Botanik:Das Bibel-Grün

König Herodes soll mit Balsam-Pflanzen den Bau seiner Paläste finanziert haben. Dann verschwanden die kostbaren Gewächse. Jetzt will ein israelischer Züchter sie wiederbeleben.

Von Agnes Fazekas

Wer über die Nr. 1 von Jerusalem zum Toten Meer fährt, der kommt an einer Kreuzung vorbei, links geht es in die palästinensische Stadt Jericho, rechts in den israelischen Kibbuz Almog. Hier gibt es eine Tankstelle, auf deren Parkplatz ein Kamel auf Touristen wartet. Einen Steinwurf weiter sitzt ein Mann, Cowboy-Kaffee in der Hand und blickt durch seine mit Silberdraht geflickte Brille über das Tal mit dem oasenhaft umwucherten Kibbuz. "Ja, wir sind hier im Westjordanland, eigentlich ist das eine Siedlung", sagt Guy Erlich. Und illegal nach internationalem Recht. "Ich finde nicht, dass ich mich rechtfertigen muss", sagt der 46-Jährige und macht es dann doch: "Wir sitzen den Palästinensern hier ja nicht im Nacken wie anderswo."

Einige Historiker vermuten, dass die Heiligen Drei Könige Afarsemon zur Krippe brachten

Hinter ihm warten in ordentlichen Reihen ein paar Tausend Gewächse, mit schlanken Zweigen, an denen kleeförmig angeordnete Blättchen und rötliche Früchte sitzen. Hüfthoch sind die Stauden, umgeben von weißen Krusten. Das ist das Salz im Boden, das Erlich mit Bewässerungsschläuchen von den Wurzeln wegspült, damit es sie nicht frisst. "Jungfräulich", sei es hier gewesen, nie bewirtschaftet, auch nicht von Palästinensern.

Doch anders als ihr Hüter mit der hellen Haut und dem schweren Körper scheinen sich die Pflanzen in der Hitze heimisch zu fühlen. Israelis sind bekannt dafür, dass sie in der Wüste zum Blühen zu bringen, was dort nie gewachsen ist. Und so hat es sich Erlich in den Kopf gesetzt, eine Pflanze wieder anzusiedeln, die tausend Jahre lang als Exportschlager des antiken Judäas galt. Und dann plötzlich verschwand.

Angeblich war sie als Geschenk der Königin von Saba an König Salomon nach Palästina gekommen. Mit ihrem Öl wurden jüdische Könige gesalbt, der Rauch ihres Harzes soll durch Jerusalems Zweiten Tempel gezogen sein. König Herodes soll mit ihrem Handel den Bau seiner Paläste finanziert, Kleopatra mit ihrem Duft Machthaber betört haben. In Alten Testament hieß sie Afarsemon, ihr Saft nach dem biblischen Land: "Balsam von Gilead". So wertvoll muss Balsam einst gewesen sein, dass einige Historiker vermuten, die drei Weisen aus dem Morgenland hätten der Jesus-Familie schlicht ihre wirksamsten Heilmittel zur Krippe gebracht hätten: Weihrauch, Myrrhe - und Afarsemon. Balsam galt als eine Art Allheilmittel gegen Bluthochdruck, Entzündungen, Kopfschmerz und epileptische Anfälle. "Katarakt, Skorpion-Biss, Rückenweh", zählt Erlich auf: "Wenn nur fünf Prozent davon wahr sind!"

Der Geschichtsschreiber Flavius Josephus hielt das Harz des Balsam-Strauchs für das wertvollste der lokalen Erzeugnisse, berichtete von zwei Gärten, in Jericho und im nahen En Gedi. Hier seien die Balsamsträucher gehegt worden - und beinahe vernichtet, als die Römer einmarschierten. Die Juden wollten ihnen die Plantagen nicht überlassen.

Kleopatra warf ein Auge auf die lukrativen Gärten. Nach der Ermordung von Julius Caesar bezirzte sie seinen Nachfolger Mark Antonius und ließ sich die Plantagen schenken, gegen den Willen von Herodes, der damals die Kosmetikindustrie beherrschte. Immerhin überzeugte er Kleopatra, ihm die Produktion zu verpachten. Die Überrest seiner Parfümfabriken entdeckten Archäologen in den Sechzigern.

Vielleicht lag es am Klimawandel, dass die Pflanze am Toten Meer ausstarb, vielleicht am Zerfall des römischen Reichs - und daran, dass die jüdische Parfümgilde ihr Wissen über den Balsam in die Diaspora mitnahm. Und dort vergaß.

Die meisten Forscher glauben heute, dass es sich beim antiken Balsam um die Art Commiphora gileadensis handelte. Alle Versuche, sie in Israel dauerhaft zu akklimatisieren, misslangen jedoch. Guy Erlich macht nun einen neuen Versuch. Gut 1500 Jahre nach dem Balsam-Hype spaziert er zwischen seinen Gewächsen hindurch, bückt sich, um mit seinen Fingernägeln die Rinde anzuritzen, und an diesem Saft zu schnüffeln, dessen Geruch sich so schnell verflüchtigt. "Eukalyptus", murmelt er dann, "Minze, hm ... Zitrone." All seinen Besitz hat er in die Wiedererweckung des Dufts gesteckt, 5000 Setzlinge mit einem Kredit der Bank erworben und mit ehrenamtlichen Helfern gepflanzt, 5000 weitere stecken noch in Töpfen.

Erlich ist keiner dieser Siedler, die mit der Bibel als Grundbuch wedeln. "Wenn es eines Tages zwei Staaten geben wird, bin ich der letzte, der sich dagegen stellt." Bevor er mit Frau Efrat und den drei Kindern ins Westjordanland zog, kämpfte Erlich in Jerusalems Gemeinderat dafür, dass die Geschäfte am Sabbat offenbleiben, legte sich mit den Orthodoxen an, schrieb als Journalist für eine linke Tageszeitung. "Ich sah mich selbst definitiv als Linken", sagt Erlich: "Aber die Realität ist kompliziert." Die Realität, das war ein Job, der zu wenig Geld einbrachte, hohe Mieten in Jerusalem, wo damals die kranke Mutter zu pflegen war, nur 20 Auto-Minuten von Almog - und nicht zuletzt die Schönheit der Wüste.

"Ich verstehe jetzt, wieso wir hier Krieg ums Wasser führen."

Guy Erlich hörte zum ersten Mal auf einem Vortrag im Ein Feksha Naturreservat von der Pflanze. Alles machte plötzlich Sinn: die vergessene Heilpflanze und sein Umzug ans Tote Meer. Mit derselben Leidenschaft, mit der er zuvor dagegen stritt, dass Israel zum Gottesstaat wird, suchte er nun nach der wahren Balsam-Pflanze aus dem Talmud. Ihm kam zu Hilfe, dass genau zu der Zeit ein deutscher Forscher Samen aus Saudi-Arabien über London nach Jerusalem geschmuggelt hatte. Nachdem es dem Sprössling dort zu kühl war, landete die eine Hälfte der Setzlinge im Botanischen Garten von En Gedi, die anderen bei Elaine Solowey, einer Botanikerin, der es gelungen war, einen 2000 Jahre alten Dattelkern zu reanimieren. Erlich, der Nahost-Wissenschaften studiert hat, und bis dahin jede Zimmerpflanze eingehen ließ, bekam von Solowey seinen ersten Setzling und Nachhilfe in Botanik.

Nicht nur der salzige Boden machte ihm zu schaffen. Zwar konnte er einen Hühnerstall als Treibhaus anmieten und schaffte es, der Siedlerbewegung 20 Hektar Land abzuschwatzen. Aber bei der Bewässerung stellten sich die Nachbarn quer. Ein Jahr lang bestellte Erlich Tank um Tank aus dem palästinensischen Jericho, bis er eine Sonderlizenz bekam. "Ich verstehe jetzt, wieso wir hier Krieg ums Wasser führen", sagt er.

Nach drei Jahren hatte er gelernt,mit den Nachbarn, dem Bewässerungscomputer und dem jüdischen Gesetz der Schmitta umzugehen - dem zufolge Land alle sieben Jahre brach liegen muss. Dennoch sah er, wie weit der Weg zu seinem Traum noch ist: Dass nicht nur gezüchtet, sondern vor allem geforscht werden muss, bis aus der Pflanze ein gutes Heilmittel wird. Vor allem aber hatte er gelernt, dass dieses Land ein Politikum bleibt.

Eine US-Firma, die seine Vision teilte, kündigte ihm plötzlich die Unterstützung. "Offenbar hat die BDS-Bewegung Druck gemacht", sagt Erlich. So nennt sich die Boykott-Kampagne, die Israel wirtschaftlich isolieren möchte, um die Besatzung zu beenden. Seitdem ist er eigentlich pleite. Und er musste einen guten Freund entlassen; einen Beduinen, der ihm auf der Plantage half und ihm Arabisch beibrachte.

"Früher habe ich selbst alles schwarz-weiß gesehen", sagt Erlich. Aber heute falle ihm die Kategorisierung in links und rechts, gut und böse, schwer. "Ich kenne Siedler, die bessere Beziehungen zu Palästinensern führen als die sogenannten Linken in Tel Aviv." Er selbst fahre gern rüber nach Jericho, trotz des großen roten Verbotsschilds der israelischen Regierung. "Es ist momentan nicht gerade en vogue über Kooperationen zwischen Israels und Palästinensern zu sprechen", sagt Erlich: "Aber diese Pflanzen sind doch ein gutes Thema, um Grenzen niederzureißen." Immerhin seien sie auch den Muslimen einmal heilig und teuer gewesen.

Auch in botanischer Hinsicht ist Erlich tolerant, hat seinen Garten zu einem Asyl für Überlebenskünstler ausgeweitet. "Sein Team", nennt er die Pflanzen. Auf die Balsam-Kandidaten, zwei weitere sind es neben der Gileadensis, folgten Bibelpflanzen, dann Wüstengewächse aus aller Welt. " Allein 30 Arten Myrrhe, dornig und lederblättrig, dazu "sein zweites Baby" Boswellia sacra. Arabischer Weihrauch, der bis heute in islamischen Ritualen verwendet wird. Gerade blühen seine zartgelben Blütensterne. In Somalia, Jemen oder dem Oman wächst er nur wild und gilt beinahe als ausgerottet.

Die letzte Ernte, 107 Kilogramm gehackter Balsam, geschrumpft zu 250 Milliliter ätherischem Öl

Dass Erlich der seltenen Art Platz gab, führte vor vier Jahren zum Besuch eines somalischen Botschafters. Gemeinsam wollten sie ein Projekt zur Rettung des Weihrauchs aufbauen. Groß war der Schock, als der Somali 2015 bei einem Terroranschlag in Mogadischu ums Leben kam.

Neben dem muslimischen Botschafter klopfte das jüdische Tempel-Institut an, jene Gesellschaft, deren Mission es ist, in Jerusalem den dritten Tempel zu errichten - dort, wo heute der Felsendom steht. "Vor ein paar Jahren wäre ich denen nicht zu nah gekommen", sagt Erlich. Letztens habe er ihnen angeboten, sie mit Räucherware zu versorgen, sollte der dritte Tempel tatsächlich vom Himmel fallen.

Es sei schon ziemlich verrückt, sagt Erlich, da habe er endlich mal ans wirtschaftliche Wohl seiner Familie denken wollen, und jetzt sorge er stattdessen für eine Pflanzengattung, für die sich nur die schrägsten Leute interessieren. "Ich rechne es meiner Frau hoch an, dass sie mich noch nicht verlassen hat."

So kann er weiter nach Investoren für seine Biotech-Firma "The Living Valley" suchen. Bisher hat Erlich nur ein Parfüm entwickelt, kein Heilmittel. Unten in Almog, in seinem Büro-Container vor dem ehemaligen Hühnerstall, holt er eine Glasflasche mit einer honigfarbener Flüssigkeit hervor. Die letzte Ernte, 107 Kilo gehackter Balsam, reduziert zu 250 Milliliter ätherischem Öl.

Die Verarbeitung sei die Crux. Bei Weihrauch oder Myrrhe lässt man das Harz einfach trocknen, aber der Balsam ist schwer zu konservieren. "Momentan versuche ich es mit Destillation, habe aber Angst, dass die Hitze den Wirkstoff zerstört." Und weil Erlich nicht weiß, ob dieser tatsächlich im Harz mit der Eukalyptus-Note und nicht in den zitronigen Beeren oder den pudrig riechenden Blättern steckt, schmeißt er alles zusammen.

Das Parfüm, das er auf den Arm streicht, erinnert an den Geruch von Hustensaft und Babypuder. Er grinst unsicher: "Ich muss zugeben, es ist vielleicht nicht der beste Duft der Welt." Den alten Römern sei es wohl vor allem darum gegangen, miese Gerüche zu übertünchen.

Doch so wie es Erlich im Gefühl hat, dass es Frieden geben wird, irgendwann, in diesem verrückten Land, so ist er sich sicher, dass er nur warten muss, hier oben über der Straße nach Jerusalem. Bis die Welt entdeckt, was in seinem biblischen Team wirklich drin steckt.

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