Europa:Der Preis der Solidarität

Europa: Dass die EU nicht sein Ding ist, zeigt dieser Brite mit seiner Tasche.

Dass die EU nicht sein Ding ist, zeigt dieser Brite mit seiner Tasche.

(Foto: Oli Scarff/AFP)
  • Durch das Ausscheiden der Briten aus der EU werden der Gemeinschaft wohl 10 bis 13 Milliarden Euro pro Jahr im Haushalt fehlen.
  • EU-Kommissionspräsident Juncker und Haushaltskommissar Oettinger haben die Debatte eröffnet, wie das Loch gestopft werden soll.
  • Deutschland könnte nach ersten Planungen etwa sechs Milliarden mehr nach Brüssel überweisen müssen.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Brüssel

Niemand weiß, wie teuer der Brexit wird, doch eines steht schon jetzt fest: Mit dem Austritt Großbritanniens verliert die Europäische Union einen ihren größten Geldgeber. Bis Ende 2020 wollen die Briten ihre Beiträge zwar weiter in den EU-Haushalt überweisen, doch danach klafft ein riesiges Loch. 10 bis 13 Milliarden Euro fehlen dann pro Jahr, weil London als EU-Mitglied mehr einzahlt als es herausbekommt. Das allein ist schon ein schwerer Schlag für die europäische Umverteilungsmaschine. Hinzu kommt: Die Staats- und Regierungschefs sind entschlossen, deutlich mehr in den Schutz der Außengrenzen, die Terrorabwehr und die Verteidigung zu investieren. Doch woher soll das Geld kommen, wenn es nach dem Brexit ohnehin weniger zu verteilen gibt?

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Haushaltskommissar Günther Oettinger gaben bei einer Brüsseler Konferenz am Montag den Startschuss für jene Debatte, die dieses Jahr prägen wird. Dabei geht es nicht allein ums Geld. "Der Haushalt ist Spiegel unserer Ambitionen", sagte Juncker. Und diese müssten finanziert werden. Einfach wird das nicht, denn der Streit über den nächsten siebenjährigen Finanzrahmen ab 2021 offenbart sämtliche Konflikte, die Europa zurzeit umtreiben. Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie steht es um die gegenseitige Solidarität?

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel jedenfalls forderte eine "solidarische und ehrgeizige Europapolitik der Horizonte statt der Verzagtheit und roten Linien, die wir angeblich nicht überschreiten dürfen". Allerdings sei die EU kein Selbstzweck, sondern müsse sich den größer gewordenen Herausforderungen stellen. Und es müsse Einigkeit geben über Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - ein klarer Wink etwa in Richtung Polen, gegen das die EU-Kommission aus Sorge um den Rechtsstaat ein beispielloses Verfahren anstrengt, und das zu den großen Nutznießern des EU-Haushalts gehört.

Dieser Haushalt wird sich in jedem Fall stärker verändern als jemals zuvor. Ende Februar wollen die Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfeltreffen erstmals darüber reden. Oettinger sondiert bereits in den Hauptstädten - besonders in jenen der Nettozahler. Geht es nach ihm, soll die Brexit-Lücke zur Hälfte durch Einsparungen, zur anderen Hälfte durch frisches Geld der EU-Staaten geschlossen werden. Die neuen Ausgaben für gemeinsame Projekte beziffert Oettinger auf etwa zehn Milliarden Euro. 20 Prozent davon sollen durch Kürzungen im Haushalt kommen; der Rest wiederum von den Mitgliedsstaaten. Fest steht: Für die Nettozahler wird es teuer. Oettinger will den Haushaltsbeitrag von derzeit einem Prozent der Wirtschaftsleistung auf "1,1X" Prozent erhöhen. Soll der EU-Haushalt bei etwa 160 Milliarden Euro bleiben, müsste Deutschland etwa sechs Milliarden Euro mehr zahlen.

Ausgaben für Erasmus sollen erhöht werden

Damit die Bürger dazu bereit sind, ist Oettinger darauf bedacht, nur noch Projekte zu fördern, die, wie er sagt, "europäischen Mehrwert" schaffen. Die Ausgaben für Forschung und das Austauschprogramm Erasmus will der Kommissar erhöhen; Agrar- und Strukturförder-Fonds will er kürzen. Im Mai will Oettinger seine konkreten Vorschläge vorstellen. Der Finanzrahmen soll dann noch vor den Europawahlen im Jahr 2019 verabschiedet werden.

Mit am härtesten dürfte es die Strukturförderung treffen. Sie macht etwa 30 Prozent des Budgets aus und soll dafür sorgen, dass sich die Lebensverhältnisse in der EU annähern. Bedürftige Regionen bekommen von den wohlhabenderen Geld. Aus Sicht der Nettozahler bedarf dieser Mechanismus einiger Korrekturen. So wollen Deutschland, Frankreich, Schweden, Österreich und die Niederlande die Transfers nach Osteuropa reduzieren. Rein ökonomisch betrachtet ist das nachvollziehbar. Den dortigen Ländern geht es wirtschaftlich weitaus besser als in der Zeit der Verhandlungen des letzten Finanzrahmens.

Es gibt aber noch ein politisches Argument: Unvergessen ist in Berlin und anderswo, wer bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise Solidarität verweigert hat. Ungarn und Polen werden bei den Haushaltsverhandlungen wohl die Rechnung dafür präsentiert bekommen. Ein möglicher Weg ginge über den Eigenanteil, den ein Staat oder eine Region bei geförderten Projekten aufbringen muss. Derzeit liegt dieser oft nur bei zehn Prozent. Oettinger hält einen Anteil von einem Drittel für angemessen. Das würde einerseits das Budget entlasten und auf der anderen Seite sicherstellen, dass Staaten nur Projekte vorschlagen, die sie selbst für sinnvoll halten. EU-finanzierte Straßen, auf denen so gut wie niemand fährt, soll es nicht mehr geben.

Berlin pocht außerdem darauf, dass die wirtschaftspolitischen Empfehlungen der EU-Kommission zur Grundlage für Strukturförderung werden. Staaten, die sich bei Reformen anstrengen, sollen auch mehr Geld bekommen. Ob "europäischer Mehrwert" auch bedeutet, dass künftig weiter Fahrradwege in Bayern oder Gemeinschaftshäuser im Schwarzwald von der EU finanziert werden sollen, dürfte die Debatte auf regionaler Ebene befeuern.

Er sehe, betonte SPD-Politiker Gabriel, Deutschland weniger als Netto-Zahler der EU denn als "Netto-Gewinner". Gabriel versprach zwar nicht ausdrücklich mehr Geld, aber doch, dass Europa bei den deutschen Koalitionsverhandlungen im Mittelpunkt stehen werde. Er selbst wolle seinen Beitrag leisten, "dass Deutschland ein konstruktiver Partner ist auf dem Weg, den Günther Oettinger beschrieben hat". Wenn Deutschland voran gehe, werde das anderen Mut machen, zu folgen.

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