, dass die Öko-Partei auch in Zukunft mit Inhalten statt mit Machtoptionen punkten muss, nahmen die Farbenspiele am ersten Tag des Parteitags viel Zeit ein.

"Opposition ist Mist" in grün

Einen maßgeblichen Anteil daran hatten die Chefs der grünen Landtagsfraktionen. Sie hatten - fünf Minuten vor Annahmeschluss - einen Antrag abgegeben, in dem sie sich mit den Saar-Grünen solidarisierten und eine Öffnung der Partei in Richtung Jamaika forderten.

Hinter den Kulissen des Parteitags wurde stundenlang darum gerungen, wie der Vorschlag der Gruppe um den Chef der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann, in den Antrag des Bundesvorstands integriert werden könnte. Eine Abstimmung sollte vermieden werden, um die zahlreichen Unterzeichner nicht zu verprellen.

Vor den Kulissen jedoch lief die Debatte zu Ungunsten der Jamaika-Befürworter. Die grüne Jugend hatte vor dem Parteitag Erneuerung gefordert, jetzt sorgten ihre Mitglieder für Lebhaftigkeit: "Dieser Antrag ist die grüne Version von 'Opposition ist Mist'", sagte der Grüne-Jugend-Sprecher Max Löffler. Parteiratsmitglied Arvid Bell kritisierte: "Die Bänke in den Landtagen sind hart, aber an die Macht um jeden Preis, das kann auch nicht sein. Ich habe ein grünes Herz, aber das schlägt eben links."

Die Basis hatte gesprochen, Ratzmann erklärte: "Wir wollten kein Misstrauen gegenüber dem Bundesvorstand ausdrücken." Eine einzige Passage des mehrseitigen Antrags wurde in den Leitantrag der Parteispitze übernommen.

Deutlich mehr Erfolg hatte eine Initiative unter der Führung des hessischen Grünen-Chefs Tarek Al-Wazir. Seine "18 Thesen zur künftigen Rolle von Bündnis 90/Die Grünen im Fünf-Parteien-System" waren von einer illustren Schar von Grünen-Politikern jeder Couleur unterschrieben worden. Die Antragskommission übernahm zahlreiche Aspekte des flügelübergreifenden Werks.

Der Leitantrag des Bundesvorstands wuchs damit auf zwölf DIN-A4-Seiten an. Die Eigenständigkeit der Grünen wird darin betont, zu künftigen Jamaika-Koalitionen im Bund heißt es: "Wir wissen noch nicht, welche realistischen Alternativen es im Jahr 2013 zu Schwarz-Gelb geben wird."

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