Facebook:So baut Zuckerberg den Facebook-Algorithmus um

  • In einem Facebook-Post hat Gründer Mark Zuckerberg große Änderungen am News Feed des sozialen Netzwerks angekündigt.
  • Facebook will mehr Wert auf "bedeutungsvolle soziale Interaktionen" legen und Beiträge von Freunden, Familienmitgliedern und Gruppen stärken.
  • Medien und Seitenbetreiber könnten verlieren und mit ihren Beiträgen weniger Nutzer erreichen.

Von Jannis Brühl und Marvin Strathmann

Was Menschen sehen, wenn sie Facebook öffnen, dürfte sich drastisch ändern. Konzernchef Mark Zuckerberg hat verkündet, den Algorithmus grundlegend zu überarbeiten, der Beiträge im Newsfeed des Netzwerkes priorisiert. Facebook könnte sich von einer Nachrichtenplattform, die es seit einigen Jahren auch ist, zurückentwickeln zu einer Seite des privaten Austauschs. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ändert sich im Newsfeed?

Facebooks Algorithmus bekommt neue Prioritäten, nach denen er Beiträge im Nachrichten-Feed der Nutzer sichtbar macht. Facebook will Posts von Freunden, Familienmitgliedern oder Gruppen stärker hervorheben. Vor allem sollen Posts gefördert werden, für die der Algorithmus vorhersagt, dass sie viele Kommentare, Shares und Likes provozieren werden.

Zugleich sollen Beiträge von Marken, Unternehmen und Medien weniger wichtig werden. Sie hatten in den vergangenen Jahren immer mehr Raum im Newsfeed eingenommen. Und dieser Raum, erklärt Facebook, sei nun einmal begrenzt. Was im Newsfeed angezeigt wird, erreicht sehr viele Menschen, denn er ist eine der zentralen Anlaufstellen im Netz, in anderen Ländern noch stärker als in Deutschland.

Zuckerberg hat den "passiven" Inhalten den Kampf angesagt, also etwa Videos oder Nachrichtenbeiträge, die Nutzer zwar konsumieren, zu denen sie aber keine Kommentare, Likes oder Shares hinterlassen. In einem Facebook-Eintrag schreibt er, dass er den Schwerpunkt seines Netzwerks verlagert: "Ich gebe unseren Produktteams ein neues Ziel vor: Statt Nutzern zu helfen, relevante Inhalte zu finden, sollen sie ihnen dabei helfen, bedeutungsvolle soziale Interaktionen zu haben."

Das bedeutet, wer keine Beiträge veröffentlicht, die - aus Facebooks Sicht - "bedeutungsvolle" Kontakte provozieren, erreicht die Nutzer schlechter. Es werde wohl Monate dauern, bis der neue Schwerpunkt in allen Teilen des Netwerkes angekommen sei, schreibt der Facebook-Chef. Aber zuerst würden Nutzer es im Newsfeed merken.

Welche Inhalte profitieren?

Die Änderungen würden vor allem Beiträge und Aktionen von Freunden und Familienmitgliedern sichtbarer machen. So könnte eine Diskussion unter einem Urlaubsbild der Tante wichtiger werden als ein vielgesehenes Nachrichtenvideo. Wenn das Video selten kommentiert wird, hat es noch schlechtere Chancen. Die Urlaubsbild-Diskussion würde privilegiert und im Newsfeed weiter oben angezeigt werden. Auch wenn ein Freund in eine öffentliche Gruppe postet oder ein Bekannter ein Video teilt, dürften Nutzer in Zukunft eher davon erfahren. Auch Videos, die auf Facebook live übertragen werden, dürften profitieren. Denn da interagieren Nutzer häufig besonders intensiv.

Facebooks Algorithmus ändert sich ständig, die jetzige Renovierung hatte sich angekündigt. Schon 2016 sollten Beiträge und Aktionen von Freunden und Familienmitgliedern sichtbarer werden. Wie sich die nun neu gesetzten Prioritäten auf die Möglichkeiten von Privatpersonen, Medien und Unternehmen, auswirken, andere zu erreichen, werden erst nach und nach spürbar werden.

Wer verliert?

"Menschen statt Marken" - so verkauft Zuckerberg die Änderung. Er sorge sich um das emotionale Wohlergehen der Facebook-Nutzer, behauptet er, und stellt wieder einmal seinen Slogan von Facebook als "Gemeinschaft" in den Vordergrund. Vor wenigen Wochen hatte Facebook überraschend vor der Nutzung sozialer Medien gewarnt - allerdings nur dann, wenn man ihren Inhalt passiv konsumiere, ohne sich mit anderen auszutauschen. Rückblickend wirkt das wie die vorweggenommene Begründung für die jetzigen Neuerungen. Nun erklärt Facebook: Inhalte, mit denen niemand interagiert, sind tendenziell eher fake oder irrelevant.

Der Umbau ist aber auch eine Machtdemonstration im Zusammenspiel mit den Medien.

Die haben in den vergangenen Jahren immer mehr Inhalte auf Facebook ausgespielt, um Leser auf ihre Webseiten zu ziehen. Facebook belohnte sie dafür lange mit steigenden Reichweiten. Bei einigen Seiten machte die Zahl der Leser, die über Facebook zu ihnen kamen, hohe zweistellige Prozentzahlen aus. Viele richteten ihre Geschäftsmodelle immer stärker auf das soziale Netzwerk aus. Wenn Facebook etwa gerade Videos besonders bevorzugte, investierten die Medien mehr Zeit und Geld in Videos. Blogger und Social-Media-Experte Martin Giesler kommentiert, Zuckerberg mache zwischen den Zeilen die Unternehmen für Facebooks Probleme verantwortlich: dass Nutzer zunehmend passiv Informationen konsumieren statt miteinander zu interagieren.

Der Deutsche Journalisten-Verband kritisiert Facebooks Pläne: "Ich halte die Facebook-Maßnahme für problematisch", sagt Sprecher Hendrik Zörner. "Das eigene Kommunikationsspektrum auf den Gute-Laune-Bär zu reduzieren, geht an der Bedeutung von Facebook und der Kommunikation von Menschen schlechthin vorbei."

Zuckerberg könnte Medien nun auch dazu bringen, mehr für Werbung und gesponserte Posts auf Facebook auszugeben. Das ist vor allem für die Facebook-Seiten interessant, die durch die Änderungen an Reichweite verlieren. Bereits letztes Jahr hat Facebook in einigen Ländern Medienbeiträge testweise aus dem regulären Newsfeed entfernt und sie in den neuen "Explore-Feed" abgeschoben. Dort gibt es nur Beiträge von Facebook-Seiten zu sehen, nicht von Freunden. Manche in der Medienbranche irritierte das: Sollte der neue Feed eine Art Nachrichten-Ghetto werden? Ursprünglich war für Medien ja eben attraktiv an Facebook gewesen, Nutzern Nachrichten in ihren "privaten" Newsfeed auszuspielen, scheinbar gleichberechtigt zwischen Hochzeitsfotos und Hamstervideos. Facebook beteuert, die neuesten Änderungen am Algorithmus hätten nichts mit dem Explore-Feed zu tun.

Was könnte der überarbeitete Algorithmus noch für Konsequenzen haben?

Nicht alle sehen einen blinden Fokus auf private Interaktionen positiv. Skeptiker glauben, dass insbesondere falsche und provozierende Inhalte Menschen dazu bringen, zu interagieren - von erfundenen Horrorgeschichten über Flüchtlinge bis zu Verleumdungen. Wolfgang Blau vom Verlag Condé Nast wies darauf hin, dass extremistische Beiträge und Propaganda, die Nutzer oft liken, teilen und kommentieren (und mit denen sich Zuckerberg so viel schlechte PR eingehandelt hat), oft von Personen kämen und eben nicht von Medien. Dafür habe Facebook offenbar keine Lösung.

Zuckerbergs Ankündigung wirkt auch, als wäre ihm das Nachrichtengeschäft mit seinen politischen Implikationen zu heiß geworden. Seit der letzten US-Präsidentschaftswahl steht das Unternehmen in der Kritik. Es tue nicht genug gegen die virale Verbreitung von Lügen und Beiträgen von Verschwörungsseiten. Damit fördere es gesellschaftliche Polarisierung. Weil auf dem Netzwerk von Russland aus Anzeigenplätze gekauft und darüber Propaganda unter falscher Flagge verbreitet worden war, wurde Facebook im November zusammen mit Twitter und Google vor den US-Kongress zitiert.

Die Frage nach der gesellschaftlichen Polarisierung bleibt: Der bloße Konsum von Beiträgen aus dem Bekanntenkreis könnte die Bandbreite des Informationskonsums von Nutzern einschränken. Werden die berüchtigten "Echokammern" nicht noch enger, weil der Algorithmus ja selbst Medien, denen Nutzer bewusst folgen, schlechter stellt?

Die Auswirkungen auf Nachrichtenseiten, die ihre Strategie zu stark an der großen Plattform ausgerichtet haben, könnten also katastrophal sein. Die Branchen-Webseite Digiday illustrierte einen Artikel zum Thema mit einem Atompilz, in den das Gesicht Mark Zuckerbergs montiert ist.

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