Filmkritik:Gefühlte Grenze

TANNBACH - Schicksal eines Dorfes (5)

Erst verlief durch Tannbach nur ein Zaun aus Draht. Jetzt sieht Georg von Striesow (Heiner Lauterbach) dabei zu, wie daraus eine Mauer wird.

(Foto: ZDF/Julie Vrabelova)

"Tannbach" hob 2015 an, die deutsche Nachkriegszeit anhand eines einzelnen Dorfes zu erzählen. Jetzt hat das ZDF dem Dreiteiler eine staatstragende Fortsetzung spendiert, die nun die Zeitspanne von 1960 bis 1968 abdeckt.

Von David Denk

Tannbach, 1960: Im West-Teil stirbt ein Junge beim Spielen im Wald an einer verbuddelten Handgranate; dessen Oma kann bei der Beerdigung nur Zaungast sein - durch Stacheldraht: sie lebt im Osten des geteilten Ortes. Bis ihr eigener Mann, von Beruf Grenzschützer, sie wegscheucht. Der Krieg ist vorbei - und wirkt doch noch nach. Die Granate, die man im Dorf für eine Hinterlassenschaft der Wehrmacht hält, entstammt in Wahrheit dem Waffenlager einer Nato-Geheimarmee. "Wir wünschen uns nichts als Frieden", sagt Anna Erler (Henriette Confurius), eine der Hauptfiguren, zu Beginn, "doch wir rüsten wieder auf".

Den ganzen Wahnsinn der deutsch-deutschen Teilung zu erzählen, gespiegelt im "Schicksal eines Dorfes" (Untertitel), das sowohl auf bayerischem als auch auf thüringischem Boden liegt, das Große im Kleinen also - das ist der mindestens ehrgeizige Anspruch von Tannbach, dem ZDF-Dreiteiler von 2015, den der Sender nun von Montag an mit drei weiteren Filmen fortsetzt. ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler spricht davon, dass sich in dem fiktiven Ort "Historie wie im Brennglas abspielt" und nennt Tannbach eine "filmische Metapher für das, was die Spaltung für uns Deutsche bedeutete".

Tannbach will viel, sehr viel - und versucht dieses Ziel getreu der Devise "Viel hilft viel" zu erreichen. Die Produktion sei eine "Sinfonie mit großem Orchester", so Drehbuchautorin Silke Zertz, "eine filmische Erzählung in epischer Breite": "viele Rollen, viele Schauplätze, viele anspruchsvolle Schauspieler mit großen Namen". Und für Produzentin Gabriela Sperl, die das Projekt gemeinsam mit der Firma Wiedemann & Berg umgesetzt hat, liefern die Figuren in Tannbach gar "Identifikation und Orientierung in einer Krise, in der Werte wie Solidarität, Zusammenhalt, ethische Handlungsmaximen und demokratische Grundwerte bedroht sind". Eine Nummer kleiner geht es nicht, leider.

Im Drehbuch stehen viele Sätze, die auch in einer Telenovela nicht unangenehm auffallen würden

Es ist ebendieser unbedingte Wille zum Staatstragenden, der Tannbach zwar vielleicht zu forderndem Fernsehen macht, aber nicht zu mitreißendem. Die Geschichte hat kaum Luft zum Atmen, droht an ihrem historisch-gesellschaftlichen Relevanzanspruch zu ersticken. Und die meisten Figuren bleiben blass, weil sie entweder ihre Weltanschauung auf der Zunge zu tragen haben ("Bei uns weiß man wenigstens, wer Nazi war; bei euch tarnen sie sich als brave Kommunisten") oder aber ihr Herz: "Du bist die erste Frau, die ich zulassen konnte", sagt Heiner Lauterbach in seiner Rolle als Graf Georg von Striesow. Einen Schauspieler seiner Güte zu so einem Satz zu zwingen, ist in etwa so sinnvoll, wie einen Lamborghini auf der Autobahn den Seitenstreifen entlangzuschieben. Kann man machen, wird ihm aber nicht gerecht.

Wenn Tannbach gerade mal nicht politisch ist, wird es also gefühlsduselig. Die Grenze zum Edelkitsch wird mehrfach überschritten; das Drehbuch ist durchzogen von Sätzen, die auch in der ARD-Telenovela Rote Rosen nicht unangenehm auffallen würden ("Ich habe dich belogen, ja, aber ich habe dich auch geliebt").

Erschwerend hinzu kommt, dass man ja alle Zuschauer erst mal auf den gleichen Stand bringen muss, Tannbach-Fans der ersten Stunde genau wie Neulinge, was zu Aussagen führt wie: "Sie sind der Mörder meiner Frau. Glauben Sie im Ernst, ich würde Befehle entgegennehmen von Ihnen?" Nachdem die ersten drei Teile die unmittelbare Nachkriegszeit behandelten, deckt die Fortsetzung nun die Zeitspanne von 1960 bis 1968 ab. Der Kalte Krieg nimmt seinen Lauf, die Spaltung des Dorfes verschärft sich, der Grenzzaun wird zur Mauer, die das Leben der zerrissenen Familien von Tannbach bestimmt. Im Westen brummt die Wirtschaft - und im Osten gärt der Frust.

Liebe, Schuld, Verrat, Hass - an menschlichen Dramen mangelt es auch den neuen Tannbach-Filmen nicht. Im Gegenteil. Die Geschichte ist dermaßen überladen mit Figuren und Konflikten, dass auch der aufmerksamste Zuschauer kaum hinterherkommt (und die Handlung hier bestenfalls anzureißen ist). Nicht umsonst hält das Online-Angebot zur Ausstrahlung etwa einen Stammbaum der Dorfbewohner bereit sowie kurze Filme zur Motivlage der Hauptfiguren: "Was bewegt die Bewohner Tannbachs?" Dieser freundliche Service wäre freilich nicht nötig gewesen, wenn man sich dazu durchgerungen hätte, die Geschichte stärker zu fokussieren und dem Zuschauer so eine größere Identifikation mit einzelnen Figuren zu ermöglichen. Aber "Schicksal eines Dorfes" klingt einfach griffiger, melodramatischer als "Schicksale einiger Dorfbewohner".

Tannbach ist ohne Zweifel angelegt als Leistungsschau öffentlich-rechtlichen Fernsehschaffens: die erwähnten großen Namen (Lauterbach, Martina Gedeck, Clemens Schick, Anna Loos und andere) in einer aufwendig ausgestatteten, größtenteils in Tschechien entstandenen Historien-Produktion. Umso mehr verblüfft, ja verwundert es, wie wenig der viel zitierte internationale Boom des seriellen Erzählens auf die neue Staffel abgefärbt hat, wie konservativ das Ergebnis daherkommt, nicht nur was die Darreichung in Form von drei Teilen in Spielfilmlänge angeht. Tannbach ist Fernsehen für Bestandskunden, solide, aber wenig aufregend. Weder visuell (Kamera: Ian Blumers) noch bei der Inszenierung (Regie: Alexander Dierbach) gibt es Überraschungen. Sollte es aber nicht der Ehrgeiz von "TV-Events" sein, nicht nur so zu heißen, sondern zum wirklichen Ereignis zu werden?

Regisseur Alexander Dierbach möchte die Filmreihe bis in die Wendezeit fortschreiben

In den besseren Momenten macht Tannbach die soziale Enge des damaligen Dorflebens auf beiden Seiten in Alltagssituationen greifbar: Wenn im Osten etwa Anna Erler ihre vorlaute kleine Tochter einbremsen muss, damit diese nicht mit einem unbedachten Wort in ihrer Pioniergruppe die ganze Familie in Gefahr bringt; oder wenn Graf von Striesows emanzipierte zweite Frau Rosemarie Czerni (Anna Loos) daran scheitert, ohne Erlaubnis ihres Mannes ein eigenes Bankkonto zu eröffnen.

Diese ganz individuellen Auswirkungen politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse sind in Tannbach hautnah erlebbar, die bislang sechs Teile (die Regisseur Dierbach noch bis in die Wendezeit fortschreiben möchte) empfehlen sich also auch als Ergänzung zu Schulbüchern für den Geschichtsunterricht. Das von ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler im Presseheft formulierte Ziel, mit der Produktion besonders auch jene Generation zu erreichen, die "den Alltag der Teilung nicht mehr erlebt" hat, erscheint trotzdem ganz schön ehrgeizig.

Tannbach - Schicksal eines Dorfes, ZDF, 20.15 Uhr. Teil fünf und sechs am Mittwoch und Donnerstag zur selben Zeit.

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