Ungarn:Wahlkampf auf vermintem Feld

Wahlen Ungarn Orbán Fidesz Jobbik

Ungarns Premier Viktor Orbán kämpft mit allen Mitteln gegen die ehemals rechte Jobbik-Partei.

(Foto: REUTERS)
  • In Ungarn wird am 8. April ein neues Parlament gewählt. Das Wahlrecht bevorzugt die Fidesz-Partei von Premier Viktor Orbán.
  • Der versucht trotzdem mit allen Mitteln, die ehemals rechte Jobbik kleinzuhalten.
  • Die Oppositionsparteien wollen gemeinsam eine Wiederwahl Orbáns verhindern.

Von Peter Münch, Budapest

Auf Traditionen hält Gábor Vona eine Menge, er pflegt sie auch in seinem Büro. Im Regal hinter dem Schreibtisch steht ein Bilderrahmen mit drei vergilbten Fotos. "Das sind mein Vater, mein Großvater und mein Urgroßvater", sagt er, "wie Sie sehen, stamme ich aus einer Bauernfamilie vom Land." Daneben hängt eine Karte seines Landes, sie zeigt die ungarische Heimat im Jahr 1920, mit vielen roten Flecken auch außerhalb der damals gezogenen Grenzen. Wo es rot ist, da leben ethnische Ungarn, und seinem Volk fühlt sich Gábor Vona seit jeher verpflichtet.

"Ungarn den Ungarn" haben die Anhänger der von ihm geführten Jobbik-Partei früher gern gegrölt, wenn sie mit ihrer paramilitärischen Garde durch die Straßen marschierten, wenn sie Jagd auf Roma machten, Hetze gegen Juden betrieben oder EU-Fahnen verbrannten. Mit solchen Mitteln sind die Rechtsextremen seit 2010 zur zweitstärksten Partei des Landes aufgestiegen. Doch heute steht Vona in seinem Büro mit den Fotos der Ahnen und der Karte von damals und sagt: "Ich habe dafür schon mehrmals öffentlich um Entschuldigung gebeten und bin gerne bereit, das auch immer wieder zu tun."

Die Rechten sehen sich als Volkspartei

In Ungarn zieht der Wahlkampf auf, in dieser Woche wurde der 8. April als Termin für die Parlamentswahl bekannt gegeben - und Vonas rechtsextreme Jobbik-Partei, die "Bewegung für ein besseres Ungarn", will in neuem Gewand antreten. "Wir betrachten uns als Volkspartei", sagt er. Seine Schlagworte von heute lauten "modern" und "konservativ". Die Kategorien rechts und links seien irrelevant: "Wir müssen herauskommen aus den Schützengräben des 20. Jahrhunderts."

So werden neue Wählerschichten umworben, doch natürlich mag noch längst nicht jeder an die Verwandlung glauben. Zu präsent sind bei vielen noch die alten Umtriebe, zu viele Fragen bleiben offen. Doch die Irrungen und Wirrungen, die der Marsch von Jobbik in Richtung Mitte nun auslöst, können als Lehrstück dafür dienen, in welch vermintem Feld in Ungarn heute Politik betrieben wird.

Das fängt mit einem an, der den neuen Jobbik-Kurs so ernst nimmt, dass er ihn als Bedrohung versteht: Viktor Orbán, der Ministerpräsident. Vor der Wahl fährt er nun schweres Geschütz auf gegen die Konkurrenz. "Er führt keinen politischen Kampf", sagt Gábor Vona, "sondern er versucht, seine Gegner zu vernichten." Damit meint er nicht einmal die Gerüchte, die in den Regierungsmedien immer wieder über eine angebliche Homosexualität Vonas gestreut werden.

Orbán nutzt alle Mittel, um seine Gegner kleinzuhalten

Wirklich existenzbedrohend aber sind die Breitseiten, die vom Rechnungshof abgefeuert werden. Im Dezember verurteilte die von einem Orbán-Vertrauten geleitete Behörde Jobbik wegen Verstößen gegen das Parteifinanzierungsgesetz zu einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet etwa zwei Millionen Euro. Nun wurde eine Frist von 15 Tagen zur Zahlung der ersten Hälfte dieser Summe verkündet.

Hintergrund ist ein Intrigen-Theater, wie es typisch geworden ist für Ungarn unter Orbán. Die Strafe bezieht sich auf Plakatflächen, die Jobbik zum Vorzugspreis überlassen worden sein sollen - und zwar vom Oligarchen Lajos Simicska. Der war ein Schulfreund Orbáns und Jahre lang Finanzier seiner national-konservativen Fidesz-Partei. Im Frühjahr 2015 haben sich die beiden überworfen, es gab ein paar unschöne Wortwechsel, bei denen Simicska den alten Freund als "Wichser" bezeichnete und ihm den "totalen Krieg" androhte. Dann wurde er zum Förderer von Jobbik.

Mit dieser Geldstrafe jedoch steht die Jobbik-Partei pünktlich zum Wahlkampf-Auftakt vor der Pleite. Vona hat nun den Kampf angenommen und verkündet, dass seine Partei die Strafe nicht zahlen werde. "Ich habe die Information aus Fidesz-nahen Kreisen, dass diese Aktion direkt von Viktor Orbán befohlen wurde", sagt er. Nach der Wahl werde es nun darum gehen, ob er oder Orbán ins Gefängnis kämen.

Die vormals Rechten wollen nun über die Zukunft der EU reden

Kämpfen muss Vona allein deshalb, weil es ohnehin kein Zurück mehr gibt - nicht einmal mehr auf die alten Positionen rechts außen. Denn da, wo Jobbik einst Erfolge hatte, steht nun Orbán mit der Fidesz-Partei. Die Feindbilder mögen andere sein: nicht die Roma oder Juden, sondern die Flüchtlinge. Doch das Muster ist das Gleiche und die Parolen ähneln sich. "Dem Gábor Vona von 2010 hätte der heutige Viktor Orbán ziemlich gut gefallen", meint Vona. "Doch jetzt gefällt mir das überhaupt nicht mehr. Ich habe mich gewandelt."

Zum Wandel gehören ein paar Säuberungen in der Partei, Chanukka-Grüße an die jüdische Gemeinde und das öffentliche Streicheln von Hundewelpen. Obendrein habe es auch im Blick auf die EU "sehr große Veränderungen gegeben", versichert er. "Ich will nicht behaupten, dass wir jetzt verliebt sind in die Europäische Union. Aber während wir früher aus den Problemen den Schluss gezogen haben, besser kein Mitglied zu sein, wollen wir heute an den Diskussionen über die Zukunft der EU teilnehmen."

Solche Gesten und Beteuerungen haben immerhin dazu geführt, dass es im zersplitterten Lager der Linken und Liberalen schon Fürsprecher dafür gibt, mit Jobbik gemeinsam gegen Orbán zu kämpfen. Neben dem früheren sozialistischen Premier Péter Medgyessy plädiert dafür auch die 88-jährige Philosophin und Holocaust-Überlebende Ágnes Heller, die früher selbst schon Ziel von Jobbik-Attacken geworden war. Sie ruft dazu auf, sich auch mal "die Nase zuzuhalten", wenn es darum geht, einen Wahlsieg von Orbán zu verhindern.

Die Opposition eint vor allem die Abwahl Orbáns

Denn bei dem seit 2011 auf einen Fidesz-Erfolg zugeschnittenen Wahlrecht gibt es für eine Ablösung des Premiers nur eine Chance: Alle Oppositionskräfte egal welcher Couleur müssen sich zusammenschließen und Absprachen über die Kandidaten in den 106 Wahlkreisen treffen.

An Modellen für solch taktische Bündnisse fehlt es nicht - bis hin zum Vorschlag, nach einer gemeinsam erreichten Abwahl Orbáns allein das Wahlrecht zu ändern und dann schnell wieder Neuwahlen auszuschreiben. Doch mehrheitsfähig sind die Einigungsrufe bislang weder im linksliberalen Lager noch auf der Rechten. "Mathematisch könnte das aufgehen, aber in der Politik herrschen andere Gesetzmäßigkeiten", meint Vona und verweist auf die zersplitterten Linksparteien, "die nicht einmal untereinander eine Einigkeit herstellen können". Höchstens mit neueren politischen Bewegungen wie der grün-konservativen LMP oder der erst 2017 gegründeten Momentum-Partei will er sich eine Zusammenarbeit vorstellen.

Der Jobbik-Partei allein geben die Umfragen allerdings nicht mehr als 20 Prozent, ungefähr so viel wie bei der Parlamentswahl 2014. Noch also hat sich der proklamierte Wandel zur Volkspartei nicht ausgezahlt. "Die alten rechten Wähler sind zu Fidesz übergelaufen und die Linken sind noch nicht angekommen", urteilt der Politikwissenschaftler Csaba Tóth vom liberalen Institut Republikon. Mit einem Machtwechsel bei der Wahl im Frühjahr rechnet Tóth nicht.

Die Zeit spielt für Jobbik

Orbán könnte also ruhig schlafen, denn den Meinungsumfragen zufolge ist sogar eine Zweidrittel-Mehrheit der Sitze für seine Fidesz nicht ausgeschlossen. 2014 reichten dafür wegen des veränderten Wahlrechts gut 44 Prozent der Stimmen. Dass Orbán und seine Gefolgsleute sich trotzdem nun so heftig auf Vona und die Jobbik-Partei eingeschossen haben, könnte einem Déjà-vu geschuldet sein. "Vona kopiert Orbán", meint Toth. "Beide haben gute taktische und gute kommunikative Fähigkeiten, nur Vona ist wahrscheinlich pragmatischer und weniger ideologisch als Orban."

Mit 39 Jahren könnte der Jobbik-Chef zudem die Zeit auf seiner Seite haben. "Ich bin kein Träumer", sagt Gábor Vona, wenn man ihn nach der angestrebten Prozentzahl bei der nächsten Wahl fragt. "Wir haben keine Zielsetzung in Prozent, sondern wir wollen diese Regierung ablösen." Wenn es dieses Mal nicht klappt, dann wird er es weiter versuchen, daran lässt er keinen Zweifel. In seinem Büro hinter dem Schreibtisch, links von den Ahnenfotos und der Landkarte, steht ein Aquarium. Da ziehen die Fische auch in aller Ruhe ihre Runden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: