Ende der Sondierungen:Wilde Rettung, kleiner Wurf

Abschluss der Sondierungen von Union und SPD

Die Ergebnisse nach dem Sondierungsmarathon von Union und SPD sind von Mittelmäßigkeit geprägt.

(Foto: dpa)

Kompromisse sind keine Feigheit, sondern Kern der Demokratie. Doch in der vorläufigen Einigung von Union und SPD sind neue Ideen nicht zu erkennen. Die Angst vor Neuwahlen hat die Angst vor Mittelmäßigkeit überlagert.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Also doch. Gerade noch so ist der erste Schritt getan. Deutschland könnte nach wochenlangem Jamaika-Gezerre und tagelanger GroKo-Anstrengung doch eine neue Regierung bekommen. Fast vier Monate ist diese Frage offen geblieben. Jetzt kann man sagen: Die politische Einsicht in das Überlebensnotwendige ist in den großen demokratischen Parteien noch nicht baden gegangen.

Eine Woche der Verhandlungen - und am Ende haben Union und SPD einen holprigen Weg zur Wiederauflage des Bündnisses gefunden. Noch ist es nicht beschlossen; nur die Möglichkeit dazu ist ausgehandelt worden.

Ob die SPD als Ganzes mitträgt, was ihre Spitze erkämpft hat, wird sich erst nach der Sitzung der Gremien und auf dem Parteitag in gut einer Woche entscheiden. Aber es wenigstens bis hierher geschafft zu haben, ist die richtige Antwort auf alle alten und neuen Rechtspopulisten, die nichts schöner fänden als das Scheitern der demokratischen Parteien.

Mutiger als ein beleidigtes Abwenden

Das Ergebnis ist auf den ersten Blick also von der vernünftigen Einsicht getragen, dass man sich besser einigt, statt weiter den Streit zu suchen. Demokratie ist kein leichtes Geschäft, sondern so gut wie immer eine Suche nach Kompromissen, nach dem Ausgleich der Interessen.

Das klug vorzuleben, ist deshalb kein Zeichen der Schwäche, sondern eine urdemokratische Entscheidung. Es ist kein Beleg für Feigheit, sondern mutiger als ein beleidigtes Abwenden.

Mehr noch: Es ist bitter nötig gewesen nach mehr als hundert Tagen trostloser Regierungssuche; es ist beinahe alternativlos in einer Zeit der wachsenden inneren Spaltung, in der Politik nicht durch eine kraftmeierische Rhetorik des Neinsagens, sondern durch Kompromissfähigkeit auffallen sollte.

Aus diesem Grund wäre es nach dieser Nacht billig, aber nicht angemessen, sogleich die Rechnung aufzumachen, wer vielleicht etwas mehr bekommen und wer mehr preisgegeben hat.

Absolut berechtigt ist dagegen die Frage, ob das angestrebte Bündnis nur mehr vom Alten bringt oder doch mit neuen Ideen aufwartet. Und hier zeigt der erste Blick: Große Begeisterung wäre unangemessen.

Die Einigung ist vielmehr eine große Ansammlung von Mittelwegen. Und das auch dort, wo der Mut für einen neuen Ansatz, einen großen Wurf dringend erforderlich gewesen wäre - zum Beispiel beim langsamen Abschaffen des Glyphosats und beim vorsichtigen Wiederzulassen des Familiennachzugs für Flüchtlingen.

Immerhin: Es gibt nur die große, aber doch halbherzige Initiative, die vielerorts peinlich schlecht ausgestatteten Schulen zu modernisieren. Und das längst überholte Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern soll fallen. Hier zeigen Union und SPD wenigstens an einer Stelle Mut.

Viele Kompromisse, keine Sensationen

Ansonsten dominiert Vorsicht über Aufbruch: Es gibt keinen Beschluss, auf die in das ganze Leben ausstrahlende Digitalisierung mit einer Art Volksbildungsprogramm zu reagieren. Und es gibt nur einen begrenzten Versuch, der wachsenden Spaltung der Gesellschaft in wohl behütete und in prekär abgehängte Regionen durch überraschende und große Initiativen zu begegnen.

Zugegeben, Geld soll in den Wohnungsbau fließen; es soll zusätzliche Anreize für Landärzte und einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs geben. Es soll Verbesserungen bei der Pflege geben und bei der Rente. Aber reicht das aus, um in die frustrierten, verärgerten Milieus überraschend und positiv hineinzuwirken? Eher nicht. Und das ist ein Makel an den Verabredungen der Union mit den Sozialdemokraten.

Kompromisse hat es dagegen viele gegeben, auch bei den meisten "schweren Brocken", wie Merkel und Schulz sie am Donnerstag noch genannt haben. Das gilt bei der Steuer, auch beim Thema Europa. Außerdem hat es Beschlüsse gegeben, die von vornherein klar waren, weil es alle Seiten sowieso wollten. Dazu zählt eine Steuerentlastung für geringe und mittlere Einkommen.

Das ist keine Sensation, aber könnte vielen jungen Familien durchaus das Leben einfacher machen. Und es gilt für ein Einwanderungsgesetz, mit dem Fachkräfte ins Land geholt werden sollen. Auch das wollen mittlerweile alle, weil ihnen die Unternehmen längst Druck gemacht haben.

Diese nächtliche Einigung wirkt zuallererst wie ein Rettungsversuch

Sollte diese große Koalition also doch noch etwas Großes zustande bringen wollen, dann müsste sie etwas schaffen, was ihr zuletzt unmöglich war: sich aus dem Amt heraus mit neuen Ideen eine ganz neue Existenzberechtigung zu verschaffen. Bis dahin wirkt diese nächtliche Einigung zuallererst wie ein Rettungsversuch für Parteien, die Neuwahlen scheuen - und für Parteivorsitzende, die genau wissen, dass ein Scheitern als Kollektiv auch ihre persönliche Zukunft massiv gefährdet.

Fürs Erste haben sich Angela Merkel, Horst Seehofer und wohl auch Martin Schulz noch einmal die Chance erschaffen, die Geschicke des Landes weiter prägen zu können. Auf Dauer ist dieses Ergebnis aber viel zu wenig, um Deutschland und Europa in eine gute Zukunft zu führen.

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