Animationsfilm:Liebe gegen die Zeit

Your Name

Ein Meteorit rast auf Japan zu und droht die zauberhafte Verbindung zwischen Mitsuha und Taki zu zerstören.

(Foto: Universum)

Der japanische Animationsfilm "Your Name" erzählt eine außergewöhnliche Liebesgeschichte: Zwei junge Menschen lieben sich so sehr, dass sie ihre Körper tauschen. Doch die Realität kommt ihnen dazwischen.

Von Philipp Stadelmaier

Seit einiger Zeit erwacht Mitsuha morgens mit einem seltsamen Gefühl. Sie hat geträumt und ihr ist, als hätte sie etwas Wertvolles verloren. Aber dann vergeht langsam die Erinnerung an den Traum, und die Realität kehrt zurück.

Die Realität, das ist ein Leben in Itomori, einer Kleinstadt im ländlichen Japan. Ihre Freunde meinen, dass sie sich in letzter Zeit komisch verhalten habe, als sei sie nicht sie selbst, aber vielleicht liegt das auch nur an dem Ort, den Mitsuha leidenschaftlich hasst. Itomori ist klein, die Leute ziehen weg, nur alle zwei Stunden hält ein Zug. Es gibt nicht mal ein einfaches Café, wo man ein Stück Kuchen essen kann. Abgesehen davon hat Mitsuha unter ihrem strengen Vater zu leiden. Ein Mädchen vom Lande zu sein, viel schlimmer kann man es kaum treffen, findet sie. Und sie formuliert einen Wunsch: In ihrem nächsten Leben will sie ein gut aussehender Junge aus Tokio sein.

In dem Animationsfilm "Your Name" von Makoto Shinkai scheint dieser Wunsch von einer Sekunde auf die andere dann auch tatsächlich in Erfüllung zu gehen. Mitsuha erwacht im Körper eines Jungen, der in Tokio zur Schule geht und Taki heißt. Sie muss sich in seinem Leben zurechtfinden, muss ihr Verhalten einem fremden Körper, einem fremden Geschlecht, einer fremden Stadt anpassen. Takis Freunde sind irritiert, als Mitsuha in Takis Körper in einem Café entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten Unmengen an Pfannkuchen bestellt.

Aber Mitsuha ist nicht etwa in ihrem nächsten Leben unterwegs. Taki und sie tauschen seit einiger Zeit die Körper, wenn sie schlafen. Nachts, wenn sie träumen, wachen sie im realen Körper des anderen auf und leben einen Tag lang sein reales Leben, um schließlich wieder als sie selbst aufzuwachen, während die Erinnerung an die andere Existenz verblasst wie ein Traumbild.

Das klingt natürlich reichlich verrückt und nach einer Coming-of-Age-Komödie, in der zwei Teenies auf Körperentdeckung vorübergehend im anderen Geschlecht feststecken. Wenn der Junge im Körper des Mädchens aufwacht, gibt ihm das natürlich Anlass, ihre Brüste zu kneten, während sie der unerwartete Besitz eines Penis in ähnliche Aufregung versetzt.

Mitsuha und Taki beginnen zu realisieren, was mit ihnen geschieht und etablieren Regeln für die Zeiten, in denen sie sich im Körper des anderen aufhalten: Sprich wie ein Junge, fass meinen Körper nicht an! Schließlich beginnen sie sich zu unterstützen. Wenn Taki in Mitsuhas Körper ist, hilft er ihr, etwas verwegener zu sein; wenn Mitsuha in Takis Körper ist, versucht sie, ihn mit der Frau zu verkuppeln, für die er schwärmt.

Mitsuha und Taki sind so sehr miteinander verbunden, dass sie sich sogar die Körper teilen

Aber schnell wird klar, dass der Körpertausch nicht nur eine komische Seite hat, sondern die Basis für eine komplexe Erzählarchitektur ist, deren Dimensionen man erst nach und nach entdeckt. Die Geschichte steuert schnell auf ein traumatisches Ereignis zu. Ein Meteorit hat allerhand Zerstörung und tragische Verwicklungen zur Folge, die Mitsuha und Taki wieder auseinandertreiben, den Draht zwischen ihnen unterbrechen. Es scheint, als hätten die beiden in ihren Träumen doch keine Ausflüge in die Realität unternommen, sondern als wären die Träume eben nichts als Träume gewesen, womit sie nun drohen, ins endgütige Vergessen zurückzufallen. Aus dem müssen sie dann im zweiten Teil des Films erneut befreit werden.

Das ist natürlich eine hochromantische Liebesgeschichte. Mitsuha und Taki sind so sehr miteinander verbunden, dass sie sich sogar die Körper teilen. Die beiden jungen Menschen wollen nichts von ihrem eigenen Leben, weil sie längst das Leben eines anderen haben. Und diese innige Verbindung wird schließlich vom gegenseitigen Vergessen bedroht, der brutalsten Waffe, mit der man der Wahrheit zu Leibe rücken kann. Sie lieben sich, aber vielleicht können sie sich nicht mal aneinander erinnern, wenn sie sich treffen sollten. Um diese Liebe zu retten, muss also die Erinnerung an sie gerettet werden.

Daher handelt der Film im Kern von der Arbeit der Zeit selbst. Diese entspricht hier auch der Webkunst, die Mitsuhas Großmutter betreibt, mit der sie alte Traditionen überliefert und vor dem Vergessen beschütz. Das Auftrennen und Neuverknüpfen von Fäden zu einem Teppich ist eine schöne Metapher für das immer wieder reißende Band, das Mitsuha und Taki verbindet; und für die Animationsfilmkunst, für die Entstehung von Bewegung und Zeit durch das Verknüpfen einzelner Bilder. Aus deutscher Perspektive ist vor allem faszinierend, dass "Your Name" eine komplexe Reflexion über die Zeit und das Vergessen ist und gleichzeitig ein Blockbuster, einer der erfolgreichsten Filme in Japan und in Asien, mit einem Einspielergebnis von mehr als 350 Millionen Dollar. Hierzulande läuft "Your Name" als Nischenprodukt. Das Werk erinnert aber daran, dass "komplex" und "erfolgreich" sich nicht ausschließen. Es gibt genug Filme zum Vergessen - aber dieser Film, der vom Vergessen handelt, prägt sich tief ein.

Your Name, Japan 2016. - Regie, Buch, Kamera: Makoto Shinkai. Musik: Radwimps. Universum Film, 107 Minuten.

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