Polen und EU:Dialogbereitschaft, aber kein Sinneswandel

Polen und EU: Der Eindruck von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker scheint zu sein: Mit Polens neuem Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki kann man reden.

Der Eindruck von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker scheint zu sein: Mit Polens neuem Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki kann man reden.

(Foto: John Thys/AFP)
  • Die EU-Kommission sieht den Rechtsstaat in Polen durch diverse Gesetzesänderungen systematisch bedroht.
  • Die Unterredung in Brüssel zwischen Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit dem neuen polnischen Regierungschef Morawiecki verlief ungewohnt "freundlich".
  • Von einer Annäherung ist man aber weiterhin entfernt.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Es ist nicht so, dass zwischen der Europäischen Kommission und der polnischen Regierung gar keine Verständigung möglich wäre. Nach einem Abendessen im Brüsseler Berlaymont-Gebäude haben sich beide Seiten immerhin auf sieben Sätze einer Erklärung geeinigt, die in die Beteuerung mündet, das Dinner habe in "freundlicher Atmosphäre" stattgefunden. Bei einer Zusammenkunft, der die EU-Kommission vorsichtshalber die Feststellung vorausgeschickt hatte, man befinde sich nicht im Krieg, ist das deutlich mehr als nichts. Seit Beginn der Rechtsstaats-Krise gebe es erstmals so etwas wie einen "wirklichen Dialog", war nach dem dreistündigen Essen zu hören. Der Eindruck von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Vizepräsident Frans Timmermans scheint zu sein: Mit Polens neuem Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki kann man reden.

Das ist neu, denn mit Morawieckis Vorgängerin Beata Szydło schien genau das weder möglich noch zielführend zu sein. In Brüssel war sie zumeist beleidigt und zuweilen beleidigend aufgetreten. Morawiecki wirkt nicht nur sympathischer, sein Ton ist auch konzilianter. Aber hat sich in der Sache etwas verändert? Abermals verteidigte Morawiecki die Veränderungen im polnischen Justizsystem. "Unsere Absicht ist es, das System zu verbessern, gerechter und objektiver zu machen", sagte er. Die EU-Kommission ist hingegen überzeugt, dass diverse Gesetzesänderungen den Rechtsstaat in Polen systematisch bedrohen, und hat deshalb im Dezember in einem beispiellosen Schritt einen Prozess nach Artikel 7 des EU-Vertrages angestoßen. Der polnischen Regierung gab sie drei Monate Zeit, die Sorgen zu zerstreuen.

Ende Februar soll es nun ein erneutes Treffen und bis dahin "Fortschritte" geben. Das ist das einzige greifbare Ergebnis des Abendessens, wobei vorerst unklar bleibt, worin solche Fortschritte bestehen könnten. Die EU-Kommission hat zu ihrem äußersten Mittel wegen zweier Gesetze gegriffen, welche die Unabhängigkeit des Obersten Gerichts aushöhlen und die Richterbestellung unter die Kontrolle der Parlamentsmehrheit bringen. An beiden Gesetzen hält die national-konservative polnische Regierung auch unter Morawiecki fest. Ohnehin hat sich an einer Besonderheit der polnischen Politik auch nach der Kabinettsumbildung in Warschau wenig geändert: Die eigentliche Macht hält der Vorsitzende der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jarosław Kaczyński, in Händen. Gegen seinen Willen wird es kein Einlenken geben.

"Der Streit geht nicht darum, wie Europa sein soll, sondern ob Polen Teil davon sein soll"

Auf einen Sinneswandel Kaczyńskis aber sollte nach Ansicht des wohl besten Polen-Kenners in Brüssel niemand hoffen. Just am Mittwoch erschien in der traditionsreichen katholischen Wochenzeitschrift Tygodnik Powszechny ein Interview mit EU-Ratspräsident Donald Tusk: Der frühere liberal-konservative polnische Ministerpräsident ging darin so scharf wie nie mit Kaczyński und den derzeit Regierenden ins Gericht. "Jarosław Kaczyński hat seine Faszination für eine Philosophie, in der die Macht über dem Recht steht und nicht das Recht über der Macht, nie verheimlicht", sagte Tusk bei einem Redaktionsbesuch in Krakau. Das Mandat der Wähler sei Kaczyński wichtiger als die Verfassungsordnung. Die Geschichte Europas aber lehre, zu welchen "dramatischen Folgen" das führe. Die EU sei erfunden worden, "um solche dramatische Szenarien zu verhindern".

Um diese EU geht es Kaczyński aus Tusks Sicht ohnehin nicht. "Der Streit geht nicht darum, wie Europa sein soll, sondern ob Polen Teil davon sein soll", warnte er. Polens Regierende seien "vorsichtig gesagt keine Enthusiasten, was unsere Mitgliedschaft in der Union angeht". Sie stellten eine Kosten-Nutzen-Rechnung an, in der nur die Zahlungsbilanz eine Rolle spiele. Die EU-Mitgliedschaft sei für sie nur interessant, solange Polen Netto-Empfänger sei. Sobald sich das ändere, würden sie den "Polexit" betreiben, den Austritt Polens aus der EU.

In Brüssel ist bekannt, dass Tusk und Kaczyński seit vielen Jahren Intimfeinde sind, und auch, dass Tusk womöglich seine Rückkehr aus Brüssel in die polnische Innenpolitik vorbereitet - etwa als Präsidentschaftskandidat. Das ändert aber nichts daran, dass der Ratspräsident ausspricht, was viele denken: Polens Regierende stehen - ähnlich wie auch die ungarischen - im Verdacht, nur am Besten Europas interessiert zu sein: am Geld. Aus etlichen Mitgliedstaaten, auch aus Deutschland, kommt deshalb die Forderung, Zahlungen etwa aus Strukturfonds an die Rechtsstaatlichkeit zu koppeln. Vor den Verhandlungen über den nächsten siebenjährigen Finanzrahmen will die EU-Kommission dieses Thema "intensiv ausleuchten", wie Haushaltskommissar Günther Oettinger am Mittwoch mitteilte. Man sei dabei, das "rechtlich auf Machbarkeit hin zu prüfen", und werde im Mai ein Ergebnis präsentieren. Oettinger warnte allerdings auch gleich: Jede Regelung bedürfe der Zustimmung aller EU-Staaten. Im Europäischen Rat werde das daher "intensiv zu erörtern sein".

Zuvor geht es aber um das Verfahren gegen Polen nach Artikel 7. Es kann nur weitergetrieben werden, wenn vier Fünftel der EU-Staaten dafür stimmen. Morawiecki hat schon angekündigt, demnächst nicht nur mit der Kommission sprechen zu wollen, sondern auch mit allen Mitgliedstaaten.

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